Wolfgang Ort will seine Kneipe in Siegburg betreiben, bis er 90 ist. Andere haben aufgegeben. Was Wirte über das Kneipensterben sagen.
„Keine Laufkundschaft“Wie Wirte in Rhein-Sieg das Kneipensterben sehen

Voller Deckel: Wolfgang Ort, genannt Wolli, betreibt das „Warsteiner Eck“ seit 19 Jahren.
Copyright: Marius Fuhrmann
Die Kneipe macht zu – zumindest für heute Abend. Wolfgang Ort, genannt „Wolli“, lässt das Rolltor vor dem „Warsteiner Eck“ in Siegburg-Wolsdorf herunter. Draußen steht ein mosernder Gast, der kaum über das zweite Kölsch herausgekommen war. „Wenn er so früh zumacht, braucht er sich nicht wundern, dass keine Gäste kommen“, sagt er um kurz vor 22 Uhr.
Am nächsten Tag ist Wochenende – da ist die Kneipe sicherlich länger auf. „Wolli“ Ort kann sich sicher sein, dass die Wolsdorferinnen und Wolsdorfer zu ihm kommen, denn das „Warsteiner Eck“ ist die letzte echte Kneipe im Stadtteil. Von mehr als 14.000 Kneipen vor 20 Jahren sind dem Statistischen Landesamt Nordrhein-Westfalens zufolge weniger als 8000 übrig. Die Wirtinnen und Wirte sehen darin unterschiedliche Gründe.
Die Jungen trinken heute alle zu Hause und gehen in die Disco.
Das Yachthaus, der Riemberger Hof, Clarens Eck: alles Kneipen in Siegburg-Wolsdorf, die in den vergangenen Jahren schlossen. „Früher war man am Freitag um halb sieben eben hier – das war Pflicht“, sagt Ort. „Die Jungen trinken heute alle zu Hause und gehen in die Disco. Dabei sind 1,80 Euro für ein Kölsch nicht viel. Andere Kneipen in der Innenstadt liegen schon über zwei Euro“, meint er. „Wir haben hier halt keine Laufkundschaft, nur Stammkunden.“
Warsteiner Pils gebe es im „Warsteiner Eck“ nicht, dafür zwei Kölschsorten. „Ich bin Extrem-Kneipe“, sagt Ort. 2006 übernahm er den Laden an der Ecke Auf der Papagei/Marienhofstraße, in den er als Jugendlicher selbst oft ging – und ließ die Einrichtung, wie sie war. „Die Tische sind dieselben von 1978.“ Schals und Bilder der Prinzenpaare hängen an der Wand, ebenso ein Trikot des 1. FC Köln, am Wochenende laufen die Spiele hier. Dazu Sparkästchen, Emaillen, Aufkleber. „Karneval sind hier 400 Mann drin – die passen nicht rein, aber die sind drin.“

Bilder, Aufkleber und Emaillen dekorieren die Wand im „Warsteiner Eck“.
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Gastwirt in Siegburg will weitermachen, bis er 90 ist
Ein Problem sehe er im 2012 eingeführten Rauchverbot. „Es wäre besser, wenn jeder Wirt selbst entscheiden dürfte – dann wäre das hier eine Raucherkneipe. Manche Gäste fahren rüber nach Rheinland-Pfalz, weil sie das da dürfen“, sagt der Wirt, wobei das Kneipensterben auch im Nachbarbundesland weit verbreitet ist. Eigentlich wolle er am 1.1. kommenden Jahres in Rente gehen. „Aber ich kann doch meine Freunde nicht im Stich lassen. Also mache ich das, bis ich 90 bin.“
Verlassen ist das „Scheel Seck“ an der Kelterser Straße in Eitorf. Einst Musikkneipe mit Tanzsaal, finden drinnen nun Umbauarbeiten statt, die das Wesen einer Kneipe verschwinden lassen. Im März 2023 ließen Inhaber Bernd Brock und seine Frau das letzte Kölsch über die Theke gehen. Der Grund sei vor allem mangelnde Kundschaft gewesen.
Gäste in Eitorf kamen weniger fürs Trinken als für Vereinsveranstaltungen
„Corona hat vielen den Hals gebrochen, wir haben es überstanden. Aber trotzdem sind wir hier nie richtig angekommen, in Bonn oder Siegburg wäre es besser gelaufen“, resümiert Brock. „Der Kölschpreis lag bei 1,70 Euro, viele hatten schon 1,80 Euro verlangt. Trotzdem sind wir stets bei plus/minus null rausgekommen.“ Die Gäste, die sie hatten, seien weniger zum Trinken gekommen. „Freitags war der Gesangsverein drin, sonntags der Tanztee. Da hat eine Liveband gespielt, es gab keinen Eintritt, aber trotzdem waren nur zehn bis zwölf Leute da.“ Unter der Woche sei es erst recht leer gewesen.

Der Gasthof „Zur Scheel Seck“ wird zwei Jahre nach der Schließung jetzt umgebaut.
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„Gewurmt hat mich, wenn ein Biergarten Livemusik mit Eintritt hatte und die Leute dahin gegangen sind.“ Auch an Karneval sei der Besucherandrang gering gewesen. Brock entschloss sich, die Kneipe abzugeben. Doch seine Kinder lehnten ab. „Sie sind beide berufstätig und konnten die Kneipe nicht weiterführen. Es ist auch keine Wirtsfamilie reingerutscht.“ Es blieb nur die endgültige Schließung, nach sechs Jahren. „Es war eine schöne, interessante Zeit, aber am Ende hat es keinen Spaß mehr gemacht – ich war froh, dass es vorbei war.“
Kneipensterben: Von 56 Kneipen in den Eitorf ist nur eine Handvoll übrig
Die Schließung wirke sich auf die Kneipenkultur in Eitorf aus: „Hier gab es mal 56 Kneipen über alle Dörfer verteilt, nun ist nur noch eine Handvoll übrig. Die Scheel Seck war die letzte mit einem Saal“, sagt Brock. Das Gebäude habe er verkauft.
Bernd Kranz, Vorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) im Rhein-Sieg-Kreis, beobachtet schon lange eine Reihe schließender Kneipen. „Es ist das alte Übel: Die Kosten für Kneipenbesitzer sind exorbitant gestiegen, das lässt sich nicht alles auf den Getränkepreis umlegen. Viele sagen, sie würden es noch fünf Jahre machen, aber finden keinen Nachfolger.“
Auch er spricht von einem veränderten Gastverhalten, das das Risiko des Jobs erhöhe: „Die Leute gehen nicht mehr nach dem Feierabend unter der Woche in die Kneipe, die Marge bleibt klein.“ Zudem werde das Kölsch stetig teuer: „In Köln und Bonn kriegen Sie nirgends mehr ein Kölsch unter zwei Euro, das wird hier bald auch so sein. In der Summe wird alles teurer, und der Kunde überlegt, ob er vier- oder fünfmal geht.“
Auch die Lautstärke der Außengastronomie sei ein Thema. „In NRW gibt es da strikte Regelungen, jede Störung ruft das Ordnungsamt auf den Plan. Mai bis September ist für die Außengastronomie ein schweres Brot, weil der Lärm bei den Nachbarn durchs offene Fenster kommt.“ Mit Blick auf die Veranstaltung „Siegburg Live“ auf dem Marktplatz, die auch früher zu Ende sei als ehedem, spricht Kranz von einem „Party-Verhinderungsgesetz“. „Bei gutem Wetter würden die Leute da bis zehn, halb elf bleiben – das ist auch wieder Umsatz, der verloren geht.“