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Zweiter WeltkriegTäglich Tieffliegerangriffe auf Wipperfürth

Lesezeit 6 Minuten

23. März 1945

Sitzen seit 8 Uhr im Keller, dauernd Tieffliegerbeschuss. Am Bahnhof fielen Kanister mit Phosphor. Landwirtschaftliche Schule wurde durch abstürzendes Flugzeug total vernichtet – ausgebrannt. Ein Sanitäter und zwei andere Personen kamen ums Leben. Raffelsiepers und Müllers Haus schwer beschädigt. Den ganzen Tag Tiefflieger über uns und dauernd Bordwaffenbeschuss. Abends, 17.30 Uhr, wurden an mehreren Stellen Brandkanister abgeworfen. Hof Sonnenschein brannte ab. Das Anwesen von Leo Bosbach an der Leiersmühle brannte auch nieder. Überall am Himmel Brandwolken.

25. März 1945

Palmsonntag. Seit 7 Uhr morgens kreisen Tiefflieger über uns und Umgebung. Um 10.15 Uhr schwerer Tieffliegerbeschuss, mehrere Brandkanister werden abgeworfen. Die Fabrik Schulte brennt ganz ab. Auch am Bahnhof und an der Sanderhöhe brennt es. Heute Nachmittag im Garten hörte ich heftige Tieffliegerangriffe über Lindlar und Engelskirchen. Auch schwere Bombeneinschläge. Das wird wohl Kampfgebiet sein. Am späten Nachmittag wurden die Kerspetalsperre und der Bahnhof von Kierspe angegriffen.

26. März 1945

Gestern Abend hat uns das Flugzeug, welches Aufnahmen macht, zum dritten Mal sehr erschreckt. Die Aufnahmen lösen sich mit großem Krachen. Heute Morgen schon vor 7 Uhr Großalarm. Am Mittag Tieffliegerangriff auf den Bahnhof. Hardenbickers Haus auf der Wilhelmshöhe total zerstört – dem Erdboden gleich. Bomben auf den Bahnhof. Östlich von Kreuzberg großer Brand. 17 Uhr kreisten ein paar Tiefflieger über der Flak-Stellung an der Neyetalsperre – die Flak schoss nicht. Die Tiefflieger kamen über die Stadt und schossen heftig mit Bordwaffen. Jetzt gibt es Regen, dann haben wir wieder etwas mehr Ruhe. Heute Abend werden wieder drei Soldaten aus dem Lazarett begraben.

27. März 1945

Heute früh, 6.30 Uhr, wurden die Toten vom letzten Donnerstag begraben. Das Wetter war grau und trüb. Bis mittags hatten wir vor Fliegern Ruhe. Dann überflog schwerer Fliegerverband die Stadt. Es kreisen viele Gerüchte durch die Gegend, wir müssten bald räumen. Die Nachrichten werden immer schlechter! Gestern erlag Frau Gerlich vom Wipperhof im Krankenhaus ihren Verletzungen. Sie wurde beim Angriff am Sonntagmorgen mit Phosphor schwer verletzt.

28. März 1945

Heute früh war das Wetter grau in grau. Noch vormittags hatten wir heftigen Tieffliegerbeschuss. Nachmittags, 14.30 Uhr, Tieffliegerangriff auf den Bahnhof. Es fielen 14 Bomben, 4 auf Wilhelmshöhe, 4 auf einen Zug, mehrere Bomben an der Molkerei, Kordt & Rosch und Kuhbiers Fabrik schwer beschädigt. Straßenkreuzung in Leiersmühle erhielt Volltreffer, Fabrik und Breuers Häuser schwer beschädigt.

29. März 1945

Gründonnerstag. Heute Morgen grauer Nebel überall. Es blieb den ganzen Tag schön still – keine Flieger. Alle Wipperfürther freuen sich, dass Hankow (Bürgermeister) fort ist. Die Nazi-Familien, die gestern von hier nach Mitteldeutschland fliehen wollten, kehrten diese Nacht zurück. Die Wehrmacht hat sie auf halber Strecke nicht mehr durchgelassen. Wir waren alle froh, dass die weg waren. Tolle Gerüchte sind im Umlauf. Die sollen sehr viele Lebensmittel mitgeschleppt haben.

30. März 1945

Karfreitag. Bis Mittag blieb alles schön still. Die Natur war grau und trüb. Mittags, um 13 Uhr, hörten wir Tiefflieger. Wir hetzten in den Keller. Kaum unten, ging der Höllentanz schon los. Furchtbarer Beschuss und Brandkanister-Abwurf. Blechmanns Holzlager brennt. Bei Firma Meyer, Leiersmühle, brennt das Deckenlager. Ein Kanister fiel auf ein Dach bei Boucke.

Nachmittags 16.20 Uhr, wieder heftiger Bordwaffenbeschuss über der Stadtmitte. Es fielen Brandkanister und eine Bombe. Im Finanzamt brennt es im 1. Stockwerk, das Dach ist auch beschädigt. Neben dem Finanzamt brennen an mehreren Stellen Phosphorkanister.

31. März 1945

Karsamstag. Es war ein trüber Tag und alles blieb ruhig. Frontschießen war laut und näher zu hören. Um 19.30 Uhr abends kreisten ein paar Flieger über dem Ort. Morgens war die Beerdigung von Josef Müller. Ich bin nicht bis zum Kirchhof gekommen. Tiefflieger setzten zum Sturzflug an, da bin ich im Schulkeller verschwunden. Es ging alles gut.

1. April 1945

Ostersonntag. Es regnet und trotzdem schon Vollalarm. Heute kam ein Brief aus Korbach, der war 26 Tage unterwegs. Um 6 Uhr früh war ich im Hochamt.

Der Tag blieb still und ruhig, auch in der Nacht hörte man keine Flieger. Das Frontschießen war sehr laut und nah zu hören.

5. April 1945

Heute ist den ganzen Tag Hochalarm und die Luft voll Flieger. Mittags gegen 13.30 Uhr stürzt ein schwerer englischer Bomber in der Nähe ab. Gegen Abend noch mal einer.

9. April 1945

19.30 Uhr Tieffliegerangriff auf die Flak-Stellung an der Neyetalsperre. Es fielen fünf bis sechs Bomben in der Umgebung. Die Flak schoss heftig. Die alliierten Truppen sollen schon in Waldbröl sein. Heute wurden wieder viele Verwundete ins Kloster eingeliefert.

11. April 1945

Bomben und Brandkanister auf das E-Werk und Umgebung, Gaulstraße und Herbstmühle. Viel Militär von uns liegt um die Stadt herum. Tag und Nacht rollt der Rückzug durch unseren Ort. Panzer, Geschütze, Fuhrwerke, Lkw, Soldaten auf Fahrrädern und zu Fuß. Um 18.45 Uhr warfen Tiefflieger Bomben und Brandkanister aufs Radium. Schultes Mehllager, Felders Haus und die Heißmangel, alles zerstört. Diese Nacht hatten wir hier zum ersten Mal schweren Artilleriebeschuss. Rund um uns herum war der Himmel schauerlich erhellt. Nachts ab 1 Uhr im Keller. Gegen morgen schliefen die Kinder Annegret, Vladi und Lula auf allerlei Lagerstätten im Keller gut ein. Wir waren alle todmüde. Morgens lief alles zu den Bauern Milch holen, denn die Molkerei arbeitet nicht mehr.

12. April 1945

Den ganzen Tag Artilleriebeschuss. Das Wetter war bis Mittag schön. Gegen 17 Uhr ging ganz plötzlich Herr Brunhuber mit dem Wagenpark des Lazaretts von hier fort nach Lennep. Dann kam der Rückzug unserer Truppen hier vorbei. Von Frielingsdorf her durch unsere alte Leie – ein trauriges Bild. Pferde zogen Pkw. Soldaten und Tiere, alle abgehetzt und müde. Ein Soldat rief mir zu: „Die Amerikaner kommen schon hinter uns her.“ Der Artilleriebeschuss war von 23 Uhr bis zum anderen Morgen pausenlos zu hören. Wieder waren wir die ganze Nacht im Keller. Die Müdigkeit wird immer größer. Die Kinder schliefen fest. Am Vorwerk sind auch Bomben eingeschlagen. P. Kopp wurde tödlich getroffen. Auf allen Straßen in der Stadt ziehen unsere Soldaten ab in Richtung Hückeswagen – Lennep.

In der Stadt wurde Büchsenfleisch frei verkauft. Wir haben auch zwei Büchsen erhalten.

13. April 1945

Wir waren jetzt zwei Nächte im Keller, Artilleriebeschuss hält an. Von allen Einschlägen ist das Wetter trüb und wolkig. Am Bahnhof brennt ein großer Personenzug ganz aus. 11.30 Uhr die Nachricht, dass sich Wipperfürth den Amerikanern kampflos ergeben hat. Wir alle waren froh und glücklich. Dann hingen aus allen Fenstern weiße Tücher. Gegen 13.30 Uhr hieß es auf einmal: „Die weißen Tücher einziehen, der Werwolf will die Stadt verteidigen. Im Bunker auf dem Marktplatz sind die Idioten!“ Es waren ein paar besoffene deutsche Feldwebel, die schnell von der Besatzung festgenommen wurden. Die Bevölkerung atmete befreit auf. (tf)

Die Auszüge sind aus dem Buch „Fast hätte ich es vergessen ...“ von Annegret Lüttgenau, der Tochter von Gretchen Duhm. Das Buch ist erhältlich beim Buchhandel sowie dem Heimat- und Geschichtsverein Wipperfürth.