Neue Lust aufs RadHändler und Werkstätten in Folge von Corona überrannt

In den Werkstätten ist viel zu tun.
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Rhein-Sieg-Kreis – „Frühestens in acht Wochen“, sagt Frank Leuer, der Kundin über den Brillenrand hinweg und muss nicht mal in das Auftragsbuch schauen. Er weiß auch so, dass in seiner Fahrradwerkstatt in Meckenheim alle Termine bis weit in den September hinein ausgebucht sind. Erst hatte die Corona-Pandemie dafür gesorgt, dass Fahrradläden – wie fast alle Geschäfte – komplett leer standen. Und nun wird die Branche überrannt. „Außer Wandern und Joggen blieb während des Lockdown ja kaum eine Möglichkeit, um rauszukommen“, sagt Leuer. „Man durfte nicht schwimmen gehen und sich auch nicht ins Café setzen.“
Ob die starke Nachfrage nach Fahrrädern den wirtschaftlichen Ausfall durch die Krise irgendwie auffangen kann, weiß Leuer noch nicht. „Ja, im ersten Moment war ein richtiger Boom da, mit 30 Prozent mehr Umsatz als im Schnitt, vor allem wegen der E-Bikes – aber nach denen gab es auch vorher schon eine große Nachfrage“, sagt der Meckenheimer Geschäftsmann. „Und seit der Lockerung der Corona-Beschränkungen planen die Leute schon wieder andere Reisen, denn das Reisen scheint ihre Lieblingsbeschäftigung zu sein.“ E-Bikes kosten eine Stange Geld. 2500 bis 3000 Euro im Schnitt bei Leuer, der die Kosten für ein normales Fahrrad mit 500 bis 1000 Euro ansetzt. „Wir haben aber auch sehr spezielle Kunden, die 8000 oder 9000 Euro für ein Mountainbike ausgeben, die hier sehr informiert ankommen, und mit denen ich dann nur noch über Pedale und Reifen sprechen muss.“
Kilometerleistung hat sich verfünffacht
Kein Wunder, dass bei solch hohen Preisen Leasing ein Thema ist – weil eben nicht nur die älteren Kunden kommen, die „schon das Haus abbezahlt und die Kinder aus dem Haus haben“. Leuer: „Leasing ist aber vor allem für Besserverdiener interessant wegen der Steuervorteile. Meist ist eine Versicherung dabei, und nach drei Jahren wird nach Vergleichswerten der Restwert abgerechnet.“
„Die Leute fahren auch wesentlich mehr als früher“, weiß Leuer, weil die teuren Räder meist einen Kilometerzähler haben. 300 Kilometer im Jahr seien früher mal üblich gewesen. „Heute sind es 1500 oder 2000 im Jahr. Radreisen sind beliebt, um mit Packtaschen von Hotel zu Hotel zu kommen.
Fünf Mitarbeiter hat Leuer in seinem Geschäft, und im August kommt nach knapp zweijähriger Pause endlich wieder ein Auszubildender hinzu, der mindestens Fahrradmonteur oder aber Zweiradmechatroniker der Sparte Fahrrad werden wird. „Es war Zufall, ihn zu bekommen, denn es gibt immer seltener Bewerber, denen strukturiertes und veranwortungsvolles Arbeiten zuzutrauen ist. Denn wenn ein Fahrrad rausgeht, bei dem vergessen wurde, die Schrauben anzuziehen, wäre das sehr schlecht.“ Und jetzt wird jede helfende Hand gebraucht, um die Flut von Reparaturaufträgen zu bewältigen.

Kurt Schiwy begutachtet mit Hildegard Theißen einen Schaden am Rad.
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„Ich habe mir ein E-MTB gegönnt. Nicht wirklich situationsbedingt, aber ich hab’s für mich vor anderthalb Monaten neu entdeckt. Hintergrund ist eher, dass es für mich leichter ist, auf diese Weise mehr Bewegung in meinen Alltag zu bringen“, sagt Daniel Fronert aus Wachtberg. „Mal eben zwölf Kilometer zur Arbeit nach Meckenheim wären eigentlich kein Problem, aber es ist nicht so doll, wenn man durchgeschwitzt und total kaputt seine Aufgaben beginnt. Fronert hat schon mächtig Spaß an seinem „Rädchen mit Motörchen“. Gut 500 bis 600 Kilometer habe er schon zurückgelegt seit dem Kauf. „Ich fahre jetzt fast mehr Fahrrad als Auto.“
So geht es auch der Übersetzerin Ulrike Wilmes-Schmitz, ebenfalls aus Wachtberg: „Ich habe seit fünf Jahren ein E-Bike und fahre mittlerweile so gut wie kein Auto mehr. Das tut mir nicht nur gut, sondern macht auch einfach total Spaß.“
Boom fast verpasst
Den Spaß haben nun viele weitere Menschen für sich entdeckt, die sich nun zusätzlich im Straßenverkehr tummeln. Kurt Schiwy, der Fahrradhändler aus dem Bahnhof in Roisdorf, bedauert, dass er den Boom fast verpasst hat. „Ich habe erst mit zwei Wochen Verspätung begriffen, dass die Werkstätten öffnen dürfen.“ Dann bekam er den ganzen Ansturm ab. „Wegen Corona gab es ein kräftiges Hoch, und nun noch einmal. Alle waren heiß auf die Ferien, und dieses Jahr bleiben viele lieber im Inland.“ Glatt doppelt so viele Schläuche und Mäntel als üblich hat er dann verkauft. In seinem kleinen Laden, dem kaum jemand zutraut, dass es dort auch tolle neue Fahrräder gibt, stapeln sich die Aufträge, und Schiwy ist vergleichsweise günstig mit seinen Inspektionspreisen. Gelegentlich schaut er für nur 29 Euro nach Mängeln, macht Kette und Ritzel flott und ersetzt abgefahrene Bremsbeläge. Mit einem Fahrrad aus dem Internet sollte sich nur zu ihm trauen, wer die Strafpredigt verträgt. Allerdings kann Schiwy auch fundiert erklären, warum er nichts von Fahrrädern aus dem Baumarkt hält.
Schiwy ist zudem Lobbyist. Als engagiertes Mitglied im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club kann er sehr intensiv kopfschüttelnd der täglichen Autoschlange auf der Bornheimer Königstraße zuschauen. „Wie sie sich dort für etwas mehr als einen Kilometer mit dem Auto durch den Stau quälen, statt einfach mal kurz mit dem Fahrrad zum Edeka zu fahren“, sagt Schiwy – und hat prompt die nächste Kundin: Hildegard Theißen bringt ihr Fahrrad zur Reparatur, auf dessen Gepäckträger der Sohn seine Freundin transportiert hat. Nun steht das Rad schief, wenn auch der Gepäckträger gehalten hat. Anke Fengler (77) hat für sich einen E-Scooter entdeckt – mit Sattel und Einkaufskorb am Lenker. Für Schiwy ist der E-Bike-Boom kein Wunder: „Die Leute haben doch keinen Bock, mit einem herkömmlichen Rad die Vorgebirgskante hinaufzufahren.“