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„Du kannst trotzdem spielen gehen“Eltern sind krank und Kinder leiden – Wie die Diakonie in Rhein-Sieg hilft

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Ute Harth nutzt im Gespräch mit den Kindern sehr gerne ihre Puppen, um das Reden zu erleichtern.

Ute Harth nutzt im Gespräch mit den Kindern sehr gerne ihre Puppen, um das Reden zu erleichtern.

Wenn Kinder darunter leiden, dass Eltern psychisch erkrankt sind, bietet die Abteilung die Diakonie niedrigschwellig Hilfe für die Familien an.

„Ich hatte eine Mutter zum Beratungsgespräch hier, die überhaupt nicht wusste, wie sie ihrem Kind die Erkrankung seines Vaters erklären sollte“, sagt Ute Harth. „Ich sagte ihr dann, sie solle einfach mal anfangen und ich helfe dann.“ Das ist ihr wichtig, wann immer möglich gemeinsam mit den Eltern mit den Kindern ins Gespräch zu kommen.

Ute Harth ist Diplomsozialpädagogin und arbeitet im Bereich der Mobilen Jugendhilfen der Diakonie An Sieg und Rhein in Troisdorf. Dabei ist sie unter anderem für den Arbeitsbereich „KIPS“ zuständig. Das steht für „Kinder in psychisch und/oder suchterkrankten Familien.“ Das Angebot richtet sich speziell an Kinder und Jugendliche, in deren familiärem Umfeld Eltern psychisch erkrankt oder suchterkrankt sind – mit Auswirkungen auf die Kinder.

Hilfe der Diakonie ist niedrigschwellig: Keine Anträge benötigt

„Wir unterstützen und beraten die Eltern, die Kinder oder auch die ganze Familie, um gemeinsam herauszufinden, wo und was sich verändern muss, damit die Kinder die Chance auf eine weitere positive Entwicklung bekommen“, erklärt Ute Harth. Sie arbeitet dabei möglichst nah an der Lebensrealität der Familien und Kinder, damit sie Ergebnisse direkt in ihren Alltag integrieren können.

Die Hilfe soll vor allem niedrigschwellig sein, betonen die Verantwortlichen der Diakonie. Wer die Hilfe in Anspruch nehmen möchte, braucht keinen Antrag und keine klinische Diagnose der Eltern, man kann einfach Kontakt aufnehmen. Manchmal empfiehlt auch das Jugendamt den Familien die Kontaktaufnahme mit der mobilen Jugendhilfe. Anfragen der Eltern kämen häufig mit dem Eintritt der Kinder in die Schule, berichtet Ute Harth. Durch die neuen Anforderungen werde manchmal verändertes Verhalten der Kinder erst sichtbar.

Häufigste Erkrankungen sind Depressionen und Angststörungen

Das könne an vielen Symptomen erkennbar sein: „Die Kinder haben Bauchschmerzen, sind traurig, wütend oder reagieren ängstlich, wollen nicht in die Schule“, listet Ute Harth auf. „Auch Leistungsabfall in der Schule kann ein mögliches Warnsignal sein, die Kinder reagieren mit Rückzug und wollen keine Freunde treffen.“ Dann gebe es den Erstkontakt mit den Eltern, aber Kinder ab 14 Jahren könnten sich auch ohne Eltern bei der Diakonie melden.

„Am Anfang geht es ums Zuhören und Verstehen“, sagt Ute Harth. Wer gehört zur Familie? Sind die Eltern zusammen oder getrennt? Wie gestaltet sich der Alltag der Familie? Hat die Familie bisher Unterstützung erfahren? Welche Erkrankung liegt vor und bei welchem Elternteil?

Die häufigsten Erkrankungen seien Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) – auch manchmal in Kombination mit einer Suchtproblematik. „Es gibt Eltern, die sagen uns im Gespräch: ‚Ich glaube, mein Sohn denkt, er kann uns helfen und ist weniger eine Belastung, wenn er sich auf eine bestimmte Weise verhält.‘ – Ein häufiges Problem“, sagt Ute Harth. „Die Kinder übernehmen Verantwortung, die gar nicht ihre ist, die sie nicht tragen können.“

Es muss vermittelt werden: Es ist eine Erkrankung, die medizinische Behandlung braucht.
Ute Harth, Diplomsozialpädagogin bei der Diakonie An Sieg und Rhein

„Unsere Hauptaufgabe ist es daher, mit den Eltern zusammen die Kinder über die Erkrankung der Eltern zu informieren und aufzuklären. Denn: es muss vermittelt werden: Es ist eine Erkrankung, die medizinische Behandlung braucht.“ Essenziell sei das, erklärt Ute Harth, weil gerade bei psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft oft Stigmata damit einhergingen. „Ist jemand depressiv und schafft es nicht, aufzustehen, oder sich um den Haushalt zu kümmern, kann es oft heißen: ‚Die sind ja nur faul‘. Das ist aber fatal. Dass dem nicht so ist, bringen wir den Kindern näher.“

Das geschieht in Einzelgesprächen und in der Kindergruppe, oft auch spielerisch und immer im eigenen Tempo der Kinder. Hat Ute Harth mit den Eltern gesprochen, lernt sie die Kinder kennen. „Ganz wichtig ist der Aufbau von einer vertrauensvollen Beziehung. Verpasst man das, sind die Familien ganz schnell wieder weg“, so Harth. Gut sei, dass die Familien von selbst zu ihnen kämen. „Hier wird niemand hingeschickt, die Familien melden sich, weil sie ein Anliegen haben, den Wunsch, dass sich etwas verbessert.“

Tierfiguren und Bücher stehen in einem Regal.

Einladend, bunt und mit Spielsachen sind die Räume der Mobilen Jugendhilfe versehen, um den Kindern den Zugang zu erleichtern.

In der Kindergruppe lernen die Teilnehmenden, die meist zwischen acht und zwölf Jahre alt sind, als erstes, dass sie in ihrer Situation nicht allein sind. Anderen geht es ähnlich wie ihnen, das sei schon eine Hilfe. Und sie reden, über ihre Familie, sich selbst, miteinander. „Wir sprechen auch über die Erkrankung der Eltern und fragen: Was ist das? Welche Auswirkungen hat es? Was macht es mit mir? Wie hat sich seit der Erkrankung die Situation zu Hause verändert?“, erklärt die Sozialpädagogin.

Kinder sprechen in der Gruppe auch über ihre Kraftquellen

Und: „Wir sprechen darüber, was den Kindern Kraft gibt, was ihnen hilft, wenn es ihnen nicht gut geht oder mit wem sie dann sprechen können. Wir erarbeiten mit den Kindern ihre Kraftquellen.“ In den meisten Fällen nannten die Kinder ihre Geschwister. Aber auch Hobbys wie Schwimmen, Tanzen oder Lesen. Oder der Spaziergang mit dem Hund.

„Geschwister sind eine große Ressource für die Kinder“, betont Ute Harth. „Aber auch die Schule hilft ihnen oft. Dort fühlen sie sich gesehen und es gibt etwas zu tun, sie können sich beschäftigen.“ Und wenn zum Beispiel ein Kind gerne liest, aber Schwierigkeiten hat, an Bücher zu kommen, dann würde auch überlegt, wie die Kinder, die Möglichkeit haben, an ihre Kraftquelle zu gelangen – in dem Fall zum Beispiel in einer Bibliothek, wenn das Geld für Bücherkäufe nicht da sei.

Sehr wichtig in der Arbeit mit den Kindern sei auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen. „Darf ich meinen Gefühlen trauen? Darf ich wütend auf Papa sein, weil er gerade nicht mit mir spielen kann?“

Maria Saibel-Bächler, Projektleitung Mobile Jugendhilfen bei der Diakonie.

Maria Saibel-Bächler, Projektleitung Mobile Jugendhilfen bei der Diakonie.

Umgekehrt wird mit den Eltern ähnlich gearbeitet. „Wir wollen erreichen, dass es den Eltern gelingt, den Kindern zu kommunizieren, dass sie nicht die elterliche Verantwortung übernehmen sollen. Damit die Eltern es schaffen zu sagen: ‚Ja, mir geht es jetzt nicht gut, aber du kannst trotzdem spielen gehen‘“, sagt Maria Saibel-Bächler, Leiterin der Mobilen Jugendhilfen. „Wenn die Kinder aufwachsen und merken, sie können und dürfen ein eigenständiges Leben führen, dann hatten wir Erfolg.“