Die wilde Horde raubte, brandschatzte und köpfte ihre Gegner. Warum schlüpfen moderne Menschen in die Haut von Hunnen? Wir besuchten ein Lager in Mülldorf.
Hunnen in Sankt AugustinWarum junge Leute in die Kriegerrolle schlüpfen

Spaß am Rollenspiel: (v.l.) König Mutun (Joel Kamps), der Leibwächter und Heeresführerin Khaye Ragnana (Tatjana Heemann) vom Verein Hunnen aus dem Siegtal.
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König Mutun setzt fürs Foto seine martialische Miene auf. „Weib, hol Bier!“, befiehlt er. „Nö, mach doch selbst“, gibt Tatjana Heemann alias Khaye Ragnana grinsend zurück. Viel zu sagen hätten die Frauen in der Horde zwar nicht, räumt die 26-Jährige ein, „aber immerhin noch mehr als im Mittelalter“. Warum schlüpfen zivilisierte Menschen in die Rolle von kriegerischen Hunnen? Wir schauten uns im Mülldorfer Lager um.
Jurten stehen auf der Wiese im Kreis, in der Mitte glimmt ein Feuer, hier und da liegen Teppiche im feuchten Gras. Das Volk lässt sich üblicherweise auf dem Boden nieder, die Ranghöchsten sitzen auf dem Thron. Joel Kemps rutscht in die weichen Lederstiefel mit den gebogenen Spitzen, die Schnallen zu schließen dauert. Dann folgt das Gewand, vorn ein schwerer, starrer Lederpanzer, auf dem Rücken hängen echte Tierfelle.
Seit einem Jahr sind die Sankt Augustiner „Hunnen aus dem Siegtal“ ein Verein
Er lebe sein Hobby, sagt Kamps, Chemikant und Kampfsportler. Er zeigt Pfeil und Bogen, solche nutzte schon das Reitervolk vor 2200 Jahren. „Ich schieße auf dem Pferd im vollen Galopp“, man glaubt es ihm unbesehen. Der 29-Jährige ist auch der Vorsitzende der Horde, vor vier Jahren fanden sich Freunde zusammen, seit einem Jahr sind die Hunnen aus dem Siegtal ein eingetragener Verein.
Mit 15 Leuten stellten sie das erste Lager in Sankt Augustin auf die Beine, das schwere Equipment, wie das eiserne Gestänge und die schweren Planen des Königszelts transportierte ein Lkw. Trotz der Horden-Hierarchie packten alle mit an, vom Zusammenhalt schwärmt auch die Beamtin Heemann, die Offenheit und Herzlichkeit im Verein, daran habe sie sich „als eher introvertierter Mensch“ doch gewöhnen müssen.

Nicht ganz stilecht: Die Musik ertönte aus Boxen, die mit Plastikplanen vor dem Regen geschützt waren, es gab Kölsch, Cola und Döner.
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Als Khaye Ragnana spielt sie eine besondere Rolle: „Ich bin Heeresführerin, habe einen eigenen Leibwächter und schütze die Frauen.“ Männer, die sich daneben benähmen, bekämen das zu spüren. Beim historischen Halbnomadenvolk hätten diese vor der Jurte schlafen müssen, in ihre Wunden könne man auch Salz streuen, sagt die 26-Jährige augenzwinkernd, „das desinfiziert“.
Wer mitmachen will bei den heutigen Hunnen, müsse sich mit der Geschichte beschäftigen, „das erwarte ich“, sagt der Vorsitzende. Er kam durch seinen Vater mit dem Rollenspiel in Kontakt, die Horden seien ein Teil des Karnevals, außerhalb der Saison besuche man sich in Lagern. Auch in Mülldorf sind Gleichgesinnte von Köln bis Unkel am Start, darunter zwei Bröltal-Amazonen.
Vor einem Zelt liegen am Morgen die Luftmatratzen zum Trocknen, nicht alles könne und müsse authentisch sein, sagt Kamps. Es gibt Kölsch und Cola, Bratwurst und Döner. „Vergorene Stutenmilch“, wie sie die alten Hunnen tranken, „würde wohl keinem schmecken.“ Wenn das Lager eröffnet wird und die Besucher strömen, sollten aber die Plastikflaschen verschwunden sein. Und die Zigaretten möglichst auch.
Die derbe Sprache, das martialische Auftreten, das sei ein Spiel. Zuhause säßen sie zwar manchmal auf dem Boden, aber meist doch auf dem Sofa, erzählt das Ober-Hunnen-Paar. Scherzhaft würden sie oft Tengis beschwören, den Wettergott, wenn es mal wieder regnet.
Das Unterhaltungsprogramm mit Bauchtanz und Feuerspucken, Schwertkampf und Lagerfeuerromantik habe schon am ersten Tag für großen Zuspruch gesorgt, sagt Kamps. Er hat schon eine Nachfolgeveranstaltung im kommenden Jahr im Auge, bei der Helfer gern gesehen sind. Acht neue Mitgliedsanträge zählte er am Sonntagmorgen, „vielleicht bleibt die Hälfte“.