Ein spektakulärer Mordprozess wird wegen gravierender Fehler in der Beweisführung neu aufgerollt.
BGH sieht gravierende FehlerMordprozess gegen Odenthalerin wird im Dezember neu aufgerollt

Angeklagte im Prozess um den mutmaßlichen Mord an ihrem Ehemann, beim Prozessauftakt 2020 vor dem Landgericht Köln.
Copyright: Bernhard Krebs
Einer der rätselhaftesten Fälle, der in jüngster Vergangenheit vor dem Kölner Landgericht um den gewaltsamen Tod eines Odenthalers (63) verhandelt wurde, wird ab Dezember neu aufgerollt. Das teilte die Pressestelle des Landgerichts auf Nachfrage dieser Zeitung mit. Ab dem 10. Dezember wird sich die Witwe (66) des damals zu Tode gekommenen Mannes wegen Mordes vor der 21. Großen Strafkammer unter Vorsitz von Alexander Fühling einem erneuten Prozess stellen müssen. Eine erste Verurteilung der 66-Jährigen im März 2020 wegen Totschlags zu acht Jahren Haft war 2021 vom Bundesgerichtshof (BGH) aufgehoben worden. Der für das damalige Urteil verantwortlichen 4. Großen Strafkammer am Landgericht unter Vorsitz der mittlerweile pensionierten Richterin Ulrike Grave-Herkenrath hatten die Karlsruher Richter grobe Fehler in der Beweisführung attestiert und den Fall zur Neuverhandlung ans Landgericht zurückverwiesen.
Angeklagte wurde Mai 2021 aus der Untersuchungshaft entlassen
Dass der Fall nach der Aufhebung durch den BGH mehr als vier Jahre nicht neu angesetzt wurde, hat seinen Grund in der damaligen Überlastung der 21. Großen Strafkammer. Die war, als der Fall bei ihr landete, mit den Vorbereitungen des Raubprozesses gegen Deutschlands wohl berühmtesten Schwerverbrecher und früheren Reemtsma-Entführer Thomas Drach ausgelastet. Da mit einer schnellen Neuauflage nicht zu rechnen war, war die 66-Jährige dann im Mai 2021 nach knapp zweijähriger Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt worden.
Rückblende: Am ersten Prozesstag Anfang Februar 2020 erschien die damals 62-Jährige guten Mutes. Sie lächelte, winkte Bekannten im Zuschauerbereich zu, umarmte gar einen ihrer Verteidiger. Bei der Urteilsverkündung anderthalb Monate später im März schüttelte die Odenthalerin wiederholt den Kopf, brach in Tränen aus, wirkte, als wolle sie sich am liebsten die Ohren zuhalten. Bis zuletzt hatte sie die Tat nachdrücklich bestritten. Dennoch war das Gericht in dem Indizienprozess zu dem Ergebnis gekommen, dass nur die Angeklagte ihren Mann am frühen Morgen des 17. Juni 2019 erstochen haben könne.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen Mordes verlangt
Allerdings sah sich das Gericht außer Stande „zu allen Facetten der Tat“, wie es in der Urteilsbegründung hieß, eine Aussage zu machen — eine Feststellung, die der BGH der 4. Großen Strafkammer in der Urteilsaufhebung regelrecht um die Ohren haute. Denn Grave-Herkenrath und ihre Kammer hatten weder den genauen Tatort noch Tatzeit oder Tatwaffe benennen können, und stattdessen die Frau auf Hypothesen basierend des Totschlags für schuldig befunden, wie die BGH-Richter rügten. Eine der Hypothesen lautete, dass es in der Nacht zu einem „eruptiven Streit“ zwischen den Eheleuten gekommen sei, in dessen Verlauf die Angeklagte ihren Mann erstochen habe.
Was aber Anlass oder Gegenstand des Streits gewesen sein sollte, darüber schwieg sich die Kammer aufgrund fehlender Erkenntnisse aus. Die Staatsanwaltschaft hatte bis zuletzt eine Verurteilung wegen heimtückischen Mordes verlangt; die Verteidiger der 66-Jährigen, Dr. Karl-Christoph Bode und Ingmar Rosentreter, hatten hingegen auf Freispruch plädiert.
Der Mann starb auf der Fahrt ins Krankenhaus
Die Angeklagte hatte ausgesagt, dass sie ihren Ehemann am Morgen des 17. Juni schlafend auf dem Sofa im Wohnzimmer aufgefunden habe. Als ihr Mann dann wenig später wach geworden sei und habe aufstehen wollen, sei er zu Boden gefallen. Erst da habe sie die Stichwunde in der Brust ihres Mannes bemerkt und sogleich den Notruf alarmiert. Auf der Fahrt ins Krankenhaus war der 63-Jährige dann gestorben. Gegenüber den Notfallsanitätern hatte der 63-Jährige keine Angaben darüber gemacht, was ihm widerfahren war.
Äußerlich war für die 66-Jährige beim Auffinden ihres Mannes auch kein Blut wahrzunehmen, da die Stichwunde, wie es später im rechtsmedizinischen Gutachten hieß, nach innen geblutet hatte. Als sie ihren Mann gefragt habe, was passiert sei, habe der nur geantwortet: „Ich bin ins Stöckchen gefallen.“ Gemeint war damit der Holzgriff einer Rückenbürste, mit dem der Angeklagte ständig herumhantiert habe.
Doch als Tatwaffe schied das „Stöckchen“ glasklar aus. Vielmehr kam nur ein „langer, stabiler, scharfkantiger Gegenstand“, wie ein Messer, in Frage. Auch habe der Stichkanal, der von der linken Achselfalte 18 Zentimeter tief von oben nach unten und leicht zum Rücken hin geneigt verlief, realistisch betrachtet nicht von einem Sturz herrühren können, hatte die Rechtsmedizinerin in dem Prozess gesagt: „Das wäre eine akrobatische Meisterleistung.“ Die Rechtsmedizinerin hatte auch ausgeschlossen, dass der Täter hinter dem Opfer gestanden haben könnte.
Eine Verletzung im Liegen hatte die Medizinerin ebenso ausgeschlossen wie eine Selbstverletzung. Am wahrscheinlichsten erschien hingegen ein Stich, der dem stehenden Opfer von vorne von einem Rechtshänder zugefügt wurde. Für die Kammer gab es am Ende aber nur eine schlüssige Antwort: „Nur Sie kommen als Täterin in Frage“, hatte Grave-Herkenrath betont. Die 21. Große Strafkammer hat für die Neuverhandlung des Prozesses nun zehn Verhandlungstage angesetzt. Nach derzeitiger Planung soll am 13. Januar 2026 ein Urteil in dem rätselhaften Fall gesprochen werden.