Bis Dienstagabend wurden alle Aktivisten von der Polizei aus dem Wald gebracht. Keine größeren Zwischenfälle.
Ohne ZwischenfällePolizei räumt das Sündenwäldchen in Kerpen

Die Polizei räumt die Baumhäuser im Sündenwäldchen bei Kerpen-Manheim-alt am Rand des Tagebaus Hambach
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Gegen zehn Uhr sind ein paar Schüsse oder Detonationen zu hören, dann steigt über einem Teil des rund einen Kilometer entfernten Hambacher Forstes kurz schwarzer Rauch auf. Auf einer Zufahrtsstraße in den Wald habe jemand Barrikaden entzündet, heißt es später. Auch ein paar Behältnisse, die Sprengstoff enthalten könnten, hatten die Polizei noch stutzig gemacht. Doch diese hätten sich als Attrappen erwiesen, so eine Sprecherin am Nachmittag. Ansonsten verlaufe die Räumung des sogenannten Sündenwäldchens bei Alt-Manheim friedlich und gewaltlos.
Seit rund einem Jahr halten sich in dem nur noch rund einen Hektar großen Waldstück Umweltaktivisten auf. Sie haben, wie seinerzeit im Hambacher Forst, Baumhäuser gebaut und leben darin. Doch während der Hambacher Forst so gerettet werden konnte, soll das Sündenwäldchen weiter dem Tagebau Hambach weichen. Das Gelände wird benötigt, um Erdmassen für den Aufbau von sicheren und stabilen Böschungen des geplanten Hambach-Sees zu gewinnen, heißt es bei RWE Power. Das Unternehmen betont, „über alle erforderlichen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Genehmigungen und Erlaubnisse“ für die Rodung zur verfügen.
Auch eine Klage der Umweltorganisation BUND konnte dagegen nichts mehr ausrichten: Sie war im Januar 2025 vom Oberverwaltungsgericht Münster abgelehnt worden, sodass schon Anfang 2025 rund zwei Drittel des Sündenwäldchens gerodet wurden. Seitdem wissen alle Beteiligten, dass in diesem Herbst oder Winter auch der Rest fällig ist.
Mahnwache ist vom Versammlungsrecht geschützt
„Das war abzusehen“, sagt Timo, einer der Bewohner einer Mahnwache in Alt-Manheim. Die Mahnwache ist vom Versammlungsrecht geschützt. Im Laufe des Tages finden sich hier immer mehr Unterstützer der Waldbesetzer ein. Schon seit Tagen habe man beobachtet, wie auf einem Gelände nahe der Kartbahn Teleskop-Bühnen und andere schwere Maschinen für den Einsatz zusammengezogen wurden.
In der Nacht zum Dienstag, morgens um 5 Uhr, geht es dann los: Polizei und Sicherheitsleute von RWE, insgesamt sollen es rund 400 bis 500 Einsatzkräfte sein, umstellen den Wald und riegeln das Gelände drumherum ab. Schon vor acht Uhr wird die erste Person von einem Gerüst vor dem Wald von der Polizei heruntergeholt. 20 bis 30 Protestler sollen noch im Wald sein. Teilweise sitzen sie in den circa zehn Baumhäusern und protestieren mit Sprechchören und Schreien gegen die sich annähernden Polizisten.

Polizisten holen einen Aktivisten mit einem Kran aus dem Sündenwäldchen am Hambacher Forst. Mit einem Großeinsatz hat die Polizei begonnen, ein letztes von Aktivisten besetztes Waldstück am Braunkohle-Tagebau Hambach im Rheinischen Revier zu räumen.
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Um 10 Uhr wird eine weitere an einem Seil in etwa sechs Meter Höhe hängende Person mithilfe eines Hubsteigers von Polizisten erreicht und lässt sich dann wegtragen, ohne großen Widerstand zu leisten. Dies lässt sich von einem rund 50 Meter entfernten Platz beobachten, den die Polizei extra für die angereisten Medienvertreter eingerichtet hat. Näher dürfen diese sich „aus Sicherheitsgründen“ nicht dem Wald nähern.
Überhaupt erscheint der Einsatz, bei dem die Polizei des Rhein-Erft-Kreises federführend ist, gut vorbereitet. Zelte sind aufgebaut worden, Toilettenhäuschen platziert. Per Megafon werden die Waldbewohner aufgefordert, sich bei der Räumung friedlich zu verhalten, während schon die ersten Bäume gefällt und Bretterbuden eingerissen werden.
Anzeige wegen Hausfriedensbruch
Auch Polizei-Pressesprecher Hauke Weigand kann dabei nicht einschätzen, wie lange die Räumungsaktion wohl dauern wird. Möglicherweise zieht sie sich bis in die nächsten Tage hinein. Die im Wald festgenommenen Personen würden erkennungsdienstlich behandelt und dann wieder auf freien Fuß gesetzt, erläutert einer seiner Kollegen. „Danach gibt es eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.“
Vor Ort sind auch drei grüne Landtagsabgeordnete, die als „Parlamentarische Beobachter“ näher an das Geschehen herandürfen. Antje Grothus ist eine von ihnen. Für die Buirerin, die den Protest im Hambacher Forst über Jahre begleitet und unterstützt hat, ist es ein „bitterer“ Moment, wie sie sagt. „Ich habe mir gewünscht, keine Räumung im Wald mehr erleben zu müssen.“ Es hätte Alternativen gegeben, meint sie. „Die Manheimer Bucht hätte verhindert werden können, wenn die Stadt Kerpen mehr Widerstand geleistet hätte.“ In der Bucht, die Teil des Sees wird, liegt das Sündenwäldchen. Die Rodung sei „betriebswirtschaftlich“ gesehen einfach nur die „günstigste Entscheidung für RWE“.
Anders sei es in der Nachbarstadt Merzenich gelaufen, welche eine Verkleinerung des geplanten Sees durchgesetzt habe. So habe Alt-Morschenich gerettet werden können. Ähnlich ist der Tenor bei Fabian Kahl, Bundestagsabgeordneter der Linken aus Aachen. Er wirft RWE vor, „Konzerninteressen mit dem Ziel der Profitmaximierung“ auf Kosten der Natur durchsetzen zu wollen. Auch die Kerpener Grünen protestieren: Das Sündenwäldchen sei ein wichtiger ökologischer Trittstein. Den Wald abzuholzen, nur um den darunter liegenden Kies und Sand zu gewinnen, sei nicht akzeptabel.
Ich habe mir gewünscht, keine Räumung im Wald mehr erleben zu müssen.
An der Mahnwache sind mittlerweile rund 100 Personen versammelt. Auch Hermann Memmersheim ist gekommen und diskutiert dort mit den Umweltschützern. Eine Frau empört sich darüber, dass zeitgleich mit der Weltklimakonferenz im Brasilien hier in Manheim ein wertvolles Ökosystem zerstört werde. Memmersheim, der selber aus Alt-Manheim kommt und umgesiedelt wurde, sieht das nicht so dramatisch. Man sei als Manheimer damals von RWE gut entschädigt worden, betont er. Darüber, dass nun um das Sündenwäldchen so ein großer Aufwand gemacht werde, könne er „nur mit dem Kopf schütteln“.
Derweil setzt auch RWE selber ein Zeichen. Während die Räumung im vollen Gang ist, setzt es seinen gigantischen Schaufelradbagger in Bewegung, der nur rund 200 Meter entfernt steht: Die Schaufeln graben sich in das Erdreich in Richtung Wald. Allen ist klar: Die letzten Tage des Sündenwäldchens sind gezählt. Die Räumung der Aktivisten ist am Dienstagabend beendet.

