Die Fachberatungsstelle Frauen-Zimmer Burscheid ermutigt Frauen, über Erfahrungen sexualisierter Gewalt zu sprechen.
Sexualisierte GewaltBurscheider Frauenberatungsstelle hilft Betroffenen, ihr Schweigen zu brechen

Sexualisierte und häusliche Gewalt gehen oft miteinander einher.
Copyright: Maurizio Gambarini/dpa (Archivbild)
„Pure Verzweiflung“, steht auf einem Zettel an der Pinnwand. Die Worte stammen von Ada, die eigentlich anders heißt. Sie hat den Zettel aufgehängt, direkt unter einem Schild mit der Aufschrift „Was mich dazu ermutigt hat zu sprechen“. Die Pinnwand ist Teil der Kampagne „Stop the Silence“, auf deutsch „Beende die Stille“, die die Burscheider Fachberatungsstelle Frauen-Zimmer gegen sexualisierte Gewalt an Frauen ins Leben gerufen hat.
Auf der Pinnwand können Betroffene teilen, warum sie begonnen haben von ihren Gewalterfahrungen zu erzählen – und was sich seitdem in ihrem Leben verändert hat. Die Kampagne soll dabei helfen, Erlebtes auszusprechen. „Das Thema sexualisierte Gewalt ist sehr schambesetzt und gesellschaftlich tabuisiert“, sagt Christine Warning vom Frauen-Zimmer. „Für die meisten Frauen ist es eine große Überwindung, überhaupt bei uns anzurufen.“
Sprechen über Gewalterfahrungen hilft bei der Verarbeitung
Auch für Ada war die Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle „ein Riesenschritt“. „Aber ich war so verzweifelt, dass ich einfach über meine Erfahrungen sprechen musste“, sagt sie. Und so ist die inzwischen 24-Jährige im Dezember vergangenen Jahres zum ersten Beratungsgespräch gekommen – nachdem sie es anderthalb Jahre lang in einer toxischen Gewaltbeziehung mit ihrem Ex-Freund ausgehalten habe, ohne irgendjemandem davon zu erzählen. „Die Beratung hat mir geholfen, mein Schweigen zu brechen“, sagt Ada heute. Sie glaubt, dass sie sich vorher getrennt hätte, wenn sie schon früh in der Beziehung über ihre Erlebnisse gesprochen hätte. „Denn dadurch realisiert man, was einem passiert, und verarbeitet es.“
Ada sagt, sie sei von ihrem Ex-Freund manipuliert worden. Er habe ihr starke sexualisierte und häusliche Gewalt angetan, eine Kombination, die laut Beraterin Warning oft vorkommt. Laut Ada bestand ihr ehemaliger Partner auf Sex ohne Kondom, schlug sie, schrie sie an, beleidigte und kontrollierte sie – um sich danach immer wieder zu entschuldigen und Besserung zu versprechen.
Er redete meine Familie und Freunde schlecht und tat alles dafür, dass ich nur noch Zeit mit ihm verbrachte
Außerdem habe der Täter Ada sozial isoliert. „Er redete meine Familie und Freunde schlecht und tat alles dafür, dass ich nur noch Zeit mit ihm verbrachte.“ So sei die junge Frau in ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis geraten, aus dem eine Flucht lange unmöglich schien: „Mein Ex-Partner hat mir immer erfolgreich eingeredet, dass man mir die Gewaltschilderungen nicht glauben würde.“
Schweigen aus Angst
Erzählt hat Ada aber vor allem aus Angst vor ihrem Partner nichts. Sie erinnert sich daran, wie er sie einmal in der Wohnung eingeschlossen hatte. „Ich traute mich nicht, die Polizei anzurufen, weil ich so große Panik davor hatte, was mein Freund dann mit mir machen würde.“ Immer habe sie vergeblich darauf gehofft, dass die Nachbarn etwas bemerken oder ihre Freunde ihren Rückzug hinterfragen würden. „Dann wäre wenigstens das Schweigen um mich herum gebrochen worden“, sagt Ada.
So wie ihr geht es vielen anderen Frauen, die hauptsächlich aus Leichlingen, Burscheid und Wermelskirchen ins Frauen-Zimmer kommen. Das Altersspektrum unter den Klientinnen, erzählt Beraterin Kim Halbach, reiche von Jugendlichen bis hin zu Frauen um die 60 Jahre. Sie kommen laut Christine Warning aus toxischen Beziehungen und haben Missbrauch und Vergewaltigungen erlebt, öfter auch in ihrer Beziehung.

Christine Warning (l.) und Kim Halbach von der Frauenberatungsstelle Frauen-Zimmer stehen vor der Pinnwand ihrer Kampagne Stop the Silence
Copyright: Katarina Machmer
Über Gewalt zu sprechen stößt Veränderung an
„Wir wollen Frauen zeigen, dass sich ihr Leben zum Positiven verändern kann, wenn sie aussprechen, was ihnen passiert ist“, sagt Warning. Ada hat ihre persönliche Entwicklung und die ihres Umfelds auf der Pinnwand festgehalten. „Erleichterung, Stärke, Unterstützung von Freunden“, hat sie etwa geschrieben, und: „Ich verstehe immer mehr und besser, dass mein Leben ohne Täter deutlich schöner, glücklicher und freier ist.“ Ada findet, dass Gewaltvorwürfe von Frauen ernster genommen werden sollten. „Es müsste anerkannt werden, dass Gewalt potenziell ansteigt“, sagt sie. Die 24-Jährige wünscht sich mehr Aufklärung, am besten schon in den Schulen, damit jungen Frauen bewusst werde, „dass auch schon gegen die Tür treten Gewalt ist, die sich steigern kann.“ Mit diesem Wissen, hofft Ada, könnten sich Frauen früher aus der Gewaltspirale befreien.
Auch Kim Halbach vom Frauen-Zimmer hält es für essenziell, über Gewalterlebnisse zu reden – etwa im Hinblick auf besseren Gewaltschutz durch die Justiz. Als Beispiel nennt sie die Kölner Joggerin Yanni Gentsch, die ein Mann heimlich filmte. Wegen ihrer Petition soll im Herbst auf der Justizministerkonferenz beraten werden, ob in Zukunft auch das Filmen von bekleideten anstatt wie bisher bloß von nackten Körperteilen strafbar ist. „Solche Veränderungen in der Gesellschaft können nur passieren, wenn offen über Gewalt gesprochen wird“, sagt Halbach. Ihre Kollegin Christine Warning betont, dass Betroffene dafür aber auch öfter angehört und, wie Ada es fordert, ernster genommen werden müssten. „Wenn man Frauen nicht glaubt“, sagt sie, „dann bringen die besten Gewaltschutzgesetze nichts.“