Vom Nationalsozialismus geprägtTroisdorfer schreibt über seine lieblose Familie

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Das Fotogeschäft der Eltern, hier mit der Mutter des Autors, Ilse Fischer, war eine Troisdorfer Institution. 

Troisdorf – Liebevoll hat Großvater Paul den kleinen Bollerwagen lackiert, in Blau, Gelb und Rot ist er der Stolz des Vierjährigen. Doch einmal stellt der kleine Andreas ihn vor dem Haus ab, da ist er auch schon verschwunden und soll erst viele Jahre später auf dem Dachboden wieder auftauchen. Die Großmutter hat das Gefährt versteckt. Boshaft, sicher, aber diese Episode aus Andreas Fischers Roman „Die Königin von Troisdorf – wie der Endsieg ausblieb“ ist noch vergleichsweise harmlos.

Der Großvater, ein angesehener Malermeister mit künstlerischen Ambitionen, malt auch ein großes Hitlerporträt für die Wohnung. Die Mutter reißt ihrem Sohn Andreas einen Zahn aus, als sie ihm wütend ein Unterhemd über den Kopf zieht. Der Onkel prügelt seinen Neffen windelweich, nur weil dieser verbotenerweise auf einer Baustelle spielt.

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Buchautor Andreas Fischer an der Stelle, wo das Fotogeschäft seiner Eltern stand: An das Gebäude erinnert nur noch die Brandmauer des Nachbarhauses.

Schmerzlich sehnt sich der Junge nach der Zuneigung seines Vaters. Doch der ist am Abend nur kurz ansprechbar, dann versinkt er in Schnapsrausch und sprachlosem Trübsinn. Noch Jahrzehnte später fragt sich Andreas Fischer, woher Ignoranz und Gefühllosigkeit bis hin zu offener Brutalität kommen, die Härte der Verwandten gegenüber sich selbst und anderen. Dann stellt er fest: Auch der von ihm geliebte Großvater, der starb, als der Enkel fünf Jahre war, hatte seine Kinder bereits geschlagen.

Zur Person

1961 in Troisdorf geboren

Andreas Fischer wurde 1961 in Troisdorf geboren und lebt heute in Berlin. Nach Abitur und Zivildienst absolvierte er eine Fotografenausbildung und ein Studium der Filmwissenschaft, Ethnologie und Psychologie in Köln und Berlin. Von 1999 bis 2004 war er künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Dokumentarfilme

Als Dokumentarfilmer drehte er unter anderem „Contergan – die Eltern“ (WDR, 2003), „Die Les Humphries Singers“ (NDR, 2007), „Söhne ohne Väter“ (ZDF, 2007) und „Der Hamburger Feuersturm 1943“ (NDR, 2009). Ein Abend mit seinen Filmen ist für Donnerstag, 21. April, 20 Uhr, im Kunsthaus vorgesehen.

Signierstunde

Zu einer Signierstunde kommt Andreas Fischer am Samstag, 23. April, 12 bis 14 Uhr, in die Stadtbibliothek Troisdorf im City Center an der Kölner Straße 69 bis 81. Eine Buchpräsentation folgt am Sonntag, 24. April, 15 Uhr, im Kunsthaus an der Mülheimer Straße 23, ein weiterer Termin am Freitag, 6. Mai, 19 Uhr in der Johanneskirche, Beginn ist um 19 Uhr. (ah)

Fischer ist Dokumentarfilmer, davon profitiert sein Romandebüt. In einer Montagetechnik aus frei erzählten Szenen, Feldpostbriefen und Dokumenten zeigt der 61-Jährige, wie NS-Ideologie und Kriegstraumata die Familie prägten: die Verletzungen des Großvaters, der im Ersten Weltkrieg immer wieder verwundet und zusammengeflickt wurde und dann doch weiterkämpfen musste. Die Erlebnisse des sprachbegabten Vaters in Frankreich im Zweiten Weltkrieg, wo er nach den Gefechten in den Ardennen in Kriegsgefangenschaft geriet – und über die Fischer nur mutmaßen kann, weil darüber nicht gesprochen wurde.

Spannendes Zeitpanorama

Fischer gelingt ein so bedrückendes wie spannendes Zeitpanorama durch 100 Jahre Familiengeschichte, ohne moralisch erhobenen Zeigefinger, aber frappierend ehrlich und teils mit bitterem Humor – etwa, wenn er Großmutter und Mutter „Hindenburg und Ludendorff“ nennt.

Das Fotogeschäft der Eltern Ilse und Reinhold Fischer ist in den 70er Jahren bestens etabliert, an der Kölner Straße werden Porträts und Kommunions- oder Hochzeitsaufnahmen in Auftrag geben, Filme gekauft und entwickelt. Die Fotomeisterin ist beliebt, nimmt sich Zeit zum Plausch mit den Kunden, ihr Mann ist gelernter Optiker und handwerklich versiert.

Tante Hilde als einzige Bezugsperson

Harte Arbeit bringt den Wohlstand, ein Mietshaus und das eigene Familienhaus werden gebaut. Schwester Hilde besorgt den Haushalt der Fischers – selbst kinderlos, ist sie mit ihrer herzlichen Art für Andreas die engste Bezugsperson. Und sie hilft bei den Hausaufgaben: Unter eine schreibt ein Lehrer einmal „Sehr gut für Tante Hilde“. Als Dokumentarfilmer widmet Fischer der Tante einen liebevollen Film: Die Aufnahmen entstehen, als er nach ihrem Tod 2010 ihren Hausstand auflöst.

Heute weiß er, dass der Tod seines Onkels Günther mütterlicherseits, der 1941 in der Ukraine bei einem Luftangriff getötet wurde, wie ein Schatten über der Familie lag. Feldpostbriefe zeigen Günther als fanatischen Hitleranhänger, der so lange bei Vorgesetzten drängelte, bis er im Kampf eingesetzt wurde.

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Der Buchtitel „Die Königin von Troisdorf" spielt auf Andreas Fischers Großmutter an, die auch auf dem Cover zu sehen ist.

Vor allem die Großmutter, ob ihrer herrischen Art von einem Bauarbeiter einmal als „Königin von Troisdorf“ tituliert, sollte nie darüber hinwegkommen. Den Enkel, der die Wunde nicht heilen kann, akzeptiert sie nicht und macht ihn als Taugenichts nieder. Fischer konstatiert: „Oma Lena ist kleiner als die meisten Menschen, doch sie schafft es, selbst auf Menschen herabzusehen, die drei Köpfe größer sind als sie.“

Schlüsselerlebnis in Geschichtsstunde

Zu einem Schlüsselerlebnis wird für den 13-Jährigen eine Geschichtsstunde. Die Lehrerin geht auf den Holocaust ein, die Millionen ermordeter Juden. Alles Lüge, erfunden von den Alliierten, so schimpft am Abend der Vater. Doch die Lehrerin, selbst durch den Krieg zur Halbwaisen geworden, besteht ruhig, gelassen und traurig auf der Wahrheit. Andreas, der gern liest und Stammkunde der Stadtbücherei ist, schlägt alles nach.

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Der Pastor erklärt ihm, dass sein Vater viele Lebensjahre und den Bruder verloren habe, völlig sinnlos. „Wenn man anerkennt, dass man betrogen worden ist, muss man anerkennen, dass man sich hat betrügen lassen. Es gehört Kraft dazu, dem ins Auge zu sehen, und Größe.“ Fischer folgert: „Die hat leider nicht jeder.“

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