AusstellungWie der Komponist Karlheinz Stockhausen nach Kürten kam

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Das Foto zeigt die Eröffnung der Stockhausen-Ausstellung im Kürtener Rathaus

Ausstellungseröffnung im Kürtener Rathaus mit Maria Luckas, Suzanne Stephens-Janning, Kathinka Pasveer und Bürgermeister Willi Heider.

Im Kürtener Rathaus befasst sich eine Ausstellung mit Komponist Karlheinz Stockhausen und seinem Leben in Kürten.

Dieses Haus besteht nur aus sechseckigen Räumen, die ineinander verschachtelt sind. Es gibt kein Wohnzimmer, sondern viele Räume und Räumchen für Wohnen, für Essen und für Schlafen, für ein Tonstudio, zum Komponieren und ein großes Atelier. Fernsehen und Radio gibt es nicht. Das Haus ist weiß gestrichen, es hat große Fenster, ein dunkles Holzdach und in allen Räumen Türen, die nach außen führen. Die Dächer sind begrünt. Wie eine Wabe schaut der Grundriss aus. Als selten gewährter Einblick ins Privatleben des berühmten Komponisten Karlheinz Stockhausen (1928–2007) ist dieser Grundriss derzeit im Kürtener Rathaus zu sehen. „60 Jahre Stockhausen in Kürten“ lautet der Titel einer Ausstellung von Gemeinde und Stockhausen-Stiftung, die auch internationale Konzertplakate in großer Zahl vorstellt.

Dieses Foto zeigt Komponist Karlheinz Stockhausen an seinem Wohnhaus in Kürten

Dieses Foto der Stockhausen-Stiftung zeigt Karlheinz Stockhausen an seinem Wohnhaus in Kürten

Es ist ein ungewöhnliches Wohn-, Musik- und Atelierhaus, in dem der Komponist seit der Fertigstellung im Herbst 1965 lebte. Mitten in Grünen, im kleinen Weiler Kettenberg, entstehen über 300 Kompositionen der Weltmusik, bis zu Stockhausens Tod im Dezember 2007. Stockhausen, der zuvor überlegt hatte, auf Sizilien zu leben oder in Finnland auf einer Insel (die er bereits gekauft hatte), brauchte das Haus in Kürten, die Ruhe und die Umgebung für sein Schaffen.

Es gibt eine Vorgeschichte zum Hausbau in Kürten: Nachbarn in Köln gefiel offenbar nicht, was der junge Mann, damals Mitte 30, in seiner Wohnung anstellte. Musik machte er, und dies mit Klängen, die mehr als ungewöhnlich waren.

Neue Heimat in Kürten

Mit Klopfzeichen gegen die Wand sollen sich die Nachbarn gegen den Mieter gewehrt haben, berichtet Kathinka Pasveer, die Musikerin und langjährige Vertraute von Karlheinz Stockhausen. Der Komponist, zu Anfang der 1960er Jahre jung, wild und impulsiv, sah sich gezwungen, eine neue Heimat für seine Kompositionen zu finden.

Da sei ihm eine Zeitungsanzeige aufgefallen für ein Grundstück in der Gemeinde Kürten, im abseitigen Weiler Kettenberg. Stockhausen sei damals mit einem Freund in einem kaputten VW Käfer nach Kürten gefahren, einen unbefestigten Waldweg hinauf, sagt Suzanne Stephens-Janning, wie Pasveer Musikerin und Vertraute des Komponisten.

„Vor ihnen lag eine große Wiese, umrahmt von Tannen- und Mischwäldern. Sie kletterten bis zum höchsten Punkt der Wiese, setzten sich hin aufs Gras, und im Stillen betrachteten sie den herrlichen Südblick über Täler, Bächer und Wälder.“ Der Freund war Ernst Brücher, später Leiter des DuMont-Verlags. Die beiden saßen lange auf der Wiese, ehe Stockhausen fragte: „Na, und? Was meinst du?“ Der Freund antwortete: „Das ist dein Platz.“ Das muss wohl irgendwann im Jahr 1961 gewesen sein.

Einzug im Herbst 1965

Der Rest ist Geschichte: Stockhausen kaufte wenig später das Grundstück auf dem Lande, und nach Plänen des jungen und damals noch unbekannten Architekten Erich Schneider-Wessling entstand das Wohnhaus. Im Herbst 1965 zog der Musiker ein, alleine, ein Jahr zuvor waren provisorisch ein Holzhaus und eine Sauna für den prominenten Eigentümer errichtet worden.

Eigentlich hatte Stockhausen an eine Künstlerkolonie gedacht, später eine Dreierbeziehung führen wollen mit seiner damaligen Ehefrau Doris, den vier gemeinsamen Kindern und seiner Partnerin Mary Bauermeister, der Fluxus-Künstlerin. Aber Doris Stockhausen ist nie in das Haus eingezogen. Mary Bauermeister verließ 1971/72 Kürten.

Räume der Partizipation

Erich Schneider-Wessling, der Anfang der 60er in Bauermeisters Atelier an der Lintgasse in Köln selbst ausgestellt hatte, wurde später Architekt ihres Atelierhauses in Forsbach. Schneider-Wessling griff für sein Kürtener Projekt auf Ideen zurück, die er 1965 (für die nicht gebaute) Montessorischule in Köln entwickelt hatte. Mit den Waben sollten Räume für Partizipation geschaffen werden, sich das Werk und das Leben der drei Hauptfiguren gegenseitig durchdringen.

Hauptplanerin sei Mary Bauermeister gewesen, erinnert sich der Architekt Jahrzehnte später. Bei einer ersten Besprechung Ende Dezember 1961 hielt Schneider-Wessling einen Wohnflächenbedarf von 442 Quadratmetern fest, für Familie, für Musik und für das Atelier von Mary Bauermeister.

Nach vielfältigen Entwürfen und Planungen wird im Winter 1964 mit dem Bau begonnen. Es kommt zu Bauverzögerungen aufgrund Frost und wegen der Komplexität des Projekts. Erst im Oktober 1965 kann der Komponist mit seiner Partnerin Mary Bauermeister einziehen. Als „kleines, komprimiertes Dorf für verschiedene Bewohner, ein zweigeschossiges Dorf, am Hang gelegen“, beschreibt der Architekt seinen Entwurf (in: Musikzeitschrift MusikTexte, Ausgabe 118).

Zuflucht und stille Heimat

Was das Haus für ihn bedeutet, formuliert Stockhausen in einem Brief an den Architekten: „Du kannst dir nicht vorstellen, wie mir dieses Haus nach diesen rastlosen Reisen und Herumjagen und pausenlosem Stadtleben Zuflucht und stille Heimat geben muss.“

Über die Jahre kauft der Komponist Ländereien am Kettenberg hinzu, die Bebauung wird um ein „Musikhaus am Tor“, um „Übezelle“ und „Kompositionsklause“ erweitert. „Wenn ich dann hierhin komme, ist Frieden“, beschrieb Stockhausen in einem Interview zu seinem 60. Geburtstag das Leben in Kürten.

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