Demo gegen „Prinzen“Nach Odenthal geflüchteter Jeside kämpft für die Rechte seines Volkes

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Mehrere Demonstrierende stehen hinter dem Redner und halten Schilder.

Viele Jesiden beteiligten sich an der Demonstration gegen den „Prinzen“.

Hamed Abdo ist Jeside und aus Kurdistan nach Odenthal geflüchtet. Doch auch hier fühlt er sich unter Druck gesetzt.

Die großen – und wichtigen – Probleme, die die Weltbevölkerung aktuell beschäftigen, finden in der breiten Öffentlichkeit viel Gehör. Doch neben den weltbewegenden Ereignissen gibt es weniger beachtete Probleme, die die Welt von vielen Menschen dennoch erschüttert. Oft im Stillen, ohne mediale Aufmerksamkeit, mit wenig Mitgefühl und noch weniger Hilfe.

Ein Problem, das von hier aus klein und weit weg scheint, ist Hamed Abdo ganz nah. Er ist Jeside und wohnt seit 2015 in Odenthal. Im Irak wurde er politisch verfolgt und floh deswegen mit seiner Familie über das Sinja-Gebirge nach Deutschland. Zu seiner Fluchtgeschichte sagt er: „Über das, was ich erlebt habe, könnte ich nicht Stunden, sondern Monate oder Jahre reden.“ Er habe als Agrar-Ingenieur und Gutachter für das Ministerium für Agrarpolitik im Irak gearbeitet, bevor er mit seiner Frau und den acht Kindern geflohen sei.

Abdos Familie wurde auf der Flucht getrennt

Dabei wurde die Familie getrennt, seine Frau blieb mit vier Kindern zurück. Mit Hilfe des Odenthaler Sportwissenschaftler Professor Dietrich Quanz gelang es Abdo, den Rest seiner Familie einige Zeit später zu sich nach Odenthal nachzuholen. Zwei Onkel von Abdo seien erschossen worden und seine Eltern wohnen immer noch im Irak. Die Erinnerung an die Flucht verfolgten ihn und ließen ihn nicht schlafen, sagt er.

Hamed Abdul steht vor einer weißen Wand.

Hamed Abdul kämpft für die Rechte seines Volks.

Als 2014 der Genozid durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) an der religiösen und ethnischen Minderheit bekannt wurde, war der Aufschrei groß. Der Bundesgerichtshof hat zwar erst kürzlich den Völkermord des IS als eben diesen anerkannt, doch griff die mediale Berichterstattung das kaum mehr auf. Das Bewusstsein darüber, dass die Jesiden im Irak nicht nur unter dem IS litten, sei gering. Sie würden auch von den Kurden verfolgt, die ihre politischen Interessen mit aller Macht durchsetzen wollten.

Abdo kämpft von Odenthal aus weiter für sein Volk. Er gründete kurz nach seiner Ankunft in Deutschland eine Gruppe für unabhängige Jesiden und organisierte erst vor kurzem eine Demonstration gegen den jesidisch/kurdischen „Prinzen“ Beg in Bergisch Gladbach. Der „Prinz“ war in Deutschland unterwegs, um sich im Namen der Jesiden mit Politikerinnen und Politikern zu treffen. Es haben sich etwa 100 Jesiden an dem Protest beteiligt. Die schwankende Zahl käme zustande, da nicht alle Teilnehmenden von Anfang bis Ende dabei waren.

Der Kampf für die Rechte seines Volks geht auch in Odenthal weiter

„Ich bin sehr froh, dass wir hier unsere Identität und Religion so ausleben und unsere Meinung sagen können, wie wir es möchten“, sagt er. Das sei in seiner Heimat nicht so einfach gewesen. Der Großteil der Jesiden im Irak lebt in der autonomen Region Kurdistan. Hier regieren zwei kurdische Parteien, die von der jesidischen Bevölkerung verlangen, dass sie sich selbst als Kurden identifizieren.

„Das sind wir aber nicht. Wenn wir sagen würden, wir sind Kurden, würden wir unsere Identität und Religion verleugnen“, sagt Abdu und erklärt weiter: „Die Politik schickt immer wieder Menschen nach Europa, die sich angeblich für die Jesiden einsetzen. Aber sie bezeichnen sich selbst als Kurden und verlangen das auch von uns“, sagt Abdo. Das gelte auch für den „Prinzen“ Beg: „Er ist nicht unser Prinz.“ In der Reise des Prinzen sieht Abdo die Absicht, Jesiden, die hier wohnen, unter Druck zu setzen und ihnen über ihren Kopf hinweg in der Öffentlichkeit die kurdische Identität zuzuschreiben.

So würde die kurdische Regierung auch in Europa Strukturen schaffen, die das kleine Volk unter Druck setzten. Denn viele Jesiden haben noch Familie im Irak „und denen drohen Konsequenzen, wenn wir uns hier nicht so verhalten, wie die Regierung sich das wünscht“, sagt der Aktivist.

Die Gruppe wolle nicht viel: „Wir wollen nur, dass Menschen mitbekommen, was passiert. Dass die Kurden uns auch verfolgen. Wie kann es sein, dass unsere Mädchen und Frauen entführt werden und niemand interessiert sich dafür?“ An diesen Verschleppungen würden viele junge Menschen so verzweifeln, dass sie sich selbst töteten. Abdo sagt weiter mit belegter Stimme: „Wir wollen einfach ohne Konsequenzen sein, wer wir sind.“


Glauben an eine Seelenwanderung

  • Das Jesidentum ist eine eigenständige, monotheistische Religion, deren Wurzeln bis ungefähr 2000 Jahre vor Christus zurückgehen. Jesiden-Experten sehen den Ursprung in einer alt-iranischen Ur-Religion, von der ähnliche Schöpfungsmythen sowie die Engellehre und die Verehrung der Sonne überliefert wurden.
  • Im Jesidentum wird nicht missioniert und Menschen anderer Religionen können nicht zum Jesidentum konvertieren.
  • Jesiden glauben an Seelenwanderung. Das heißt, dass das Leben nach dem Tod nicht endet, sondern, dass es nach einer Seelenwanderung einen neuen Zustand erreicht.
  • Die Glaubensvorstellungen, Gebete und Traditionen der Jesiden werden seit Jahrhunderten mündlich weitergegeben, es gibt keine verbindliche Schrift, wie etwa die Bibel oder den Koran.
  • Deutschland ist neben dem Iran der größte Ankerpunkt für Jesiden. Hier leben zwischen 150.000 und 250.000 Jesiden in der Diaspora. (abr) 
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