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„Jeder kann abdriften“Kölner Neonazi-Aussteiger mahnt Kürtener Schüler

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Das Foto zeigt Axel Reitz

Ex-Neonazi Axel Reitz kam zum Vortrag nach Kürten

Das Internet verführt junge Menschen zum Rechtsextremismus. Einsteiger in die Szene sind immer jünger. Aussteiger Axel Reitz warnte bei seinem Vortrag vor den Folgen.

Wer keinen Bock habe, sagt der Referent salopp, der könne ja auch rausgehen aus der Schulaula. Niemand von den Schülern ging raus. Alle aus der Stufe neun hörten zu.

Das Abdriften eines ganz normalen Schülers in die rechts Szene, in den Extremismus: Das ist die Geschichte, über die der Kölner Neonazi-Aussteiger Axel Reitz am Montag an der Gesamtschule Kürten sprach. Es ist seine Geschichte. Als sogenannter „Hitler von Köln“ war er noch vor anderthalb Jahrzehnten einer der bekanntesten Neonazis Deutschlands.

Mit seinen Vorträgen will Reitz, heute 42, die 13- bis 14-Jährigen warnen. „Jeder kann abdriften“, mahnte er eindringlich. Das Thema Rechtsextremismus, es ist auch im ländlichen Kürten präsent. Über 12 Prozent Stimmenanteil gab es für die in Teilen rechtsextremistische Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) bei der Kommunalwahl im September; ein Rekordergebnis.

Infostand der AfD

Es gibt auch eine Gegenbewegung: Zu Anfang des Jahres organisieren Schüler der Oberstufe eine Demo gegen einen Informationsstand der AfD auf dem Parkplatz in Schulnähe. Im Jahr zuvor hatte die AfD im Kürtener Bürgerhaus getagt, mehrere hundert Gegendemonstranten kamen. In Kürten entstand daraus der Verein für Demokratie und Vielfalt.

„Ihr hattet das Thema noch nicht im Unterricht“, beginnt Lehrerin Astrid Wallenfang ihre Einführung. Der Nationalsozialismus werde erst in Stufe zehn behandelt. Aber es könne ja nicht schaden, schon jetzt informiert zu werden. Denn: „Der Einstieg in die rechte Szene kann schon früher als mit 13 beginnen“, sagt sie im Vorgespräch.

Demokratie als hohes Gut

Immer zum Jahrestag des Gedenkens an die Opfer der Pogrome vom 9. November 1938 in Deutschland wolle die Schule ein Zeichen setzen, auch als „Schule ohne Rassismus“. Die Pädagogin spricht die Schüler direkt an: „Die Demokratie ist ein hohes Gut. Wir profitieren alle davon.“ Das Grundgesetz schütze die freie Meinungsäußerung. „Darum beneiden uns alle auf der Welt.“

Reitz greift die Worte der Pädagogin auf. „Der Einstieg in die Szene kann früh beginnen“,sagt er. Er sei auch erst 14 gewesen, als er zum ersten Mal auf einer Versammlung der rechtsextremen NPD in Köln gegangen sei. Aus Frust über eine Lehrerin, die ihm in einer Schularbeit die Präsentation dieser rechten Parteien verboten habe.

Soziale Medien entscheidend

Schnell sei viel mehr daraus geworden, Anerkennung und Wertschätzung. Die rechte Blase nahm ihn gefangen. Heute, sagt Reitz, gehe alles über den Algorithmus im Internet. Wer in den sozialen Medien aus Neugierde einen Inhalt einer rechtsextremistischen Partei anklicke, erhalte immer wieder aufs Neue rechtsextreme Inhalte. Das Triggern gehe immer weiter und werde intensiver.

Ohne sich zu schützen, gerate man in diese Filterblase. Es ist ein Strudel, aus denen die Heranwachsenden kaum mehr herausfinden würden. Gerade in sozialen Medien ist die „Alternative für Deutschland“ intensiv unterwegs. Schulleiter Dr. Markus Hintze-Neumann betont ebenfalls die Bedeutung des Vortrags. Er diene der Demokratieförderung im weitesten Sinne.

Der Einsatz gegen Extremismus sei ein Pfeiler der schulischen Arbeit an der Kürtener Gesamtschule. Das Aushöhlen der demokratischen Grundordnung, immer wieder reflektierte auch Reitz diesen Ansatz.

Frage an die Schüler

„Was hättet ihr an meiner Stelle dann gemacht?“, fragte der Vortragende in die Runde. Sein Vater habe auf Linie der Lehrerin gelegen und keine Widerworte von ihm zugelassen. „Die Mitschüler gefragt oder die Nachbarn“, kommt als Antwort aus der Runde. „Damit seid ihr deutlich klüger als ich damals“, sagt der Aussteiger. Er sei zur NPD-Versammlung gegangen, eine schlechte Entscheidung. „Und dort seien auch keine kahlrasierten Männer in Bomberjacken gewesen. „Alles Menschen, die im Beruf erfolgreich waren. Das hat mir damals imponiert.“

Die Schülerinnen und Schüler hören aufmerksam zu in den zwei Schulstunden, stellen noch einige Fragen. „Auch aus gutem Elternhaus kann man in die Szene abgleiten“, gibt der Referent allen mit auf den Weg. Als Mahnung und Warnung am Tag nach dem 9. November.