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Oberberg damals„Ich weine dir eine Träne nach, alte liebe wacklige Postkutsche“

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Die geschmückte Kutsche legt auf ihrem Weg nach Lieberhausen einen Zwischenstopp in Deitenbach ein.

Die geschmückte Kutsche legt auf ihrem Weg nach Lieberhausen einen Zwischenstopp in Deitenbach ein.

Oberberg – Als im Oberbergischen am 28. April 1926 zum allerletzten Mal eine Postkutsche auf offizielle Fahrt ging, waren auf den Hauptverkehrswegen die Pferdestärken längst von Dampfrössern ersetzt worden.

Die Vernachlässigung der oberbergischen Verkehrswege abseits der wenigen Hauptbahnstrecken zwang die kleinen Kommunen dazu, die gute alte Postkutsche noch bis in die zweite Hälfte der 1920er Jahre hinein ihren Dienst verrichten zu lassen. In Lieberhausen wurde die letzte Postkutsche im Oberbergischen als das einzige öffentliche Verkehrsmittel zur Kreisstadt Gummersbach betrieben.

1884 fährt erster Zug von Siegburg nach Ründeroth

Die Städte und Gemeinden des Aggertals profitierten da bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts von dem Bau neuer Eisenbahnstrecken mit einem enormen Wachstumsschub. Industrielle Ansiedlungen expandierten, viele neue Arbeitsplätze entstanden. Am 29. September 1884 befuhr der erste Zug die Gleise von Siegburg über Overath nach Ründeroth.

Knapp drei Jahre später wurde die Strecke bis Derschlag eröffnet, 1896 dampfte der Zug bis Bergneustadt. Weitere sieben Jahre gingen ins Land, bis 1903 Olpe erreicht wurde. Parallel wurde am 1. Dezember 1892 die Strecke Meinerzhagen-Marienheide eröffnet, die ein halbes Jahr später bis nach Gummersbach verlängert wurde. Zudem gab es ab 1906 eine durchgehende Eisenbahnverbindung von der Agger bis zur Sieg.

Oberberger Kommunen abseits der Bahnstrecke bei Verkehrsausbau übergangen

Während die Bahn-Anrainer vom modernen Transportmittel profitierten, wurden die Kommunen abseits der Hauptstrecken beim Ausbau des Verkehrsnetzes weitgehend links liegen gelassen – abgesehen von einigen Kleinbahnen. Die Gemeinde Lieberhausen war eine dieser Kommunen, die sich bei der Preußischen Regierung in Berlin dreimal vergeblich für den Bau einer Bahnlinie stark machten.

Nachdem erste Überlegungen von 1887 für eine Bahnstrecke von Derschlag über Koverstein nach Meinerzhagen keine Berücksichtigung gefunden hatten, schmiedeten die Lieberhäuser 15 Jahre später einen neuen Plan. Am 3. Juli 1902 beantragte ein Eisenbahn-Comité beim königlichen Staatsminister Hermann Budde den Bau einer Bahnlinie Meinerzhagen, Grünenthal, Lantenbach, Becke, Niederseßmar. Sie sollte die Volmetal- mit der Aggertalbahn verbinden.

Dieser Antrag verschwand jedoch ebenso in der Schublade wie die Eingabe vom 25. Oktober 1911, als der Gemeinderat Lieberhausen forderte, die Kleinbahn von Derschlag über Dümmlinghausen zur Genkelmündung bis nach Koverstein – im Antrag als „Herz der Gemeinde“ bezeichnet – weiterzuführen. Der Erste Weltkrieg, die Nachkriegsinflation und später der Bau der Aggertalsperre ließen die Träume der Lieberhäuser endgültig platzen.

Postkutsche zwischen Lieberhausen und Gummersbach fährt noch bis 1926

Auch der Umstieg auf den Autobus gelang in Lieberhausen nicht so schnell wie anderswo, weil die relativ arme Kommune die horrenden finanziellen Garantieleistungen der Busbetreiber nicht aufbringen konnte.

Daher kam es nicht von ungefähr, dass die Postkutsche zwischen Lieberhausen und Gummersbach noch bis Mitte der 1920er Jahre fuhr. Zu jener Zeit war die Postkutsche auch noch zwischen Wiehl und Nümbrecht unterwegs, bevor hier am 1. März 1925 die Kraftpostlinie eröffnet wurde. Dies war unter anderem der besonderen Verkehrssituation im Homburger Land geschuldet.

Denn weder die Bahnverbindung von der Agger zur Sieg (ab 1906 über Osberghausen, Wiehl, Brüchermühle, Waldbröl, Hennef) noch die Kleinbahn des „Rasenden Homburgers“ (ab 1915 über Bielstein, Nümbrecht, Waldbröl) schloss die Lücke zwischen Nümbrecht und Wiehl.

Zwischen Gummersbach und Lieberhausen verkehrte zuvor nach 1864 regelmäßig eine Postkutsche. Im Protokoll der Presbytersitzung in Lieberhausen vom 20. Oktober 1912 wird der frühere Bürgermeister Held zitiert. Dieser habe am 18. April 1864 „gütig beantragt, zum Zwecke der Einrichtung einer Postverbindung zwischen Lieberhausen und Gummersbach die Genehmigung des Presbyteriums dazu, dass der Postwagen sich auf dem Kirchplatz drehen und zum Zweck des Vorfahrens vor das Postgebäude die Abnehmung eines Teiles des Kirchplatzes gestattet werde“. Dies wurde genehmigt und damit der Weg für die Postkutsche geebnet.

Letzter Halt der Postkutsche vor dem Anstieg: Koverstein

Die letzte Haltestelle vor dem Anstieg nach Lieberhausen befand sich in Koverstein, wo Eduard Rath eine Gastwirtschaft mit angeschlossener Posthilfsstelle betrieb. Täglich fuhr hier morgens um 8 Uhr die zweispännige Postkutsche aus Gummersbach vor. Sie konnte fünf Personen befördern, eine musste neben dem Postillon auf dem Kutschbock Platz nehmen. Abends gegen 18 Uhr traf zusätzlich die einspännige Karriolpost in Koverstein ein. Die Abendpost nahm regelmäßig Fracht aus der Nachbarschaft mit zur Bahnstation nach Derschlag, die 1887 eröffnet wurde.

Von Koverstein nahm die Postkutsche den steilen – auch heute im Volksmund noch so genannten – „Polizeiweg“ (Homertstraße) in Angriff und quälte sich nach Lieberhausen hinauf. Sobald die Kutsche das Waldstück „Buchhagen“ verlassen hatte und an der „Tewes-Wiese“ das Dorf in Sicht kam, ließ der Postillon sein Posthorn ertönen. Gegen 8.30 Uhr erreichte die Postkutsche die Endhaltestelle an der Gastwirtschaft Friedrich Schürmann in Lieberhausen (heute Landgasthof Reinhold).

In einem Anbau befand sich der Postraum. Angeblich wurde in Lieberhausen bereits in den 1830er Jahren eine sogenannte Brief-Sammelstelle eingerichtet. 1839 bekam das Dorf, mit damals 230 Einwohnern, dann eine Poststelle. Nach 1876 wurde sie zur Postagentur „befördert“. Von hier aus trugen zwei Postboten Briefe und Pakete täglich zweimal zu Fuß über Land. Die Zeitungen trafen nachmittags ein und wurden dann auf dem Postbüro an die Abholer ausgegeben. Die übrigen Abonnenten erhielten sie erst am nächsten Morgen durch die Briefträger.

1926 löst der Autobus die Postkutsche ab

Erst am 28. April 1926 war es mit der Postillon-Romantik endgültig vorbei. Da die Strecke von Gummersbach nach Lieberhausen die letzte im Oberbergischen war, auf der die Postkutsche vom Autobus abgelöst wurde, brachte die Gummersbacher Zeitung einen nahezu rührseligen Bericht von der „treuen Postkutsche letzter Fahrt“: „Blumengeschmückt rollte das Gefährt gestern morgen in den Posthof (in Gummersbach) ein, der Postillon in Uniform – in blankem schwarzem Hut, weißer Hose, Posthorn. Ein Lied entlang der Abfahrt – ein letztes Lied, es wurde während der Fahrt noch oft geblasen (…).“

In dem Bericht wird ein Anwohner zitiert: „Jo, jo, et es doch schade, dat dei Postwagen nu nich me föehrt, et det uns doch allen recht lee. All dat Aale küömmt af un an, dat Nigge kann me sek nich recht jewöenen. Die Kutsche wor doch luter so schön, so en Stückchen ut oller Tied. Wei wet, wo dat in Zukunft noch jeht met dem Autodings.“

„Ich weine dir eine Träne nach, alte liebe wacklige Postkutsche“

Die Autorin schloss ihren Bericht mit viel Empathie: „Das Lied ist aus. Und übrig bleibt: der Autobus, an dem die Spur unserer erregten Zeit haftet und – sonst nichts. Der ist praktisch und so entsetzlich modern. Man wird nicht durcheinandergeschaukelt wie in der Postkutsche, o nein, der Autobus ist bequem, hell, sauber, schnell, viel schneller. Er rast wie unsere Zeit – und dennoch – ich weine dir eine Träne nach, alte liebe wacklige Postkutsche.“

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Die alte Postkutsche wurde dem Museum von Schloss Homburg zur Verfügung gestellt. Heute befindet sie sich aber nicht mehr in der aktuellen Ausstellung.

Die Entwicklung „Von der Postkutsche zu Eisenbahn und Autobus“ beschreibt Dieter Rath ausführlich in dem in Kürze erscheinenden Band 14 der „Beiträge zur Oberbergischen Geschichte“ des Bergischen Geschichtsvereins.

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