Immer mehr Menschen im Rhein-Sieg-Kreis und in Bonn suchen laut der Awo Hilfe bei der Sozialberatung. Die Wartezeiten für die Betroffenen werden länger, die Problemlagen immer komplexer. Die Inflation verschärft die Not.
Arbeiterwohlfahrt schlägt AlarmDie Not der Bedürftigen in Rhein-Sieg und Bonn wird größer

Von wachsender Armut sind auch Familien mit Kindern betroffen. (Symbolbild)
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„Die Awo schlägt Alarm“: Mit einem dringenden Appell hat sich Barbara König, die Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt Bonn/Rhein-Sieg (Awo), an die Verantwortlichen vor Ort, in Land und Bund gewandt. Schon jetzt seien die Beratungsstellen der Awo überlastet, immer länger müssten die Ratsuchenden warten. Und auch die Beschäftigten selbst hätten die Grenzen der Belastbarkeit überschritten. König: „Wir hoffen, dass die Politik das hört.“
Sozialberatung der Awo braucht dringend mehr Personal
Es brauche dringend mehr Personal für die Sozialberatung. Täglich sei zu spüren, dass der Bedarf extrem gestiegen sei, berichtete Christiane Kaspari, die Leiterin des Bildungs- und Beratungszentrums der Awo in Bad Godesberg. Im Vergleich zu 2020 habe sich die Zahl der Klienten in der Sozialberatung in Bonn und Rhein-Sieg-Kreis verdreifacht. Allein in Bonn seien seit Juni 100 neue Ratsuchende hinzugekommen. Viele schweigen aus Scham. Dabei, so Barbara König, sei das „kaum die Spitze des Eisbergs“. Nach wie vor suchten viele Menschen aus Scham die Beratungsstellen gar nicht erst auf.
Von einer großen „stummen Not“ spricht daher auch Viera Lohrey, Sozialberaterin der Awo in Siegburg. „Die wollen das irgendwie überstehen.“ Und damit nicht genug, würden die Problemlagen auch immer komplexer. Oft kommen die Ratsuchenden mit einem Bündel von Briefen zum Termin, legen Rechnungen, Mahnungen und Antragsformulare auf den Tisch. Was bedeutet, dass die Beratung mehr Zeit in Anspruch nimmt. Zunehmend suchen zudem Menschen Rat, die bislang noch irgendwie zurecht kamen. 30 Anfragen täglich sind für Viera Lohrey eher die Regel als die Ausnahme.

Die Awo schlägt Alarm und warnt vor einer Gefahr für den sozialen Frieden: (v.l.) Christiane Kaspari, Barbara König und Viera Lohrey.
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Immer länger wird deshalb die Zeitspanne zwischen den Terminen, die das Beratungsteam anbieten kann. Drei bis vier Wochen sind inzwischen üblich – häufig zu lang, um Fristen einzuhalten, so dass neuer Arbeitsaufwand auf die Beraterinnen zukommt – und wachsende Geldnot auf die Ratsuchenden. Auch wenn im Nachhinein eine Unterstützung bewilligt wird, wachsen Not und im Zweifelsfall auch Schulden.
Selbst Medikamente können sich viele Menschen nicht mehr leisten
Immer häufiger komme auch das Thema Inflation in der Sozialberatung auf den Tisch, berichtete Christiane Kaspari. Kindergeburtstage würden nicht mehr gefeiert, Winterkleidung werde nicht gekauft. Selbst Medikamente könnten sich viele Menschen nicht mehr leisten, Rentner duschten nicht. Und wer schon vorher im Pullover in einer kühlen Wohnung saß, der könne da auch nicht mehr sparen.
Dabei kommen erst nach und nach die Energiekostenabrechnungen und neue Abschläge bei den Mieterinnen und Mietern an. In der Beratung werde der Ton rauer, berichten Lohrey und Kaspari aus eigener Erfahrung: Frustiert und erbost seien ihre Gegenüber, die Zahl psychisch Erkrankter nehme zu. Und bei Barbara König wächst die Sorge um den sozialen Frieden in Deutschland: „Es ist ein guter Rat, der nicht teuer ist“, wirbt sie um Unterstützung. „Wenn der aber nicht da ist, kommt das die Gesellschaft teuer zu stehen.“