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Naturismus statt FKKNacktcampen beim Verein Helios wird immer beliebter

Lesezeit 4 Minuten
Das Mini-Haus ist komplett ausgestattet und kann gemietet werden, zeigt Platzwartin Melany.

Das Mini-Haus ist komplett ausgestattet und kann gemietet werden, zeigt Platzwartin Melany.

Lindlar-Hohkeppel – Beinahe wäre es vorbei gewesen mit der nahtlosen Bräune am Ufer der Lennefe. Vor fünf Jahren verordnen die Behörden dem größten Naturisten-Gelände des Bergischen Landes den Kanalanschluss. Über Nacht sah sich die Helios Familiensportgemeinschaft Köln mit Kosten im hohen fünfstelligen Bereich konfrontiert.

Die Nackten verlassen den Verein in Scharen „Tatsächlich stand der Verein auf der Kippe. Letztlich hat ein Generationswechsel aber für einen neuen Boom gesorgt“, erinnert sich Sylvia. Dank einer privaten Spende für den Kanalbau und gestiegenen Mitgliederzahlen sieht sie Helios wieder auf einem vielversprechenden Weg.

Heute wieder weit über 100 Mitglieder

Heute hat Helios wieder weit über 100 Mitglieder. Und für diejenigen, die den hüllenlosen Urlaub erst einmal ausprobieren wollen, steht inzwischen ein knallroter Bauwagen auf dem Platz bereit, in dem man einige Nächte unterkommen kann um das hüllenlose Camping einmal auszuprobieren.

Helios-Sprecherin Sylvia wartet am Tor, hinter dem sich die acht Fußballfelder große Campingsiedlung an den Berg schmiegt und hat gleich die wichtigsten Spielregeln unter den Naturisten parat. Geduzt wird beim hüllenlosen Sonnenbad unbedingt, Nachnamen spielen keine Rolle. „Auf den FKK-Begriff verzichten wir mittlerweile, er klingt doch sehr nach den Achtzigerjahren“,so Sylvia.

Naturismus beschreibe den Einklang der Körper mit Wald, Wiese, Wind und Sonne viel besser und liege im Trend. „Inzwischen haben wir weit mehr Anfragen als Kapazitäten – wir führen richtige Bewerbungsverfahren um die Stellplätze durch“, verrät Sylvia.

Vor allem jüngere Menschen ab 30 aus der Rheinschiene und dem Ruhrgebiet konkurrieren im Sommer 2021 miteinander um ein Quartier in der „Tannenzone“, am „Amselweg“ oder im „Tessin“, der begehrten Südseite des Areals. Neben einem eigenen Namen besitzt jeder Abschnitt auch einen gewählten „Bürgermeister“, der Neulingen als verlängerter Arm des Vereinsvorstands zur Seite steht und nach Ablauf der einjährigen Probezeit ein wichtiges Wort mitredet. „Diese Testphase haben wir eingeführt, um Spanner loszuwerden und zu garantieren, dass die Bewerber auch wirklich zu uns passen“, erklärt die Sprecherin. Unter wirklichen Liebhabern des Nacktseins stelle sich nämlich nicht die Frage, wann man sich ausziehen müsse, sondern wann man die Kleidung endlich wieder ablegen könne.

Hintergrund

Helios verzichtet bewusst auf den Begriff „FKK“ – weil der zu altbacken sei. Der Lindlarer Verein steht gegen den Trend. Denn eine Yougov-Umfrage in Kooperation mit dem Portal Statista ergab aktuell, dass sich Erwachsene in Deutschland an Orten, an denen man nackt ist, etwa am FKK-Strand oder in der Sauna, eher unwohl fühlen (36 Prozent) als wohl (28 Prozent). Vor allem Frauen fühlen sich unwohl (39 Prozent); bei Männern sind es 34 Prozent. Klischeegemäß geben Ostdeutsche (36 Prozent) häufiger als Westdeutsche (26 Prozent) an, sich an Orten wie einem Nacktstrand wohl zu fühlen.

Bereits 1950 tun sich die ersten Kölner zur Helios-Gemeinschaft zusammen, um sich gemeinsam auszuziehen. Kurz nach der Gründung entdecken sie das „Mutzer Feld“ im Norden von Bergisch Gladbach für sich. Doch die Stadt möchte die Nackten loswerden, es gibt Zoff. Der Helios wird ein Plan präsentiert, nach dem die betroffene Schonung zum Waldfriedhof werden soll. „Die Nackten und die Toten“ betitelte das Magazin „Stern“ seine damalige Reportage über den Knatsch und zitiert damit den Titel des damals sehr bekannten Norman-Mailer-Bestsellers.

„Wir haben dann nach einem passenden Gelände gesucht, sind hier gelandet und haben uns sofort in den Berg verliebt“, blicken Hannelore und Renate zurück. Die beiden Kölnerinnen sind die Urgesteine des Vereins, Hannelore kommt seit 1964 ans Ufer der Lennefe. Damals bedecken hohe Fichten und Birken das steile Areal, mühsam schieben die Camper zunächst einen Pfad und die erste Terrasse in den Hang. Es folgen Häuser für die Toiletten und Duschen, das Vereinsheim und viel später Schwimmbad und Tennisplatz. „Wir haben immer erst gespart und dann gebaut. Verschuldet haben wir uns nie“, so Renate.

Aktuell bieten die Ebenen um die 100 Stellplätze. Die einen kommen mit dem Wohnwagen, andere haben nur ein Zelt im Kofferraum. „Zuletzt haben wir die Räume für Wohnmobile ausgebaut, weil immer mehr Camper die rollende Wohnung mögen“, berichtet Sylvia. Für diejenigen, die den hüllenlosen Urlaub erst einmal testen wollen, steht ein Bauwagen bereit.

Bis heute legt die Familiensportgemeinschaft Wert auf ihren Namen. Das jüngste Mitglied ist gerade erst ein paar Monate alt, das älteste über 70 Jahre. Bewegt wird sich ohnehin an allen Ecken. „Ein Robinson Club mit jeder Menge Animation sind wir aber sicher nicht“, betont Sylvia mit einem Lachen.

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Die Gemeinschaft profitiere von Menschen mit unterschiedlichen Begabungen, erklärt die Sprecherin. „Der eine modernisiert unsere Homepage, der andere gibt einen Tauchkurs.“ In dieses Bild passen auch Melany und Franz, die neuen Platzwarte. Im vergangenen Jahr ist das Paar aus Bayern ins Bergische gezogen, hatte zuvor mit Freikörperkultur nichts am Hut. Inzwischen sind beide überzeugte Naturisten. „Man glaubt es kaum, aber ob du jemanden splitterfasernackt oder mit Kleidung und Statussymbolen behangen triffst, macht einen riesigen Unterschied“, bringt Melany die Überzeugung der Camper auf den Punkt.

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