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Integrationsrat im InterviewWir geben den Menschen in Bergisch Gladbach eine Stimme

Lesezeit 6 Minuten
Beteiligte der Veranstaltung halten ein Anti-Rassismus-Plakat in der Hand.

Mit dem Mahnmal für die Opfer der NSU-Terrorgruppe setzte der Integrationsrat, hier bei der Einweihung 2024, ein deutliches Zeichen gegen rechte Gewalt. 

Redouan Tollih, Vorsitzender des Integrationsrats, erklärt, warum es so wichtig ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund an der Wahl zum Integrationsrat teilnehmen. 

Im September finden in NRW Kommunalwahlen statt – zeitgleich wird auch der Integrationsrat der Stadt Bergisch Gladbach neu gewählt. Im Interview erklärt Redouan Tollih, aktueller Vorsitzender des Integrationsrats, warum es so wichtig ist, dass Migrantinnen und Migranten an der Wahl teilnehmen und sich einbringen – auch in die Kommunalpolitik.

Auch in Bergisch Gladbach leben viele Menschen mit einem Migrationshintergrund. Warum ist das Interesse an der Wahl zum Integrationsrat so gering?

Ich glaube, es gibt zwei Hauptgründe. Viele wissen noch nicht, dass sie eine Stimme abgeben können. Oder sie glauben, mit ihrer Stimme können sie nicht viel bewegen. Deshalb veranstaltet der Integrationsrat zusammen mit der Stadt heute Abend die Informationsveranstaltung, mit dem Ziel, sichtbarer zu werden. Für Menschen ohne deutschen Pass ist die Wahl zum Integrationsrat die einzige Möglichkeit, durch ihre Stimme die Politik in ihrer Stadt mitbestimmen zu können.

Der Vorsitzende sitzt an einem Tisch in einem Café´.

Redouan Tollih, Vorsitzender Integrationsrat Bergisch Gladbach.

Ist es zu wenig bekannt, was der Beirat macht?

Viele würden sich gerne engagieren, wissen aber nicht wie. Der Integrationsrat ist kein symbolisches Gremium. Wir können anpacken und etwas bewegen. Und das haben wir in den letzten Jahren auch gezeigt. Wir sind raus aus der Nische zu einem wichtigen, zuverlässigen Partner in der Mitte der Gesellschaft geworden.

Im Stadtrat selbst sitzen nur wenige Menschen mit Migrationshintergrund. Woran liegt das?

Ja, da haben Sie recht. Der Stadtrat bildet nicht die Vielfalt der Stadtgesellschaft ab. 28 Prozent der Menschen, die hier leben, haben einen Migrationshintergrund. Deswegen ist es wichtig, dass die Politik Angebote schafft, um Menschen zu begeistern, mitzumachen bei der Gestaltung unserer Gesellschaft. Aktuell ist das noch ausbaufähig. Aber ich sage ganz offen: Das ist ja in anderen Bereichen auch so. Da müssen Sie sich nur mal die Frauenquote im Stadtrat ansehen. Für Menschen mit Behinderung gilt es genauso.

Wie kann man das ändern?

Ich habe bereits im Sozialausschuss angeregt, nach der Wahl überparteilich darüber zu diskutieren, wie die Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch von Frauen und Menschen mit Behinderung in der Politik gestärkt werden kann. Wir brauchen die Gleichbehandlung. Alle sollten an alle denken. Wir müssen einander helfen, damit keiner auf der Strecke bleibt und wir ein respektvolles Miteinander in der Stadt haben.

Aber andere, das kann man doch auch beobachten, wollen lieber unter sich bleiben. Wie wollen Sie die motivieren, sich zu engagieren?

Das sehe ich nicht so. Ich blicke eher auf das Engagement. Ein gutes Beispiel sind die Internationalen Wochen gegen Rassismus im März. Da haben 20 Migrantenorganisationen, unter anderem Moscheegemeinden oder die griechische Gemeinde, mitgemacht. Man erreicht nicht alle. Aber ich glaube, wenn wir nachfragen, wo liegen Eure Probleme, fühlen sich mehr Menschen angesprochen. Gerade in Gronau gibt es zudem viele Aktionen, die aus der Community selbst kommen.

Können Sie ein Beispiel nennen für die erfolgreiche Arbeit des Gladbacher Integrationsrates?

Ja, da gibt es viele: das Mahnmal „10 + 1 Bäume“ für die Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe NSU auf dem Quirlsberg, die Einbürgerungsfeiern, dass wir die Gründung des Bündnisses für Rassismus und Vielfalt auf den Weg gebracht haben. Das Bündnis umfasst heute schon 35 Initiativen. Dabei hat der Integrationsrat Strahlkraft entfaltet und ein deutliches Signal gesetzt, gegen Ausgrenzung und Rassismus. Wir machen das alles ehrenamtlich, das darf man nicht vergessen. Deshalb bin ich echt stolz darauf, was wir in den letzten Jahren erreicht haben.

Müsste die Stadt nicht mehr tun? Verlässt sie sich beim Megathema Integration zu sehr auf Ehrenamtliche?

Die Stadt macht schon sehr viel. Die große Herausforderung für die Zukunft ist, die Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern. Es passiert so viel, von denen die Menschen in den Stadtteilen nichts wissen. Was läuft gerade im Bereich Integration, Teilhabe, Diskriminierung, Anti-Rassismus? Das Gute ist, dass wir jetzt alle viel besser vernetzt sind.

Was nutzt die schönste Aktionswoche, wenn es zu wenige Wohnungen gibt, etwa für die Geflüchteten, die in den Sammelunterkünften leben müssen?

Dem Integrationsrat ist es ganz wichtig, möglichst viele Menschen aus den Heimen in Wohnungen zu bringen. Da gibt es ja auch Studien zu, die besagen, dass die Integration leichter fällt, wenn man in seinen eigenen vier Wänden lebt. Die Rahmenbedingungen können nur Bund und Land schaffen. Darauf hat der Integrationsrat keinen Einfluss. Wir können nur immer wieder anmahnen, dass wir mehr Wohnraum brauchen. Aber das ist ja nicht nur ein Thema für Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch für Menschen ohne Migrationshintergrund.

Sie sind seit 2014 Mitglied des Integrationsrates. Was hat Sie persönlich motiviert, sich für diese Institution einzusetzen?

Weil ich weiß, wie wichtig es ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur in der Statistik vorkommen, sondern auch in den politischen Entscheidungen. Aktuell ist der Integrationsrat wichtiger denn je. Er gibt Menschen eine Stimme, die leider übersehen werden. Das ist der Grund, warum ich mich einbringen möchte.

Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, dem Integrationsrat mehr politisches Gewicht zu verleihen, indem man ihm eine Beschlusskompetenz einräumt?

Aktuell können wir Anträge in den Fachausschüssen stellen für Projekte, können aber nicht mit abstimmen. Ich würde es tatsächlich begrüßen, unsere Kompetenz zu erweitern. Mitbestimmung sollte auch bedeuten, dass wir in den Ausschüssen abstimmen dürfen. Auf der anderen Seite ist es uns bisher gelungen, alle unsere Anträge und Initiativen durchzubringen.

Gibt es Rassismus in Bergisch Gladbach?

Ja, noch viele Menschen erleben Rassismus in der Stadt. Sie werden   aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder Herkunft benachteiligt. Beispielsweise wenn ein Arbeitskollege, der nicht so gut Deutsch spricht, belächelt wird. Das ist für mich schon Rassismus. Oder wenn eine Frau mit Kopftuch angefeindet wird. Das sind so Themen, die uns in Bergisch Gladbach weiter beschäftigen.

Bereitet Ihnen der Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl Sorgen, der sich auch bei der Kommunalwahl im September zeigen könnte?

Ja, natürlich müssen wir uns darüber Sorgen machen. Es geht um unsere Demokratie. Der Integrationsrat wird zum Beispiel nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Denn wir setzen uns für ein gleichberechtigtes, respektvolles und ein buntes, vielfältiges Miteinander ein. Das sind Werte, die die AfD nicht teilt, belegt durch viele Aussagen und Aktivitäten. Ich hoffe, dass die Menschen sich zahlreich an der Wahl beteiligen und demokratisch wählen. Das ist mein Appell.


Statistik

In Bergisch Gladbach leben 15.000 Menschen mit einem ausländischen Pass, 17.000 sind eingebürgert oder haben durch Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft. Das sind 33.000 Menschen, die den Integrationsrat wählen dürfen.

Bei der Infoveranstaltung, Dienstag, 20. Mai, 17.30 Uhr, Internationale Begegnungsstätte, Lerbacher Weg 4, können sich auch mögliche Kandidaten informieren.