Tamar DreifussHolocaust-Überlebende berichtet in Hennef von abenteuerlicher Flucht vor den Nazis

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Tamar Dreifuss sitzt an einem Tisch, vorn steht eine gerahmte Fotografie ihrer Mutter.

Tamar Dreifuss erzählte zum neunten Mal in der Hennefer Gesamtschule Meiersheide, wie sie mit ihrer Mutter den Nazis entkam.

Die Shoah-Überlebende Tamar Dreifuss besuchte die Gesamtschule in Hennef. „Du bist ganz mutig, wie deine Mutter“, sagte ein Fünftklässler.

„Ihr seid mir wirklich ans Herz gewachsen.“ Mit etwas heiserer, aber warmer Stimme begrüßte die 85-Jährige die Schüler. Die Geschichte ihrer abenteuerlichen Flucht vor den Nazis kannten die Jungen und Mädchen der Gesamtschule Meiersheide bereits.

In der Mehrzweckhalle war wieder die begehbare Skulptur aufgebaut, in der per Audio-Kopfhörer-Führung die Verfolgung, das Leid im Ghetto von Vilnius und jene Szene in einem Durchgangslager erzählt werden, bei der es der Mutter von Tamar Dreifuss durch eine Täuschung gelang, mit ihrer kleinen Tochter zu entkommen.

Teil der Installation ist ein Raum, der den Betrachter ins Innere der Hundehütte versetzt, in der sich Mutter und Tochter einmal versteckt haben. Hinter der Öffnung steht ein Paar Soldatenstiefel. Dem Hofhund Tigris, vor dem viele Angst gehabt hätten, sie und ihre Mutter aber nicht, habe sie zum Abschied ihre Puppe geschenkt, „mein einziges Spielzeug damals“, berichtete Dreifuss und dass es eine große Hütte gewesen sei.

Shoah-Überlebende zeigte viel Mitgefühl für Mädchen aus der Ukraine

Mehrere Kinder wollten wissen, wie es Mutter und Tochter nach dem Krieg ergangen ist. Viel Mitgefühl zeigte die 85-Jährige für ein Mädchen aus der Urkraine, das in gebrochenem Deutsch fragte, wie schwer für sie alles gewesen sei. „Sehr schwer, das brauche ich dir nicht zu erzählen“, antwortete Tamar Dreifuss, „du hast ja bestimmt noch Familie in der Ukraine.“ Zur Frage nach dem schönsten Moment im Krieg fielen ihr die Truthähne ein, die sie wegen ihres Kleidchens „überfallen“ wollten. „Die mögen kein Rot. Ich habe sie geärgert, ich bin auf einen Baum geklettert und habe Faxen gemacht, das war schön.“  

„Lieber auf der Flucht erschossen als wie ein Schaf zum Schlachthof geführt werden.“ Das habe ihre Mutter damals gesagt und „das hat mich bestärkt“, sagte die Seniorin, die sich unermüdlich dem Kampf gegen den Antisemitismus widmet. Einer ihrer Standardsätze lautet: „Meine erste Heimat ist Vilnius, da bin ich geboren. Meine zweite Heimat ist Israel, dort habe ich eine glückliche Jugend verbracht. Deutschland ist meine Aufgabe.“

In der Meiersheide steht der Besuch der Zeitzeugin jedes Jahr auf dem Programm. „Kein Kind soll diese Schule verlassen, ohne Tamar Dreifuss kennengelernt zu haben“, so Lehrerin Christiane Liedtke. Es sei eine Freundschaft und Verbundenheit gewachsen, sagte die Koordinatorin für die Jahrgänge fünf bis sieben, Julia Kalscheid.

Dreifuss, die inzwischen aus Bayern wieder ins Rheinland zurückgekehrt ist, ließ keinen Zweifel daran, dass sie wieder kommen will: „Ich versuche weiterzumachen, solange ich lebe.“ Dass sie in der Schule ein willkommener Gast ist, drückten die Kinder auf ihre Weise aus. „Ich finde es toll, dass Sie hier Ihre Geschichte erzählen“, sagte ein Mädchen, und ein Junge stellte fest: „Du bist ganz mutig, wie deine Mutter.“  


Zu Beginn ihres Besuchs ging Tamar Dreifuss auf die Kriegssituation im Nahen Osten ein. Weil sie Familie in Israel habe, fühle sie sich nicht gut. „Ich wäre lieber dort.“ Sie höre viele heldenhafte Geschichten, „einer ist für den anderen da“. Was vor einem Monat geschehen sei (der Angriff der Hamas), könne man vergleichen mit der Shoah. Aber es gebe einen großen Unterschied. „Damals waren wir total ausgeliefert, wie ein Tier ohne Schutz, das von einer Ecke in die andere läuft. Heute beschützt man uns. Auch Deutschland will, dass Israel bleibt.“ Sie hoffe, dass alle Geiseln nach Hause kommen.

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