Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

PädagogikIm beharrlichen Kampf gegen die Ammenmärchen

Lesezeit 2 Minuten

Alexandra Höller coacht „artgerechte“ Erziehung.

Burscheid – Bei dem Buchtitel „artgerecht“, den Nicola Schmidt für ihr Buch über den etwas anderen Umgang mit Babys wählte, musste Alexandra Höller anfangs stutzen.

Krankenschwester, Stillberaterin, Beckenbodentrainerin

Doch die Krankenschwester, Still- und Laktationsberaterin, Beckenbodentrainerin und stolze Mutter von fünf Kindern, war nach der Lektüre so überzeugt von der Idee der „artgerecht gehaltenen“ Babys, dass sie Kurse bei Schmidt besuchte und nun als Coach mit werdenden und jungen Eltern arbeitet.

Belesene, aber verunsicherte Eltern

In der Buchhandlung Hentschel stellte die Wermelskirchenerin die Idee vor. Das Buch greift auf, was nach aktueller Studienlage medizinisch sinnvoll ist, was Naturvölker tun und was ein evolutionär sinnvolles Verhalten sein könnte. „Junge Elter sind oft sehr verunsichert“, weiß Höller. Ihr intuitives Wissen werde durch zahlreiche Ratschläge, die sie lesen oder hören, verdrängt. Die „Ammenmärchen“ tragen nicht umsonst ihren Namen. Aber dass sie nach wie vor so beharrlich in der Gesellschaft verbreitet werden, obwohl vielfach von der Wissenschaft widerlegt, ärgert Höller.

Das Smartphone als Konkurrent

Sätze wie „Schreien stärkt die Lunge“ will sie so nicht stehen lassen. Schreien könne auch schädlich sein, ihrer Erfahrung nach brauchen Babys vor allem Menschen. Die Zuwendung sei etwas, das Kinder einforderten. Massiv werde das durch den ständigen Blick auf das Smartphone gestört. „Das Kind sucht den Blickkontakt , will ein Band knüpfen und zeigen, dass es das Wichtigste im Leben der Eltern ist“, sagt Höller. Mit dem Gerät aber trete es in Konkurrenz. In einer Kölner Klinik habe sie Mütter gebeten, das Handy vor dem Stillzimmer abzugeben. Mitunter hätten die Mütter lieber an einem anderen Ort gestillt, um das Handy nicht abzugeben.

In ihren Kursen klärt sie auf, was das Neugeborene erwartet. „Hautkontakt ist ganz wichtig“, sagt Höller. Der Mensch sei ein Rudeltier. Aber die Erfahrung, die man früher in der Großfamilie über das Geborenwerden, Stillen und Großziehen mitbekommen habe, komme in der modernen Gesellschaft immer häufiger abhanden.

Bindungsunfähigkeit quer durch alle Schichten

„Es gibt viel Theorie. Eine Patientin hatte mehr Fachbücher als ich“, erklärt Höller. Aber angesichts der Informationsflut seien die Eltern nicht selten überfordert, trauten sich nicht, auf die innere Stimme zu hören.

Quer durch alle Schichten gebe es das Phänomen der Bindungsunfähigkeit. Es gebe die hochgebildete Frau, die Nähe zum Neugeborenen nicht zulassen könne. Und es gebe die 16-Jährige, die die Bindung ganz selbstverständlich zulasse. Aus der Erziehung kein Dogma, keine Esoterikveranstaltung zu machen, das ist Höller wichtig. „Eigentlich zeigen die Kinder uns alles, was sie brauchen – wenn man sich drauf einlässt. Meine Kinder zeigen mir, wie das Leben funktioniert.“