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100 JahreAlte Fotos zeigen die Bauarbeiten an der Wahnbachtalstraße von Much bis Siegburg

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Die Loren dienten dem Transport von Baumaterial. Die Schienen wurden später abgebaut.

Vor 100 Jahren dienten Loren dem Abtransport von Steinen und Erde. Die Schienen wurden später abgebaut. Der Bauleiter hat auf seinen Fotos das Datum und das Baulos vermerkt. (Repro: Orphal)

Es ist ein wahrer Schatz, dieser Dachbodenfund: Eine Kladde zeigt den Bau der Wahnbachtalstraße, vor 100 Jahren fotografiert vom leitenden Ingenieur.

Sie sind gestochen scharf und ungewöhnlich groß: Die 68 Fotos im Format 13 mal 18 Zentimeter schlummerten in einer grauen Papp-Kladde jahrzehntelang auf einem Dachboden. Sie zeigen die Bauarbeiten für die Wahnbachtalstraße, eine Verbindung zwischen Much und Siegburg mit wechselvoller Geschichte. „Es war der damalige Bauleiter, ein Ingenieur“, der sein Projekt akribisch dokumentiert habe, sagt Werner Trömpert.

100 Jahre ist das her. Zeit für Trömpert, zum Jubiläum die Kladde für unsere Redaktion aufzuschlagen. Rund drei Jahrzehnte stand sie im Regal seines Einfamilienhauses in Much. Wie ist er an den Schatz gekommen?

Enkel meldete sich im Rathaus Much, Verwaltung verwies an Verschönerungsverein

Durch sein Ehrenamt. Die Übergabe fiel in seine Zeit als Vorsitzender des Verschönerungsvereins Much, die immerhin 25 Jahre umfasste. Mehr als 50 Jahre gehört das Gründungsmitglied zum VV-Vorstand, heute ist Trömpert Ehrenvorsitzender. 1992 sei Hans Peter Forsbach auf ihn zugekommen, vermittelt durch die Gemeindeverwaltung, erzählt der 87-Jährige. Der in Bonn Lebende hatte den Haushalt der Großeltern aufgelöst und auf dem Dachboden das Fotoalbum seines verstorbenen Opas entdeckt.

Das sollte in gute Hände kommen, befand der Enkel und stellte es „als Dauerleihgabe unentgeltlich zur Verfügung“, so steht es auf dem in den Einband geklebten Zettel. Da war er an der richtigen Adresse: Trömpert, 1938 in Much geboren und aufgewachsen, hat natürlich den Bau nicht miterlebt, seine Eltern aber waren Zeitzeugen.

Gearbeitet wurde nur mit einfachem Gerät. Zu vermuten ist, dass die Anzugträger auf dem Foto keine Bauarbeiter waren.

Gearbeitet wurde nur mit einfachem Gerät. Zu vermuten ist, dass die Anzugträger im Vordergrund keine Bauarbeiter waren. (Repro: Orphal)

Als Kind fuhr er mit dem Fahrrad über die kurvenreiche Wahnbachtalstraße bis zum Lemmerzbad in Königswinter. Als junger Mann – er machte schon mit 17 den Führerschein, der er zum 18. Geburtstag ausgehändigt bekam – mit dem NSU der Familie, später mit dem eigenen Auto. Sein erstes war ein BMW, da führte der schon den eigenen Betrieb. Heute überlässt der Senior gern seiner Frau das Steuer.

Werner Trömpert

Werner Trömpert

Das Fotoalbum ist ein wichtiges Zeitdokument, zeigt es doch, mit welch einfachen Gerätschaften die Bauarbeiter zumeist in Handarbeit die Straße anlegten. Im Untergrund schufen sie Durchlasse für Bäche. An 21 Stellen errichteten sie Brücken, die großen aus Spannbeton, eine neue Technik. Von der Ummigsbachbrücke in Siegburg-Seligenthal, neben der Derenbachtalbrücke das imposanteste Bauwerk, sind noch einige Pfeiler erhalten. Sie wurde, wie auch die anderen Querungen, 1945 durch die Deutsche Wehrmacht gesprengt.

Heute würde man für den Bau sicher 20 Jahre brauchen.
Werner Trömpert aus Much über die Fertigstellung der Wahnbachtalstraße nach nur zwei Jahren

Auf etlichen Bildern ist ein Schienenstrang zu sehen, mit Erdreich und Steinen gefüllte Loren stehen zum Abtransport bereit. Die Gleise wurden später entfernt. Der Bauleiter beschriftete jedes Foto akribisch mit Datum und Baulosnummer. Weitere Informationen finden sich aber nicht.

Tatsächlich war Anfang des 19. Jahrhunderts geplant, statt der Autostraße eine Bahnlinie bis Much zu bauen, allerdings entlang der Bundesstraße 56, so steht es in einem alten Zeitungsbericht. Kritiker forderten eine Erschließung durch das Wahnbachtal; der Erste Weltkrieg bereitete den Plänen zunächst ein Ende.

Die Derenbachtalbrücke war eine technisch aufwendige Konstruktion aus Stahlbeton.

Die Derenbachtalbrücke war eine technisch aufwendige Konstruktion aus Stahlbeton. Ihre Reste verschwanden in der Wahnbachtalsperre und tauchten 2008, als bei Sanierungsarbeiten das Wasser abgelassen wurde, wieder auf. (Repro: Orphal)

1924 wurde demnach das Bahnprojekt als zu teuer verworfen. Geschätzte Kosten: 4,5 Millionen Reichsmark, dreimal so teuer wie eine Straße, hieß es. Für deren Bau gab es zudem Mittel aus dem Erwerbslosenfonds.

Der entsprechende Antrag des Neunkirchener Bürgermeisters Erwin Schmitz-Mancy passierte im August 1924 den Kreistag, bereits im Februar 1925 begannen die Arbeiten. Schmitz-Mancy erhoffte sich einen wirtschaftlichen Aufschwung: Die Arbeitslosenquote lag bei 36 Prozent, so steht es in den Siegburger Blättern, Ausgabe 35, aus dem Jahr 2012.

Arbeiter trugen damals weder Schutzkleidung noch Helme

Die Bürgermeister von Much, Lauthausen und Neunkirchen hatten für die kostenlose Bereitstellung der Grundstücke zu sorgen. Fünf Unternehmen waren an dem Bau der Straße beteiligt und 1500 bis 2000 Arbeiter. Auf die Baustelle wurden fast ausschließlich Arbeitslose geschickt, die Lohnzahlungen milderten ihre bittere Not. Eine Arbeitslosenversicherung gab es erst ab 1927.

Die Männer trugen weder Schutzkleidung noch Helme. Und sie bewegten sich ohne Sicherung auf hohen, teils halsbrecherisch wirkenden Gerüsten aus Holzstangen. Auf einem Foto posieren im Vordergrund Herren in Anzügen, mit stolz blickenden Gesichtern und ohne Hacken und Spaten, Verantwortliche, so ist zu vermuten.   

23 Kilometer lange Straße nach zwei Jahren Bauzeit fertig

Nach nur rund zwei Jahren Bauzeit war die 23 Kilometer lange Straße fertig, „heute würde das sicher 20 Jahre dauern“, meint Trömpert. Fünf Millionen Reichsmark hatten die Arbeiten verschlungen, erheblich mehr als anfangs kalkuliert. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde die Wahnbachtalstraße für den Verkehr freigegeben.

Die geladenen Gäste genossen im Saal Miebach in Much ein mehrgängiges „Frühstück“, der Bauleiter klebte die Speisekarte ins Album. Nach „gemischten Vorspeisen“ wurde ein Schweinerücken mit Gemüse und Salat serviert, dazu vier Weine, zum Dessert Käsestangen und Kaffee.  

Keine Sicherung, keine Schutzkleidung: Der Straßenbau war kein ungefährliches Pflaster.

Keine Sicherung, keine Schutzkleidung: Der Straßenbau war kein ungefährliches Pflaster. (Repro: Orphal)

Genutzt wurde die neue Straße durch die Kraftpostlinie der Reichspost, die Briefe und Personen beförderte. Nach der teilweisen Zerstörung 1945 erfolgte kein Wiederaufbau, zwischen 1955 und 1958 versank gar ein 6,3 Kilometer langer Abschnitt in den Fluten der neuen Wahnbachtalsperre.

1955 war als Ersatz die B507 ausgebaut worden, die heute viel genutzte Verbindung zwischen Neunkirchen und Lohmar, in Richtung Siegburg geht’s ab Pohlhausen auf die B56. 2008 tauchte die Derenbachtalbrücke kurzzeitig wieder auf, als für Sanierungsarbeiten Wasser aus dem Stausee abgelassen wurde.

Werner Trömpert hofft, das Album künftig an geeigneter Stelle, vielleicht im Mucher Rathaus, der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Spätestens am 7. Juli 2027, 100 Jahre nach der festlichen Übergabe.