200 Jahre altWie ein ganzes Wohnhaus in Bergisch Gladbach versetzt werden soll

Vor dem Abtransport: das freigelegte Gebälk des historisch bedeutsamen Gebäudes.
Copyright: Christopher Arlinghaus
Bergisch Gladbach – Der Abbruch – nein, die Bergung – des knapp 200 Jahre alten Fachwerkhauses Hauptstraße 282 läuft auf vollen Touren. Hinter den Bauplanen, die die Fassade des bis vor kurzem in grauen Schieferplatten gerüsteten Hauses verhüllen, pfeift der Wind durch leere Balkengefache, deren Lehmfüllungen bereits rausgeschlagen wurden.
Die vier Männer, die mit der Demontage des 1824 errichteten Gebäudes beauftragt sind, turnen im ersten Stock über provisorische Bretterstege, weil die Fußbodendielen schon herausgehoben wurden und der Blick durch die offenen Geschosse teilweise bis zum Keller herunterfällt.

Das Bauteam mit Markus Hetzenegger (2.v.l.) im entkernten Fachwerkhaus.
Copyright: Anton Luhr
Markus Hetzenegger, der das Objekt als Fachwerkliebhaber unter seine Fittiche nehmen wird (wir berichteten), steht in Schutt und Chaos und sieht nur das Holz: „Die sind richtig gut erhalten“, schwärmt er von den Balken. „Das Haus war überhaupt im Kern viel besser in Schuss, als man gedacht hätte, wenn man das schäbige Äußere gesehen hat. Da kann man noch richtig viel von brauchen.“
Kaspar Wessel, der Papiermacher, der später als Wirt und Branntweinbrenner sein Auskommen suchte, hatte ein für die Zeit durchaus stattliches Wohnhaus errichtet. Allerdings war die Kubatur ursprünglich deutlich kleiner, das Haus hatte einen quadratischen Grundriss, heute ist es rechteckig: die Erweiterung, wohl Richtung Osten, ist jedoch schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgt, denn als die Brennerei 1853 angebaut wurde, war sie schon vorhanden. „Aber die Räume sind richtig groß und auch hoch“, ist Hetzenegger beeindruckt. „Das heißt ich kann das alles original so wieder aufbauen, weil man da auch nach heutigen Ansprüchen drin wohnen kann.“
Kein typisches Arbeiterhäuschen
Das ist noch lange nicht immer so: Typische Gladbacher Arbeiterhäuschen aus der Zeit waren klein, eng und dunkel, „Karnickelställe“, in deren niedrigen Schlafkammern auch damals die Menschen, die weniger hochgewachsen waren als wir, den Kopf einziehen mussten. Fenster waren klein, damit im Winter die Wärme in der Wohnung blieb.
Doch Wessel hatte offenbar schon etwas bürgerlichere Repräsentationsmaßstäbe. Sein Haus hätte vielleicht auch nicht so lange überlebt, wenn es eine billige Kiste gewesen wäre. „Es war allerdings nicht von Anfang an verschiefert“, wie Hetzenegger herausgefunden hat. „Die Balken auf der Rückseite sind geschwärzt. Sie waren offenbar jahrelang Wind und Wetter ausgesetzt, das Fachwerk war also offen.“ Die Verschieferung erfolgte wahrscheinlich in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, als Bergisch Gladbach, nunmehr mit Stadtrechten und boomender Industrie sich vom Dorf zum Landstädtchen mauserte.
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Damals begann das Vorrücken der Ziegelbauten im Gründerzeitstil und die Fachwerkeigner investierten in schmucke Schieferfassaden. Von guter Qualität sind auch die übrigen Holzeinbauten: Türen, Treppen, Fußbodendielen, die Hetzenegger ebenfalls vor dem Schuttcontainer für den Wiederaufbau bewahrt.
Schwerstarbeit stand in der vergangenen Woche an, als neun Meter lange Balken von dem erhöht über der Straße befindlichen Bauplatz heruntergeholt werden mussten, damit sie per Traktor nach Sand geschafft werden konnten. Da wird das Haus erstmal eingelagert.
Neuen Standort schon ausgeguckt
Ein Grundstück für den Wiederaufbau hat Hetzenegger schon ins Auge gefasst und zwar auf der rechten Seiten der Zufahrt zu seinem Edeka-Markt. Aber bis das Wesselhaus dort steht, das kann noch dauern, schließlich warten noch sechs andere historische Fachwerkhäuser, die Hetzenegger angedient worden sind, um sie vor dem Totalverlust zu retten, darauf, dass er irgendwann Zeit findet, sie wieder aufzustellen.

Ein Hauch von Verpackungskünstler Christo: das Haus an der Hauptstraße. Fotos: Anton Luhr
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Insgesamt sind es neun, von denen zwei tatsächlich auch schon wieder unter Dach und Fach stehen und bewohnt werden. Seit er in den Ruf geraten ist, dass er alte Fachwerkhäuser annimmt, die Bauvorhaben im Wege stehen, kann er sich vor Anfragen kaum retten. Lieber wäre es ihm, die Häuser könnten stehen bleiben, wo sie sich Jahrhunderte lang befunden haben und würden dort liebevoll restauriert, wie er es 2007 mit seinem jetzigen Wohnhaus hinter dem Alten Sander Kirchhof an der Ommerborn-Straße gemacht hat.
Bei der Restaurierung hatten ihm Freunde aus Sand geholfen, Engelbert Israel und Holger „Poff“ Gunia von den Birds, Gereon Braß, Christian Neu, Udo Winkler und Franz-Josef Berger, die viele Stunden Freizeit dafür opferten. „Die kann ich natürlich nicht immer fragen. Die Leute, die das jetzt abbauen, bezahle ich dafür.“ Immerhin ist auch Hetzeneggers Schwiegervater Vladimir Redlich bei dem Baukommando dabei, so dass es doch ein bisschen Familiensache bleibt.