Zweiter Weltkrieg in Eitorf„Ich wache weinend auf“

Die Asbacher Straße auf einer Strecke von 100 Metern.
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Eitorf – Es ist der 8. März 1945, kurz vor 15 Uhr. Ein trüber Tag. Katharina Hatterscheid verabschiedet sich von ihrer Tochter Lotti, um bei der Schneiderin ein Kleid abzuholen. Die Neunjährige bleibt in der Bachgasse. „Eigentlich wollte ich mitgehen, aber Nachbarn hatten mich gebeten, auf ihre kleine Tochter aufzupassen“, erzählt Lotti. Auf der Asbacher Straße stoppt die Mutter bei einer Nachbarin, wo bereits eine weitere Bekannte mit ihren zwei Kindern für ein Schwätzchen eingekehrt ist. „Frau Schiefen hat die Mama auf eine Tasse Tee hereingebeten. Und Tee – das war ja was!“ Es ist 15.20 Uhr. Ein plötzliches Dröhnen erfüllt die Luft, ein Rauschen und Sirren kommt aus dem wolkenverhangenen Himmel, und Bomben fallen wie schwerer Regen. Keine Sirene hat die Bevölkerung gewarnt.
Hunderte Bomben schlagen in die Asbacher Straße ein, zersieben die Cäcilienstraße, den Leienberg und die Hospitalstraße. Ein Steinregen prasselt hernieder, Rauch und Qualm verdunkeln den Himmel. Frau Schiefen und die Bekannte können sich mit ihren Kindern retten. Katharina Hatterscheid, die noch den kostbaren Tee austrinken will, stirbt in den Trümmern. Sie ist 41 Jahre alt.
139 Menschen finden bei dem ersten großen Bombenteppich, der auf Eitorf fällt, den Tod, darunter auch fünf Krankenschwestern, etliche Patienten und mehrere Neugeborene im völlig zerstörten Eitorfer Krankenhaus. Die Leichen, die geborgen werden können, bringen die Kaplane Sachs und Vieten in die Pfarrkirche St. Patricius, die fortan als Leichenhalle dient. Die vielen Toten liegen auf und neben den Kirchenbänken, auf dem Boden. Zuhause wartet Lieselotte mit ihrer zwölfjährigen Schwester Anni ängstlich auf die Rückkehr der Mutter. „Unsere Tante Therese, die bei uns im Haus lebte, hat dann die Anni genommen und ist in die Kirche gegangen, um unter den Toten zu suchen. Aber sie haben die Mama da nicht gefunden.“
Ihre Leiche wird erst drei Monate später entdeckt, als jemand in den Trümmern nach Brennholz gräbt. „Ich habe ihren dunklen Mantel gesehen“, erinnert sich ihre Tochter Lotti Thalmaier. „Der Kaplan hat mich dann an die Hand genommen und weggeführt. Er hat mir gesagt, ich soll die Mama so im Gedächtnis behalten, wie ich sie zuletzt gesehen habe.“
Die Erinnerung verfolgt die 80-Jährige bis heute. „Ich träume von der Mama, sie schaut mich an und dann ist sie weg. Sie spricht nie. Und ich wache weinend auf.“
Neun Tage später, am Samstag, 17. März, wiederholt sich das Grauen: Gegen 18 Uhr greift ein weiterer Flugzeugverband den Ortskern an. Und auch dieser Angriff kommt unerwartet. Kaum hören Lotti, Anni und ihre Tante Therese das unheildrohende Brummen der Flieger, verlassen sie das Haus und laufen zur Zigarrenfabrik in die Schümmerichstraße, die einen Luftschutzkeller hat. Die Bomben fallen, die Detonationen sind ohrenbetäubend. „Ich bin vor lauter Angst einer Frau unter den Rock gekrochen“, erinnert sich Lotti Thalmaier.
Der Marktplatz mit den umliegenden Gebäuden und seinem 800 Jahre alten Turm werden zerstört, ebenso wie das barocke Eitorfer Rathaus, Baust Mühle, die Poststraße sowie weite Teile der Siegstraße. 95 Menschen sterben bei diesem zweiten Angriff, darunter der Bürgermeister. Die 25 Menschen, die im 21 Meter hohen und acht Meter breiten Turm Schutz gesucht haben, werden unter den meterdicken Mauerteilen verschüttet. Tagelang hören die Eitorfer noch Rufen und Klopfgeräusche aus den Trümmern. Aber es gibt kein geeignetes Gerät, um die schweren Steine beiseite zu räumen. Bis die Trümmer endlich beseitigt und die Toten geborgen werden können, ist es Sommer. Die Leichen werden mit Kalk bestreut und an der Kirche abgelegt. Auch das Elternhaus von Lotti und Anni wird getroffen. Als die Kinder nach dem Angriff nach Hause zurückkehren, finden sie nur noch Trümmer und Bombenkrater vor. Sie retten noch Fotos, ein Armband aus Golddoublé, das sie ihrer Mutter geschenkt haben. Und sie finden ihre toten Haustiere. „Wir haben dann den Hund und die Katze beerdigt.“ Ihr Vater Josef erfährt in russischer Kriegsgefangenschaft durch ein Flugblatt von der Zerstörung Eitorfs. Er flieht, will zu seiner Familie, von deren Schicksal er nichts weiß. Doch er wird auf der Flucht erneut gefangen, diesmal von Franzosen. Er darf eine Postkarte nach Hause senden. „Da wussten wir wenigstens, dass er lebt!“ Die Töchter schicken ihm daraufhin ein Foto, das sie ohne ihre Mutter zeigt. „Da hat er gewusst, dass sie tot ist.“