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Sportlerwahl Rhein-ErftRadprofi Marcel Wüst im Interview: „Sport wappnet für das Leben“

Lesezeit 6 Minuten
Profilfoto von Marcel Wüst in Rennradkleidung.

Marcel Wüst, Radrennfahrer aus Bergheim-Glessen.

Über die Bedeutung des Sports für die persönliche Entwicklung und seinen Einsatz für die Sportlerwahl Rhein-Erft sprach Radprofi Marcel Wüst.

Bei der Sportlerwahl im Rhein-Erft-Kreis läuft das Voting. Sie, liebe Leserinnen und Leser, können mit Ihrer Stimme die Sportlerinnen, Sportler und Mannschaften unterstützen.

Die Sportlerwahl, die von dieser Zeitung, der Kreissparkasse Köln und dem Kreissportbund veranstaltet wird, hat zudem prominente Paten. Neben der Schirmherrschaft, die Landrat Frank Rock übernimmt, sind der Profifußballer Florian Wirtz und seine Schwester Juliane Wirtz, beide bei Bayer 04 Leverkusen unter Vertrag, die Olympiasiegerin 2004 im Hockey, Marion Rodewald und der ehemalige Radprofi Marcel Wüst dabei.

Mit Wüst sprach Wolfram Kämpf.

Herr Wüst, Sie blicken auf eine lange Radsport-Karriere zurück und haben einige Pokale, Trikots und Urkunden gewonnen. Welche Trophäe ist Ihnen am liebsten?

Wüst: Ehrlich gesagt, bin ich kein großer Sammler von Pokalen und Medaillen. Das gilt sogar für die Trophäen meiner 14 Grand-Tour-Siege. Ich habe zu Hause nur drei Pokale aufbewahrt. Die Skulptur für einen Etappensieg bei der Vuelta, die einen stilisierten Fahrer zeigt und einfach schön ist. Dann einen Löwen, den ich im spanischen Léon gewonnen habe. Das Ding passt zu mir, weil der Löwe mein Sternzeichen ist.

Und außerdem steht da noch der Pokal von meinem allerersten Sieg, den ich 1979 in Köln-Lindweiler beim Rennen „Rund um den Lino-Club“ gewonnen habe. Das war kurz vor meinem zwölften Geburtstag, in der Schülerklasse B. Eine Menge Trophäen habe ich im Laufe der Jahre verschenkt, weil sie ganz einfach nicht ins Gepäck passten. Manche stehen irgendwo in spanischen Radsportgeschäften, weil ich den dort tätigen Mechaniker mit einem Pokal oder Trikot eine Freude machen konnte.

Haben Sie einen besonderen Ort für die drei Erinnerungsstücke in Ihrem Haus?

Die Pokale stehen auf einem Sideboard im Untergeschoss, wo ich mein Equipment aufbewahre. Manchmal schaue ich sie mir an, manchmal sehe sie aber auch wochenlang nicht, wenn ich auf Mallorca bin, wo ich Radsport-Camps organisiere. Ganz ehrlich, auch wenn ich diese Trophäen nicht mehr hätte, wäre das kein Drama. Es geht ja letztlich nicht darum, sich die Regale vollzustellen, sondern darum, Erinnerungen zu schaffen. Die habe ich im Kopf, wo sie mir niemand nehmen kann.

Ist denn eine Auszeichnung durch die Öffentlichkeit wie bei der Sportlerwahl im Rhein-Erft-Kreis von besonderem Wert?

Ja klar. Das ist ein Grund, besonders stolz zu sein. Rennen, Meisterschaften und Wettbewerbe gewinnt man als Sportler für sich selbst, für sein Team und sein Umfeld. Aber Erfolge werden noch größer, wenn sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, wenn man die Wertschätzung der Allgemeinheit erfährt. 1999 bin ich zu Kölns Sportler des Jahres gewählt worden. Das war schon cool.

Ich hatte in dem Jahr in sechs Tagen vier Etappen der Spanienrundfahrt gewonnen und wurde als der kölsche Sunnyboy gefeiert. Das habe ich genossen, denn ich stand immer zur Message dieser Stadt und habe gemerkt, dass ich die Herzen der Leute erobert habe, weil ich einfach authentisch war.

Was würden Sie jungen Menschen mitgeben, warum lohnt es sich, Sport intensiv zu betreiben?

Weil es keine bessere Schule für das Leben gibt. Im Leistungssport lernst du deine Lektionen schnell und ziemlich jung. Noch bevor diese Erfahrung in Job und Schule gefragt ist. Die Quintessenz besteht darin, dass vor dem Erfolg immer harte Arbeit steht. Du musst losgehen, die ersten Meter machen, um ein Ziel zu erreichen.

Und im Teamsport lernst du den Umgang mit anderen. Zusammenhalt und eine klare, konstruktive Kommunikation. Auch gegenüber Vorgesetzten. Genau daran hapert es vielerorts in Unternehmen. Es fehlt an Offenheit. Das erfahre ich immer wieder, wenn ich bei Firmen Businessvorträge halte. Kurz gesagt, wer Sport betreibt, ist besser für das Leben gewappnet.

Ist diese Erkenntnis auch ein Grund für Ihr erneutes Engagement als Botschafter bei der Sportlerwahl im Rhein-Erft-Kreis?

Selbstverständlich. Mir ist es wichtig, diese Botschaft zu verbreiten. Aber Sport ist nicht nur eine tolle Vorbereitung auf das Leben. Sport macht Spaß und was gibt es Besseres, als die Perspektive, mit dem geliebten Hobby den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Entscheidend ist letztlich der Versuch, dieses Ziel zu erreichen, der Willen, einmal häufiger aufzustehen als hinzufallen.

Bei Ihnen hat der Radsport das gesamte Leben geprägt. Nach Ihrer aktiven Zeit waren Sie als Kommentator und Team-Pressesprecher aktiv und nun richten Sie Radsport-Camps auf Mallorca aus. Was wäre ohne den Sport aus Ihnen geworden?

Ich hätte wahrscheinlich den Isolierbetrieb meines Vaters übernommen und wäre ein erfolgreicher Unternehmer. Das Geschäft ist aber auch so in guten Händen.

Dann wären Ihnen jedoch wohl auch die schweren Unfälle, die Sie unter anderem das Sehvermögen auf einem Auge gekostet haben, erspart geblieben.

Daran habe ich nie einen Gedanken verschwendet. Wenn man im Krankenhaus liegt und es einem schlecht geht, überlegt man schon mal, was gewesen wäre, wenn man nicht rechts, sondern links herumgefahren wäre. Aber grundsätzlich bin ich nicht der Typ, der ständig zurückblickt und im Konjunktiv lebt. Ich habe immer meine Träume verfolgt und das hat sich ausgezahlt.

Als kleiner Junge habe ich natürlich nicht von den Leiden und Anstrengungen im Training geträumt, sondern nur von dem Moment, bei der Tour de France auf der Bühne zu stehen und als Sieger in die Menge zu winken. Darauf habe ich gewartet, bis ich 32 Jahre alt war. Aber als es so weit war, war das Gefühl jeden Rückschlag, jede nicht gegessene Fritte, jedes Training bei Regen wert. Tausende Profis träumen von genau diesem Moment. Das zu erleben, ist ein Privileg, das man mit Geld nicht kaufen kann.


Zur Person

Marcel Wüst auf einem Rennrad in Aktion.

Marcel Wüst, Botschafter für die Sportlerwahl Rhein-Erft-Kreis, Radprofi

Marcel Wüst (55) ist einer der Botschafter der Sportlerwahl Rhein-Erft. Er wuchs in seiner Geburtsstadt Köln auf. In den 90er Jahren nahm seine Radsportkarriere Fahrt auf. Wüst, der in Bergheim-Glessen lebt, avancierte zu einem der weltbesten Sprinter. Seinen drei Etappensiegen bei der Spanienrundfahrt 1995 ließ er elf Tagessiege bei den großen Rundfahrten Tour de France, Giro d’Italia und Vuelta a España folgen.

Bei der Tour de France 2000 trug er vier Tage das „Gepunktete Trikot“ des besten Bergfahrers und zwei Tage das „Grüne Trikot“ des besten Sprinters. Am 11. August 2000 stürzte Wüst in Issoire (Frankreich) infolge eines Zusammenstoßes bei hoher Geschwindigkeit. Er zog sich schwere Kopfverletzungen zu und verlor sein rechtes Augenlicht. Anschließend arbeitete Wüst als TV-Experte und Pressesprecher. Heute bietet er in der „Casa Ciclista“ auf Mallorca Radsportseminare und Trainingslager an. Zudem ist er als Referent für Wirtschaftsunternehmen und Moderator tätig. (wok)