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LieferengpässeWesselinger Apotheker fertigen Fiebermittel für Kinder selbst an

Lesezeit 4 Minuten
Hofenbitzer hält die Tablettenform hoch in der Arzneiküche.

Für ihre Arbeit braucht die pharmazeutisch-technische Assistentin Leyla Hofenbitzer (24) eine ruhige Hand.

Die Pharmazeuten reagieren auf Lieferengpässe – Herstellung kostet viel Zeit.

Vorsichtig und mit ruhiger Hand füllt Leyla Hofenbitzer (24) Flüssigkeit in kleine Formen. Nach vorgegebener Rezeptur hat die pharmazeutisch-technische Assistentin der Kronen-Apotheke gerade einen Vorrat an Fieberzäpfchen für Neugeborene, Babys und Kleinkinder hergestellt. „Jetzt muss die Flüssigkeit nur noch fest werden“, erklärt sie.

„Das spezielle Fett schmilzt schon bei normaler Körpertemperatur“, merkt Apotheker Dr. Klaus Ruberg an. Für die Fieberzäpfchen wurden das spezielle Hartfett und Paracetamol im richtigen Verhältnis zusammengemischt. „Wichtig ist, dass das Medikament sehr gleichmäßig verteilt ist“, erläutert der Pharmazeut. Geringe Dosierungen mit nur 50 Milligramm Paracetamol gebe es zurzeit kaum auf dem Markt, auch weil die Nachfrage eher selten sei, sagt Marxen. Er und Ruberg führen die Kronen-Apotheke Marxen als offene Handelsgesellschaft (OHG).

Deutsche Produktionsstätten seit Jahren nicht wettbewerbsfähig

Zu ihren Kunden gehören unter anderem mehrere Krankenhäuser und Altenheime sowie vier Kinderkliniken in der Region. Zurzeit jedoch gehe die Nachfrage für so gut wie alle fiebersenkenden Medikamente für Kinder regelrecht durch die Decke. Der Markt sei wie leer gefegt, und wegen erheblicher Produktionsstörungen und Lieferengpässen könnten die Medikamente auch nicht in ausreichenden Mengen geliefert werden. „Die meisten der bereits patentfreien Medikamente werden in China und Indien hergestellt“, sagt Marxen. Dort sei der Lohn niedrig und seien die Arbeitsschutzbedingungen geringer. Die Produktionsstätten in Deutschland könnten schon seit Jahren preislich nicht mithalten.

Mithilfe eines Gefäßes und eines Papiers werden die Formen befüllt.

Die Zäpfchenformen werden mit dem noch flüssigen Arzneimittel gefüllt.

„Und jetzt ist genau das eingetroffen, wovor wir Apotheker schon so lange gewarnt haben – wir sind abhängig von den Produktionsstätten in China und Indien.“ Zurzeit liefere China erheblich weniger Medikamente, um die eigene Bevölkerung versorgen zu können. Es sei sogar von einem Ausfuhrverbot von Arzneien wie zum Beispiel Antibiotika die Rede. Weil in China so viele Menschen erkrankt seien, fehle es auch an Personal. „Die so erheblich verknappte Ausfuhr findet den Weg dann in Länder, in denen die Krankenkassen mehr dafür bezahlen als in Deutschland“, sagt Marxen.

Deutschland war einmal die Apotheke der Welt

Betroffen seinen viele Erkältungs- und Grippemittel wie Husten- und Fiebersäfte für Kinder und Erwachsene, aber auch Chemotherapien und onkologische Medikamente. „Dabei waren wir hier in Deutschland einmal die Apotheke der Welt“, sagt Marxen. „Nun schaffen wir es nicht einmal mehr, Deutschland und Europa zu versorgen.“ Immerhin sei das Problem inzwischen auch von der Politik erkannt, sagt Ruberg. „Jetzt müssen der Absichtserklärung noch die entsprechenden Maßnahmen und Gesetzesänderungen folgen“, mahnt Marxen. Bis dahin arbeiten sein Team und viele seiner Berufskollegen am Limit.

Für die Mitarbeitenden in den Apotheken beginnt mitunter eine Detektivarbeit, um bei Engpässen Medikamente mit vergleichbaren Wirkstoffen aufzuspüren. „Das ist ziemlich zeitintensiv“, weiß auch Kerstin Riemann. Die pharmazeutisch-technische Assistentin arbeitet dort, wo sich mitunter lange Schlangen bilden und die Kundschaft verzweifelt um Hilfe fleht. „Dank der guten Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten, die in solchen Fällen das ausgestellte Rezept ja entsprechend ändern müssen, ist es uns bisher aber noch fast immer gelungen, den Kunden weiterzuhelfen“, sagt Riemann. „Die Versorgungslage ist sehr angespannt“, bestätigt auch der Geschäftsführer der Apothekerkammer Nordrhein, Dr. Stefan Derix.

Die drei vor der Küche mit zahlreichen Apothekerfläschchen im Hintergrund.

Klaus Ruberg, Kerstin Riemann und Michael Marxen vor der Arzneien-Küche, wo auch die Fieberzäpfchen hergestellt werden.

Versorgung sichergestellt

Es gelinge aber in den meisten Fällen, die Kundschaft zu versorgen. „Aber es ist schon ein riesiger Kraftakt.“ „Und im Notfall können wir ja auch noch selbst produzieren, so wie jetzt die Fieberzäpfchen“, sagt Marxen. In der Arzneien-Küche nehmen die Fieberzäpfchen langsam Form an. Früher hätten sie solche Zäpfchen in Metallformen gießen und später einzeln verpacken müssen. „Heute bleiben die Zäpfchen nach dem Aushärten in den Kunststoffformen, aus denen sie bei Bedarf entnommen werden können“, berichtet Ruberg. In Zehner-Packungen werden sie abgegeben.


Eindringlich warnt Michael Marxen davor, Husten- und Fiebersäfte oder andere Medikamente selbst herzustellen. Im Internet kursieren zurzeit Adressen und Anleitungen, wo unter anderem die Grundsubstanzen für die Medikamentenherstellung günstig angeboten werden. „Die Arzneien-Herstellung ist ein pharmazeutisches Handwerk, das wie jedes Handwerk erlernt werden muss“. Bei einer falschen oder fehlerhaften Dosierung könnte vor allem Kindern großer Schaden zugefügt werden. Nicht ungefährlich sei es zudem, die Grundsubstanzen zu kaufen, ohne zu wissen, ob sie die erforderlichen Qualitätskontrollen durchlaufen haben.