In Sankt Augustin-Hangelar trainieren Senioren über 55 wöchentlich einen Mix aus verschiedenen Kampfsportarten und Verteidigungstechniken.
Nachts ohne Angst unterwegsSenioren trainieren Selbstverteidigung in Sankt Augustin

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seniorentrainings sind zwischen 55 und über 80 Jahren alt.
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Sich in Gefahrsituationen verteidigen zu können, das war für Lucie Prinz nie der Hauptgrund, um Kampfsport zu lernen. Sie war fasziniert von den oft tanzähnlichen Bewegungen, den präzisen und effektiven Techniken, wollte sich fit halten. „Erst nach fünf, sechs Jahren habe ich dann aber gemerkt, dass ich nachts meine Angst verloren hab, dass ich heute viel freier bin, wenn ich mich alleine bewege“, sagt die 59-Jährige.
Heute ist Prinz Trainerin beim Sankt Augustiner Kampfsportverein Budokan Black Eagle e.V. und leitet einen Selbstverteidigungskurs für Senioren. Jeden Freitagabend treffen sich die über-55-Jährigen in einer Sporthalle auf dem Gelände der Bundespolizei in Sankt Augustin-Hangelar.
Kursteilnehmer trainieren Kraft, Ausdauer, Konzentration und Selbstvertrauen
Der Dienstälteste Willy (möchte seinen Nachnamen ebenso wie die anderen Kursteilnehmenden nicht nennen) eröffnet die Runde mit einem japanischen „Mokuso“, einer kurzen Konzentrationseinheit mit Verbeugung. Der heute 76-jährige Niederkasseler macht seit seinem 22. Lebensjahr Karate. Nachdem er einige Jahre wegen eines Bandscheibenvorfalls aussetzen musste, stieß er durch Zufall auf Prinz’ Kurs: „Ich bin her zum Probetraining, und dann war es vorbei, dann kam die Sucht.“

Lucie Prinz (59) aus Bad Honnef begann selbst im erst Erwachsenenalter mit dem Kampfsport und trainiert heute die Seniorengruppe.
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Eine halbe Stunde wärmt sich die Gruppe auf, gemeinsam trainieren sie Ausdauer und Kraft. Dann gehen sie in die Übungen, üben in Zweierteams, sich in verschiedenen Angriffssituationen zu verteidigen. Lucie Prinz zeigt Techniken aus verschiedenen Kampfsportarten, unter anderem Jiu Jitsu, Jeet Kune Do und Aikido. Manchmal entwickeln die Teilnehmenden auch eigene Techniken, ihr Gegenüber zu überwältigen, die sie danach in der Runde zeigen.
Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich theoretisch verteidigen könnte, dann strahle ich eine andere Sicherheit aus. Und dann werde ich auch meistens nicht angegangen
Die jüngeren Kursteilnehmer sind Ende 50, der älteste über 80 Jahre alt. Die Vorkenntnisse und Fitness-Level sind ziemlich unterschiedlich. „Bei Grundübungen kann es auch mal ein halbes Jahr dauern, bis man sie wirklich beherrscht“, sagt Lucie Prinz, „aber wir bleiben immer dran. Das hat bisher super funktioniert.“ Vor allem sei es ihr wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Techniken verinnerlichen und präzise ausführen lernen: „richtig hauen, richtig ausweichen“.

Rita (67) aus Bonn und Brigitte (77) aus Niederkassel haben sich über das Seniorentraining angefreundet.
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Rita (67) aus Bonn und Brigitte (77) aus Niederkassel sind ganz ohne Kampfsporterfahrung in den Kurs gekommen und mittlerweile seit sechs beziehungsweise sieben Jahren dabei. Beide sind durch das gemeinsame Hobby Freundinnen geworden. „Du lernst neue Leute kennen, und der Sport gibt dir auch ein ganz anderes Selbstbewusstsein“, sagt Brigitte.
„Mensch, du bist aber fit“, höre sie oft auch von jüngeren Freunden, sagt Rita. Der Sport habe für sie aber auch andere Vorteile: „Ich gehe abends auch gerne mal aus, auf Konzerte und so etwas, und ich fühle mich tatsächlich viel sicherer, seit ich hier im Kurs bin. Am Anfang haben wir zum Beispiel auch mal gelernt, in gefährlichen Situationen laut zu sein.“ Brigitte nickt. „Stimmt, früher hätte ich mich nie getraut, laut ‚Stopp‘ zu schreien. Das fällt mir immer noch schwer.“

Am Ende der Stunde werden Bretter durchgeschlagen.
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Am Ende der Stunde schlagen die Kursteilnehmer gemeinsam Bretter in drei verschiedenen Stärken durch. Das dünnste bricht bei allen Kursteilnehmern sofort. Dabei geht es nicht in erster Linie um Kraft, sondern um Technik und vor allem Selbstvertrauen.
„Sich wirklich verteidigen zu müssen, das ist ja eine Extremsituation, in die wir alle hoffentlich niemals kommen werden“, sagt Lucie Prinz, „Aber wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich theoretisch verteidigen könnte, dann strahle ich eine andere Sicherheit aus. Und dann werde ich auch meistens nicht angegangen.“
Prinz selbst wollte schon als Kind gerne Kampfsport lernen, damals habe es ihr Vater jedoch nicht erlaubt. Erst als ihr eigener Sohn einen Kung Fu Kurs für Kinder anfing, beschloss sie, parallel einen Kurs für Erwachsene zu besuchen. „Da habe ich sofort gemerkt, das ist mein Sport“. Später fing sie auch mit anderen Kampfsportarten an, vor allem Aikido faszinierte sie.
Mit zunehmendem Alter wurden bestimmte Bewegungen aber nicht mehr oder sehr viel schwieriger möglich: „Was ganz früh nachlässt, ist zum Beispiel Sprungkraft. Das hätte ich früher nie gedacht“, so Prinz, „Aber trotzdem weiterzumachen, das gibt einem ein gutes Gefühl.“ Kampfsport zu trainieren, vereine viele Vorteile, die Seniorinnen und Senioren guttun, so Prinz: Das Trainieren von Kondition, Kraft und Beweglichkeit, aber auch Konzentration und die bewusste Wahrnehmung der Umgebung; und nicht zuletzt das Erleben einer Gemeinschaft.
Das Seniorentraining des Budokan Black Eagle e.V. findet jeden Freitag um 19 Uhr auf dem Gelände der Bundespolizei in Sankt Augustin-Hangelar, Bundesgrenzschutzstraße 100 statt. Das Training dauert 90 Minuten. Monatlich kostet der Kurs 15 Euro, dazu kommt eine einmalige Anmeldegebühr von 25 Euro. Ein kostenloses Probetraining ist möglich, da jedoch vorab eine Zugangsberechtigung für das Polizeigelände erstellt werden muss, ist eine vorherige Anmeldung notwendig. Interessierte können sich an Lucie Prinz wenden unter 0177 4312331 oder lp@tops.net.