Korrespondentin wird 70Von Waldbröl zog Inge Günther in die Welt hinaus

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Das Selfie im Panarbora-Park zeigt Inge Günther mit ihrem Bruder Jochen und dessen Kindern Mona und Julius.

Ausflug zum Baumwipfelpfad im Naturerlebnispark Panarbora: Das Selfie zeigt Inge Günther mit ihrem Bruder Jochen und dessen Kindern Mona und Julius.

Die aus Waldbröl stammende Journalistin Inge Günther wird 70 Jahre alt. Heute lebt sie in Berlin und Jerusalem.

Es ist die dramatische Zeit nach dem gewaltsamen Tod Jitzhak Rabins mitten in Tel Aviv. Am Abend des 4. November 1995 treffen drei Kugeln aus der Waffe eines religiösen Fanatikers den Ministerpräsidenten Israels, im Ichilov-Hospital erliegt der Träger des Friedensnobelpreises später seinen Verletzungen. Das Ringen um Frieden im Nahen Osten erlebt einen Rückschlag. Gewalt, Terror und Übergriffe beherrschen weltweit die Schlagzeilen.

Ausgerechnet in dieser Zeit sucht das Berliner Büro der Frankfurter Rundschau eine Korrespondentin oder einen Korrespondenten für Israel und die Nachbarregionen, also auch für die palästinensischen Gebiete. „Ich bewarb mich – und hatte das Glück, mich durchsetzen zu können“, blickt Inge Günther zurück. Bis 2018 hat die gebürtige Waldbrölerin als Korrespondentin für die Frankfurter Rundschau und einige andere Tageszeitungen in Deutschland auf diesem Posten gearbeitet. Am kommenden Dienstag, 6. Juni, wird Inge Günther 70 Jahre alt.

Inge Günter auf der Aussichtsplattform der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Auf der Aussichtsplattform der Hebräischen Universität in Jerusalem hat sie als Korrespondentin oft den weiten Blick genossen

Sie lebt in Berlin und Jerusalem, Besuche bei ihrem Bruder Jochen (65) und dessen Familie führen sie aber mehrmals im Jahr in den Süden Oberbergs und dort in die Waldbröler Ortschaft Bröl. „Ich bin die Patentante von Jochens Kindern Mona und Julius“, verrät die Journalistin. Die sind heute 22 und 24 Jahre alt. Immer wieder reist Günther auch für Vorträge an, etwa auf Einladung der Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

1996 tritt sie die Korrespondentenstelle in Israels Hauptstadt an, noch heute haben sie und ihr Ehemann Omar Yousef, ein früherer Professor für Architektur und Städteplanung an der Al-Quds University in Jerusalem, eine Wohnung in der Nähe des Zentrums. Denn mit dem Wechsel nach Israel entflammt die Liebe für Land und Leute.

Es sind Meister im Improvisieren, sie haben eine gute Gabe, Probleme zu lösen, auch handwerklich. Und dafür brauchen sie keine starren Regelwerke.
Inge Günther über die Israelis

„Es gibt so vieles, das wir Deutschen von den Israelis lernen können“, weiß Günther heute. „Sie sind wahre Meister im Improvisieren, sie haben eine gute Gabe, Probleme zu lösen, auch handwerklich. Und dafür brauchen sie keine starren Regelwerke.“ Auch seien die Familienbande viel stärker, die Verbundenheit zu Eltern und Geschwistern sei eine feste. „Wer auswärts essen geht, der nimmt die ganze Familien mit.“ Auch sei Israel sehr kinderfreundlich und in allem sehr ungezwungen.

„Man duzt sich meist.“ Und nicht zuletzt sei da auch der Staat an sich – „ein junger Staat, der aus dem Nichts aufgebaut worden ist“. Günther blickt zurück: „Zuvor hatte ich Israel bereits einige Male auf eigene Faust bereist, das war zur Zeit des zweiten Golf-Krieges, Anfang 1991. Damals gab es sehr rege geführte Diskussionen, die denen um den Frieden in Nahost ähnlich waren – ebenso wie die, die später nach dem Irak-Krieg entbrannten.“

Ein als Page verkleidete Strohaffe ist der Journalistin am „Walled Off“-Hotel in Bethlehem begegnet.

Der als Page verkleidete Strohaffe ist der Journalistin am „Walled Off“-Hotel in Bethlehem begegnet.

Der Blick in die Nachrichten aber reicht der Journalistin nicht, sie will nicht nur zuhören, nicht nur zusehen. „Ich wollte dort sein, wollte mir ein eigenes Bild machen.“ Günthers Wunsch geht in Erfüllung. Wie gefährlich aber ist die Arbeit in Israel und den palästinensischen Gebieten? „Sie ist so gefährlich wie die Zeit an sich“, antwortet die frühere Korrespondentin und erzählt, wie sie jenseits der Grenzen Israels unter Beschuss geraten ist, ausgerechnet unter israelischen.

„Auf der einen Seite stand oft genug die schreckliche Politik, auf der anderen standen die vielen Freunde, die ich dort gewonnen habe“, sagt Günther und ergänzt: „Ein Ausgleich muss her, denn unterm Strich haben beide Völker Recht.“

Nach der Wende berichtet Inge Günther aus Berlin

Auszeiten von der politischen Berichterstattung dort wirken wie ein Urlaub. Die Waldbrölerin genießt Abstecher in den Feuilleton und ganz besonders „Recherchen, die ans Tote Meer führen“. Die „eine große Geschichte“ gibt es für sie nicht. „Da waren so viele, die mich bewegt haben“, betont sie und nennt etwa die Reportage, mit der sie sich im Winter 2017 aus dem festen Berufsleben verabschiedet. Diese erzählt vom ersten Besuch von Nichte Mona in Jerusalem, zu jener Zeit ist das Mädchen zehn Jahre alt – und fasziniert davon, wie farbenfroh Jerusalem ist.

Dabei hatte Inge Günther einst einen ganz anderen Weg eingeschlagen als den der Printjournalistin. In Waldbröl besucht sie die evangelische Grundschule, am Hollenberg-Gymnasium macht sie Abitur. Dem folgt von 1972 bis 1977 in Köln ein Studium der Heilpädagogik, nach dem ersten Staatsexamen übernimmt Günther Lehraufträge in der Domstadt und auch in Frankfurt. „Dort arbeitete ich etwa in der Gesamtschule in Bockenheim. Aber der Wunsch, journalistisch zu schreiben, der war damals schon sehr groß – wie bei vielen jungen Menschen in jener Zeit.“

Junge Leute, die heute in diesen Beruf einsteigen wollen, müssen sie heute jedoch vielseitig dafür aufstellen und auch andere Medien beherrschen.
Inge Günther über den Beruf im Wandel

Erste Beiträge erscheinen im Stadtmagazin „Pflasterstrand“, für das Daniel Cohn-Bendit verantwortlich zeichnet. Auch in Medien wie „Der Zeit“, „Wochenpost“ und „Die Woche“ sind ihre Texte zu lesen. 1984 macht Günther die Leidenschaft zum Beruf: Als Gerichtsreporterin schreibt sie freiberuflich für die Frankfurter Rundschau, bis sie ein Volontariat erhält und danach als Nachrichtenredakteurin angestellt wird. 1992 schließt sie sich dem Berliner Büro an. „Nach der Wende war die Stadt eine andere.“ Bis zum Mauerfall habe sie die Bundespolitik übrigens oft als sehr langweilig empfunden.

Dem gedruckten Wort ist Inge Günther bis heute treu. Das Fernsehen sei für sie nie von Interesse gewesen, die Abstecher in den Hörfunk sind kurz – „so kurz, dass ich mir niemals Ausrüstung gekauft habe“. Dass diese Fokussierung auf den tagesaktuellen Journalismus längst ein Luxus geworden ist, weiß Inge Günther. „Gedruckte Zeitungen wird es aber immer geben“, ist sie überzeugt. „Junge Leute, die heute in diesen Beruf einsteigen wollen, müssen sich jedoch vielseitig dafür aufstellen und auch andere Medien beherrschen.“ Sonst könne man in dem Job nicht überleben.

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