Fluch oder Segen?Die Laubholz-Mistel als schöne Schmarotzerin

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Die Mistel hat sich in einem Obstbaum festgesetzt. Der Obstbaum steht auf einer Pferdewiese. Im Hintergrund grast ein Pferd.

Die Laubholz-Mistel, fotografiert am 30. November 2022, gilt als parasitierende Pflanze. Hier hat sie sich in einem Obstbaum festgesetzt.

Was rennt da über die Wiesen, was blüht am Wegesrand, was schwirrt über den See? Mit Unterstützung der Biologischen Station in Nümbrecht in Oberberg stellen wir Arten vor, die uns im Oberbergischen aufgefallen sind.

Ein Parasit oder Schmarotzer erzeugt oft Ablehnung bis hin zu Ekel, während für die Wirte Mitleid empfunden wird. Das gilt für Ektoparasiten wie die besonders unbeliebten blutsaugenden Zecken und für Endoparasiten wie Madenwürmer, die von und in unseren Stoffwechselprodukten leben. Aber auch unter den Pflanzen ist der eigennützige Ressourcenerwerb auf Kosten anderer verbreitet.

Solch eine parasitierende Pflanze ist die Laubholz-Mistel (Viscum album). An der Mistel wird deutlich, dass Parasiten nicht immer ekelhaft sind, sondern ganz reizvoll sein können. So gibt es den Brauch, dass sich Verliebte an Weihnachten unter einem Mistelzweig küssen. Im nächsten Jahr werde man dann heiraten, sagt man.

Oberberg: Der Mistelstrauch als Nahrungsquelle für Vögel

Dieser immergrüne Halbstrauch breitet sich zurzeit stark aus. Die Art wird vor allem im Winter verstärkt auf Laubbäumen wie Apfel, Pappel, Esche, Weide und Ahorn sichtbar. Neuerdings werden auch bisher als resistent geltende Birnen sowie Linden, Birken und die Haselnuss von Misteln besiedelt. Als Ursachen kommen Veränderungen des Klimas sowie die sinkende Wirtschaftlichkeit von Streuobstwiesen, die zu einer Verminderung von Baumpflegemaßnahme führt, in Betracht.

Im Sommer verbirgt sich der bis zu einem Meter Durchmesser umfassende kugelige Strauch der Mistel zwischen dem Laub der Wirtsbäume. Charakteristisch sind die weißlich-transparenten Beeren, die im Dezember reif werden. Obwohl sie leicht giftig sind, bietet die Mistel einigen Vögeln – allen voran der Misteldrossel – eine willkommene Nahrungsquelle in der kargen Winterzeit.

Das ist ganz im Sinn der Pflanze, da durch die Vögel der in den Beeren enthaltene Samen verbreitet wird. Die kritische Zeit ohne Wasserversorgung über die Wurzeln der Wirtspflanze übersteht der Samen nur in Gebieten mit hoher Luftfeuchtigkeit und eher milden Wintern, wie dem Bergischen Land. Hier sieht man sie häufig auf schlecht gepflegten Obstwiesen oder an Hybrid-Pappel-Beständen.

Der Keimling benötigt etwa ein Jahr, um Anschluss an das Leitungssystem des Wirtsbaumes zu finden. Die aus dem Keim hervortretenden Senk- oder Saugwurzeln, wissenschaftlich als „Haustorien“ bezeichnet, durchbohren die Borke des Astes.

Misteln gelten als Halbschmarotzer

Die Bäume reagieren, indem sie außen eine widerstandsfähige Rinde ausbilden und im inneren Abwehrstoffe produzieren. Gelingt es der Mistel dennoch, sich mit den Leitgefäßen des Baumes zu verbinden, entnimmt sie dem Baum Wasser und Nährstoffe.

Immerhin machen Misteln mit ihren Blättern und Zweigen selbstständig Photosynthese, bauen also mithilfe von Licht Kohlenstoffverbindungen zum Wachstum auf. Deshalb gelten sie als Halbschmarotzer. So wachsen Sie weiter, bis sie nach einigen Jahren blühfähig werden. Die Blütezeit erstreckt sich von Mitte Januar bis Anfang April. In dieser Zeit sind die Blüten auf Fliegen angewiesen, die den männlichen Pollen auf den weiblichen Fruchtknoten bringen.

Schon Miraculix nutzte Mistelzweige

Überhaupt gewinnt ein von Misteln befallener Baum in puncto Biodiversität um ein Vielfaches hinzu, da der Mistelstrauch einen ganzen Mikrokosmos an koexistierenden Lebensformen mit sich zieht. Übrigens ist die Mistel zweihäusig, es gibt männliche und weibliche Exemplare   und nur die weiblichen Halbsträucher können Beeren hervorbringen. Wenn alles gut geht, kann der Mistelstrauch bis zu 70 Jahre auf einem Ast gedeihen und die winterliche Vogelwelt mit seinen energiereichen Beeren ernähren.

Mindestens seit dem 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung findet die Pflanze Verwendung in der Arznei und gilt als eine der ältesten „Zauberpflanzen“ unseres Kulturkreises. Bei den Germanen spielte sie eine entscheidende Rolle in der Mythologie, da sie dem Lichtgott Baldur zu einem Aufenthalt im Reich der Toten verhalf. Auch keltische Druiden nutzten sie, wie Leser der Comicreihe Asterix wissen. Sie galt als Symbol für immerwährendes Leben, vielleicht da sie immergrün ist.

Heute sollte man sich an den reifen Beeren bei einem Winterspaziergang   erfreuen, ohne Zweige mitzunehmen. So kann man den Anblick dieses schönen Schmarotzers in der dunklen Jahreszeit mit anderen teilen. Und die Drosseln müssen keinen Hunger leiden.


In der Regel wird der Kern der abgefressenen Mistelbeere mit dem Vogelkot ausgeschieden und landet dabei oft auf Ästen. Manchmal bleibt der Kern wegen des klebrigen Fruchtfleisches am Schnabel des Vogels hängen und wird beim Putzen an einem Zweig abgewetzt.

Das ist ein Paradebeispiel für Zoochorie. So nennen Biologen die Verbreitung von Samen durch Tiere. Mistelbeeren wissen sich aber auch selbst zu helfen. Neben dem „Abtropfen“ einzelner Beeren auf darunterliegende Äste, bilden Misteln etwa 20 Zentimeter lange Schnüre aus zu klebrigen Ketten verbundenen Samen.

Diese über viele Monate reißfesten Gebilde können vom Wind   fortgetragen werden und auf Ästen anderer Bäume anhaften. Es wird wissenschaftlich untersucht, wie man diesen erstaunlichen Natur-Klebstoff Viscin medizinisch oder technisch nutzbar machen kann. (fls)

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