Überlebte „Kinder-Euthanasie“Gladbacherin mit Down-Syndrom feiert besonderen Tag

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Zufriedenheit strahlt Josefine Schupp (r.) aus, mit ihrer Schwester Annemarie Maur sieht sie sich gerne Fotos an.

Bergisch Gladbach – Josefine Schupp wird 80. Auf den ersten Blick ein runder Geburtstag, wie es sie viele gibt – aber Josefine Schupps Geschichte ist besonders. Denn die Gladbacherin kam mit dem Down-Syndrom zur Welt. Ihr hohes Lebensalter ist keine Selbstverständlichkeit. Noch vor 30 Jahren starben 90 Prozent der Menschen mit dieser Behinderung noch vor dem Erreichen des 25. Lebensjahres.

Eine herzliche Freundschaft

Josefine Schupp ist aufgeregt, weil jemand von der Zeitung kommt. Sie hat sich extra die Haare schön machen lassen, erzählt sie, von Rosi Schmitz, ihrer Lieblingsbetreuerin im Wohnhaus für Menschen mit Behinderung der WHG Refrath. Die Frauen verbindet eine herzliche Freundschaft. Die langjährige Mitarbeiterin Rosi Schmitz beschreibt ihren Schützling so: „Josefine ist unser Herzblatt. Sie ist ein sehr geselliger Mensch und sehr achtsam und fürsorglich.“ Aber was jedem, der Josefine Schupp das erste Mal trifft, sofort auffällt: Sie hat ein ansteckendes Lächeln, voller innerer Freude.

Als Josefine Schupp am 13. Juni 1939 in Koblenz zur Welt kam, hat niemand geglaubt, dass sie jemals 80 werden würde. „Sie galt als nicht lebensfähig und wurde einen Tag nach der Geburt notgetauft“, erzählt ihre Schwester Annemarie Maur (75). Josefine wuchs mit drei Geschwistern bei der Mutter auf, der Vater war im Krieg gefallen.

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Ein Bild aus der Kindheit: Josefine (3.v.l.) mit ihren Geschwistern Gerti, Annemarie und Peter.

Im Alter von drei Jahren wurde ihre Behinderung festgestellt, die in der Nazizeit eigentlich einem Todesurteil gleichkam. Doch sie überlebte den Euthanasiewahnsinn, weil die Mutter sie versteckte. „Sie ging zwar nie zur Schule und lernte keinen Beruf, aber wir Geschwister brachten ihr Zahlen bei und ihren Namen zu schreiben“, erinnert sich Annemarie Maur. Als die Mutter 1990 an einem Herzinfarkt starb, zog Josefine Schupp zur Familie von Annemarie Maur in Overath: „Sie unterstützte mich im Haushalt, wo sie nur konnte.“

Seit 1977 arbeitete Josefine Schupp in der Behindertenwerkstatt der Lebenshilfe Refrath, wo sie in der Küche half. „Und als vor 25 Jahren das Wohnhaus der WHB eröffnete, war Josefine Schupp eine der ersten, die einzog“, sagt Erzébet Endlein, Referentin der Geschäftsführung. Seit 2004 sei sie Rentnerin, aber immer noch fleißig: „Mit großer Freude erledigt sie kleinere Tätigkeiten in ihrer Gruppe, deckt den Tisch und räumt ab.“ Struktur ist Josefine Schupp wichtig.

Menschen um sich zu haben liebt sie

Bis auf eine leichte Herzschwäche – eine häufige Begleiterscheinung beim Down-Syndrom – geht es der Seniorin gesundheitlich immer noch gut. Bis vor wenigen Jahren ist sie sogar noch mit der WHB verreist – etwa nach Teneriffa. Am besten erinnert sich Josefine Schupp an die Restaurants und netten Kellner: „Schnitzel“ bestellte sie meistens, sagt sie, und lacht schon wieder.

Buchtipp

„Ein Leben ohne Lügen“ ist das anrührende Dokument einer Frau mit Down-Syndrom, die viele Vorurteile auf den Kopf stellt. Dagmar B. schrieb Tagebücher, die direkten Einblick in eine durchaus komplexe Gefühls- und Gedankenwelt des Mädchens gewähren. Die Bergisch Gladbacher Verlegerin Dr. Petra Fohrmann hat die Aufzeichnungen bearbeitet (Fohrmann Verlag, 14,90 Euro).

Josefine Schupp liebt es, Menschen um sich zu haben. Deshalb kommt sie mit Begeisterung zu den täglichen Treffen der Rentner-Gruppe zum Malen, Spielen und Musikhören. „Mein Leben ist gut, so wie es ist“, sagt die Seniorin. Eben ein fast normales Leben mit einem Chromosom mehr. Was sie sich zum Geburtstag wünscht? „Musik, ganz viel Musik“, sagt sie. Und diesen Wunsch erfüllen ihr das Team der WHB und Schwester Annemarie Maur. Das „Duo Pascal“ tritt auf, das im Karneval auch für Menschen mit Einschränkungen singt. Genau das richtige Geschenk zum Achtzigsten. „Eine Acht und eine Null“, wie Josefine Schupp es ausdrückt.

Lebenserwartung steigt

Zum Downsyndrom kommt es, wenn Chromosomen – sie tragen das Erbgut – bei der Zellteilung unregelmäßig verteilt werden. Eigentlich enthält jede menschliche Körperzelle 23 Chromosomen, die jeweils doppelt vorhanden sind. Bei Menschen mit Down-Syndrom ist das anders: Sie besitzen das Chromosom 21 in jeder Körperzelle dreimal statt zweimal. Daher kommt auch der medizinische Name Trisomie 21: Tri für drei und Somie für Chromosom. Menschen, die damit zur Welt kommen, sind in der Regel geistig behindert und haben einen anderen Körperbau.

Die Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom steigt dank des medizinischen Fortschritts immer weiter an. Bis vor 30 Jahren starben drei Viertel der Menschen mit Trisomie 21 vor der Pubertät. Nur zehn Prozent wurden älter als als 25 Jahre. Heute können Menschen mit dieser Behinderung über sechzig Jahre alt werden. 70 Prozent sterben an einer Demenz, sie tritt mit einem Alter von 55 Jahren in der Regel deutlich früher auf, lautet das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2018. (ub)

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