Jüngste Tochter hat KrebsSo erlebt eine Familie aus Rhein-Sieg die Krankheit

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Eine Familie aus dem Rhein-Sieg-Kreis berichtet, von ihrem Leben mit dem Krebs.

Rhein-Sieg-Kreis – An einem Tag vor rund sechs Jahren änderte sich alles: Bei der damals dreijährigen Dorothea wurde ein Hirntumor festgestellt. Eine Hammer-Diagnose, nicht nur für die Eltern, sondern auch für die drei älteren Schwestern Emily, Annalena und Valerie. Der Krebs hat sich auch eingegraben ins Familienleben, das erzählten die Eltern Corina und Felix beim Geschwistertag in der Asklepios-Kinderklinik.

Die Familie lebt in einem Ort im Rhein-Sieg-Kreis im Einfamilienhaus mit großem Garten. Näheres soll ebenso wenig in der Zeitung stehen wie der Nachname, Grund: Der Alltag soll so normal wie möglich bleiben, ohne offene Mitleidsbekundungen, ohne Getuschel. Die vier Mädchen sind heute 16, 14, zwölf und zehn Jahre alt.

Für die Schwestern war die Krankheit schwer zu verstehen

Als die Mutter damals, zum Jahreswechsel 2014/2015 über Wochen hinweg bei Dorothea im Krankenhaus blieb, sei das für die Schwestern sehr schwierig zu verstehen gewesen, so die 44-Jährige: „Sie waren ja noch so jung und hätten mich eigentlich täglich als Bezugsperson an ihrer Seite gebraucht.“

Internationaler Tag der Geschwister

Am weltweiten Tag der Geschwister hat der Verein zur Förderung der Kinderklinik Sankt Augustin gemeinsam mit der Elterninitiative krebskranker Kinder sowie der Bürgerstiftung Sankt Augustin auf die besondere Beziehung zwischen Geschwistern aufmerksam gemacht, die in einer Familie mit einem schwerkranken Kind leben.

Durch die besonderen Belastungen gerieten zwangsläufig die Sorgen und Nöte der gesunden Kinder in den Hintergrund. Oft fühlten sie sich vernachlässigt, hätten gleichzeitig Angst um das kranke Geschwisterkind, zögen sich häufig zurück, um niemandem zur Last zu fallen, erläutert Anneke Burger, die als Psychologin und systemische Therapeutin für die Elterninitiative arbeitet. „Manche werden aber auch wütend oder aggressiv, um die elterliche Zuwendung einzufordern.“

Die Bürgerstiftung hat mit Unterstützung der örtlichen Caritas das bekannte Stadt-Memory-Spiel für alle Kinder gespendet, deren Geschwister gerade stationär in der Asklepios Kinderklinik Sankt Augustin aufgenommen sind. Sabine Wondzinski-Moser vom Förderverein übergab die Spiele an die Familien. (coh) 

Die Sorge um die Jüngste überlagerte alles: Der Hirntumor wurde operativ entfernt, dann folgten Chemotherapie und Bestrahlung. Dorothea hatte Probleme mit der Nahrungsaufnahme und musste künstlich ernährt werden. Daheim brachte Felix (47) die drei anderen Töchter morgens zum Kindergarten und in die Schule, bis der Wirtschaftsingenieur abends von der Arbeit zurückkam, kümmerte sich eine Familienhilfe um die Kinder. Zudem waren die Großeltern häufig vor Ort, andere Verwandte reisten extra aus Süddeutschland an, um zu helfen. Freunde und Bekannte bildeten ein Unterstützernetzwerk.

Für die Zweitjüngste, Valerie, damals erst fünf Jahre alt, sei die Zeit nach der Krebsdiagnose ihrer kleinen Schwester am schwersten gewesen, erzählt die Mutter: „Ich musste lernen, dass ich nicht überall gleichzeitig sein konnte, die Schuldgefühle haben mich manchmal erdrückt.“ Emily sei erstaunlich gut mit den Veränderungen zurecht gekommen, berichtet der Vater, doch Annalena habe „oft stundenlang alleine in ihrem Zimmer gesessen und gelesen“.

Eltern suchen das Gespräch, wenn etwas nicht stimmt

Immer wieder suchten die Eltern das Gespräch, wenn sie spürten, dass etwas nicht stimmt. So halten sie es bis heute. Bei Dorothea wurde im Verlauf der letzten Jahre ein weiterer Hirntumor operativ entfernt, eine Abspaltung des ersten Tumors. Ihre letzte Chemotherapie und Bestrahlung hat sie erst im vergangenen März abgeschlossen, es hatte sich ein weiterer Tumor an der Wirbelsäule gebildet. „Generell haben sich die drei Älteren in all den Jahren sehr zurückgenommen, manchmal auch zu viel Rücksicht gezeigt. Mir wäre es lieber gewesen, eine von ihnen hätte sich mal lautstark beschwert“, sagt Corina.

Doch da ist Dorothea, der es ja so viel schlechter geht. Tapfer sei die Zehnjährige, ein ruhiges, Kind, das malt, bastelt und sich die tollsten Geschichten ausdenkt. „Sie lebt manchmal in ihrer eigenen Welt“, beschreibt die Mutter, beschäftige sich mit anderen Themen als Gleichaltrige, frage, wie wohl der Tod sei und was danach passiere. Das rühre auch daher, „dass ihre Omi letztes Jahr gestorben ist“, erklärt der Vater.

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So ernst die Lage auch ist, Humor kann helfen. Als die Schwestern im Lockdown sehnsüchtig auf den ersten Friseurtermin warteten, meinte Dorothea nur ganz trocken: „Wie gut, dass ich meine Haare nicht schneiden muss!“ Die Vorstellung, wie die anderen Familienmitglieder mit Glatze aussähen, brachte alle zum Lachen.

Manchmal tritt die Krankheit in den Hintergrund; wenn die Kleine die Größeren nervt, kriegt Dorothea kontra, halt normale Scherereien unter Teenagern. Corona macht die Sache nicht leichter, Homeschooling kennt die Jüngste schon aus dem Krankenhaus, nun hocken plötzlich alle zusammen. Jeder Schultag wird zum Ereignis und bringt ein wenig Normalität zurück: Die Zehnjährige besucht derzeit die dritte Klasse einer Fördergrundschule.

Unsere besten Texte 2021 – dieser Text ist erstmals am 22. Mai 2021 veröffentlicht worden.

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