Eine junge Mutter floh mit ihrer Tochter vor ihrem gewalttätigen Ehemann. Von der Polizei wurde sie zunächst nicht ernst genommen.
Vom Exmann bedrohtWie eine alleinerziehende Troisdorferin der Gewalt und Armut entkam

Symbolbild: Alleinerziehende sind überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen.
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Mitten in der Nacht im April 2019 warf ihr Ex-Mann sie und ihre Tochter, damals im Kindergartenalter, aus der gemeinsamen Wohnung in Köln. Die heute 35-Jährige hatte sich schon lange von ihm trennen wollen. „In der Ehe ist er gewalttätig geworden – einmal körperlich und jahrelang psychisch. Das hat auch nach der Trennung nicht aufgehört.“ Unter anderem habe er sie vergewaltigt, sagt die Troisdorferin.
Zu ihrem Schutz und dem ihrer Tochter möchte die alleinerziehende Mutter anonym bleiben. In Köln hatte sie bei einem Callcenter gearbeitet, war wegen des gewalttätigen Ehemanns schon länger auf der Suche nach einer neuen Wohnung. Durch einen Kontakt ihres damaligen Teamleiters hatte sie bereits die Aussicht auf eine Wohnung in Troisdorf. „Ich habe den Vermieter dann angerufen und gefragt, ob ich schon früher in die Wohnung kann, weil ich gerade auf der Straße sitze.“ Der Vermieter habe sofort bejaht. Sie setzte sich mit ihrer Tochter in den Zug nach Troisdorf, wo zuerst eine harte Zeit für beide begann.
Die Troisdorferin wollte Anzeige erstatten – Polizei nahm sie trotz Morddrohungen zunächst nicht ernst
„2019 war richtig katastrophal – ich wusste einfach nicht mehr, wo vorne und hinten ist. Ich war ehrlich gesagt am Ende.“ Über sie seien noch einige gemeinsame Verträge mit ihrem Exmann gelaufen, beispielsweise zur Abbezahlung von Möbeln. „Obwohl er zu mir gesagt hatte, dass er die Raten bezahlt, hat er das nicht mehr getan. Dann habe ich laufend Briefe bekommen, das hat sich alles vermehrt.“
Die Schulden verursachten bald einen Konflikt mit ihrem Vermieter. Sie bezog damals Geld vom Jobcenter, ihr alter Arbeitsvertrag war ausgelaufen. Ihre Tochter fuhr sie weiterhin jeden Tag in deren alte Kita in Köln, „weil sie schon so viel mitbekommen hat, wollte ich nicht auch noch ihr Umfeld ändern“.
Ich habe damals auch gesagt, anscheinend muss ich erst umgebracht werden, damit sie überhaupt handeln.
Bald habe ihr Ex-Ehemann ihre neue Adresse in Troisdorf herausgefunden und stark alkoholisiert vor ihrer Tür gestanden. Die 35-Jährige rief die Polizei, die ihn mitnahm. Schon zu diesem Zeitpunkt habe sie Anzeige erstatten wollen, die Troisdorfer Polizei habe diese aber nicht aufgenommen.
Im Anschluss habe ihr Ex-Mann nicht aufgehört, sie zu bedrohen, er habe ihr geschrieben, dass er sie umbringen wolle. „Ich bin dann zur Polizeiwache gegangen und hab' denen die Nachrichten vor Ort gezeigt. Dann habe ich als Antwort bekommen, ‚das sind ja nur Drohungen, er handelt ja nicht‘.“ So habe sie vorerst ihr Vertrauen in die Polizei verloren, sagt die Troisdorferin. „Ich habe damals auch gesagt, anscheinend muss ich erst umgebracht werden, damit sie überhaupt handeln.“
Geschädigte fand Hilfe beim SKM Rhein-Sieg und dem Weißen Ring
Dieses Verhalten der zuständigen Polizeibeamten sei bedauerlich, sagt Stefan Birk, Pressesprecher der Polizei des Rhein-Sieg-Kreises. „Um sich externe Hilfe bei zum Beispiel Gerichten oder Frauenhäusern suchen zu können, brauchen betroffene Frauen ganz dringend Dokumentationen der Polizei. Deswegen ist es wichtig, solche Ereignisse von vornherein ernst zu nehmen.“
Die Polizei verändere sich kontinuierlich hinsichtlich ihrer Sensibilität, was Gewalt gegen Frauen angehe: „Wir müssen uns in dem Bereich immer weiter verbessern und sind vermutlich auf einem guten Weg, aber auch nicht fehlerfrei.“ Die Polizei im Rhein-Sieg-Kreis beobachtet von 2023 auf 2024 einen Anstieg der Fälle häuslicher Gewalt. Das Troisdorfer Frauenzentrum beriet im Jahr 2023 insgesamt 260 akut von Gewalt betroffene Frauen.
Alleinerziehend bedeutet oft, auf sich gestellt zu sein und wenig Unterstützung vom Expartner zu bekommen. Viele haben keine Verwandten in der Nähe.
Die 35-jährige Troisdorferin fand Hilfe beim SKM (Katholischer Verein für soziale Dienste im Rhein-Sieg-Kreis). Jutta Janick, die das Projekt „Keine Kind im Obdach“ leitet, unterstützte sie dabei, eine neue Wohnung zu finden. Mithilfe der Schuldnerberatung des SKM gelang es ihr, Privatinsolvenz zu beantragen. „Auch durch die Gespräche mit Frau Janick haben sich mein Selbstbewusstsein und meine Psyche Tag für Tag mehr aufgebaut“, sagt die alleinerziehende Mutter.
Alleinerziehende sind laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2021 überproportional oft von Armut betroffen; demnach gelten knapp 43 Prozent aller Einelternfamilien als einkommensarm. Das Projekt „Keine Kinder im Obdach“ betreue aktuell 29 Familien, davon seien 20 alleinerziehende Eltern, sagt Jutta Janick. 19 Frauen, ein Mann.
„Alleinerziehend bedeutet oft, auf sich gestellt zu sein und wenig Unterstützung vom Expartner zu bekommen“, erläutert Jutta Janick. „Viele haben keine Verwandten in der Nähe. Oft ist es schwer, parallel zu arbeiten.“ Da Alleinerziehende oft von diversen Einnahmequellen wie Lohn, Kindergeld und Wohngeld lebten und das Geld an unterschiedlichen Tagen komme, sei nach der Zahlung der Miete und Nebenkosten häufig erstmal kein Geld mehr da.
Mein Ex-Mann hatte mich psychisch quasi ausgeraubt. Ich hatte mein ganzes Selbstbewusstsein verloren und war einfach nur da, für meine Tochter weiter am Leben.
Stück für Stück fand sie so wieder zu finanzieller und psychischer Stabilität. Sie begann eine Ausbildung zur Zahntechnischen Assistentin. In ihrer neuen Wohnung baute sie eine enge Beziehung zu ihren Nachbarn auf: „Wir sind hier wie eine Familie.“
2024 überzeugte sie ihr neuer Partner davon, noch einmal zur Polizei zu gehen. Diesmal wurde sie dort gehört. Sie konnte Anzeige gegen ihren Exmann erstatten, eine Verhandlung folgte. Wegen Bedrohung und Beleidigung sei dieser zu einer Geldstrafe verurteilt worden. „Andere Strafsachen wurden beendet, weil schon fünf Jahre vergangen waren“, berichtet die Frau.
Ex-Ehemann erhielt Näherungsverbot, aber behielt das Recht auf Umgang mit neunjähriger Tochter
Außerdem wurde ihrem Ex-Ehemann ein Näherungsverbot auferlegt. Zu ihrer heute neunjährigen Tochter dürfe er jedoch weiterhin Kontakt haben, auch wenn diese das nicht wolle, sagt die Mutter. „Meine Tochter hat oft Angst, vor dem Jugendamt ihre Meinung zu äußern und zu sagen, dass sie keine Umgänge will – weil sie Angst hat, dass der Vater dann plötzlich vor der Schule auftaucht und versucht, sie mitzunehmen.“
Früher habe die Tochter nach Begegnungen mit ihrem Vater oft Wutausbrüche gehabt. „Wir haben eine lange Zeit gebraucht, um die Vergangenheit zu verarbeiten“, sagt die Alleinerziehende. Gemeinsam machten sie eine Therapie, hätten viel über das gesprochen, was ihnen geschehen sei. „Ich habe ihr erklärt, dass sie in Zukunft keine Angst mehr haben muss, dass sie jetzt in Sicherheit ist.“
In ihrer Ehe war sie trotz sich wiederholender Gewalterfahrungen jahrelang nicht in der Lage, sich Hilfe zu holen: „Mein Ex-Mann hatte mich psychisch quasi ausgeraubt. Ich hatte mein ganzes Selbstbewusstsein verloren und war einfach nur da, für meine Tochter weiter am Leben.“
Anderen Frauen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, möchte sie trotz allem Mut machen: „Sie sollen keine Angst haben, sie sollen sich Hilfe holen.“ Der SKM und der Weiße Ring, über den sie ihre Anwältin für den Prozess gefunden hatte, seien für sie wichtige Anlaufstellen gewesen, durch die sie ihre Lage habe überwinden können.