Veedels-CheckDie Altstadt-Süd ist in Köln Spitzenreiter

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Treiben am Neumarkt/Schildergasse

Köln-Innenstadt – Über die Altstadt-Süd könnte man einen ganz eigenen Veedelscheck machen, so unterschiedlich zeigt sich das Gebiet mit seinen vielen Mikro-Veedeln. Zählt doch ebenso der schicke Rheinauhafen mit Schokoladenmuseum und Bürogebäuden genauso dazu, wie etwa das kaum bekannte Cäcilienviertel mit seinen kleinen Gässchen rund um den Griechenmarkt.

Der viel befahrene und belaufene Neumarkt mit Einkaufsmöglichkeiten und Drogen-Junkies ebenso wie das Kapitol-Viertel mit der geschichtsträchtigen Sternengasse.

Das Pantaleonsviertel, das die wenigstens Menschen in Köln zu kennen scheinen, und das Georgsviertel, das seine Bekanntheit vor allem dem Einsturz des Stadtarchivs vor neun Jahren verdankt. Das macht einen Bericht über dieses eine – vielleicht das heterogenste – aller 86 Kölner Veedel durchaus schwierig. Ist es doch gar nicht so einfach, eine generelle Atmosphäre zwischen Hahnenstraße und Ubierring auszumachen. Ein gemeinsamer Nenner liegt nicht selbstverständlich auf der Hand. Es ist vor allem bunt hier, wie so oft in Köln.

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Der kleine Park vor St. Pantaleon

Besonders bunt ist es auch im Severinsviertel, ebenfalls Bestandteil der Altstadt-Süd. Hier lebt und arbeitet Dieter Niehoff. Der 55-Jährige ist Gastronom. Seit rund 25 Jahren führt er Kneipen und Restaurants an der Einkaufsstraße zwischen Chlodwigplatz und Waidmarkt, der Severinstraße, die seit jeher als Hauptachse des Viertels gilt. Heute steht er täglich in der Tapas-Bar La Esquina gegenüber der Kirche St. Severin, einer von 15 Kirchen in der Altstadt-Süd – mehr als in jedem anderen Bezirk. Sein Veedel habe sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert, sagt er. „Früher, da waren hier viele ältere Leute vom Hafen oder der Markthalle unterwegs. Viele davon leben gar nicht mehr. Heute haben wir neue und jüngere Mitbürger im Veedel.“

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Ein Maibaum im Griechenmarktviertel

Das sei gar nicht schlecht. Denn es gebe auch im Jahr 2018 ein gutes Nachbarschaftsgefühl. Zwar nicht mehr so wie früher – „jeder kannte jeden“ – doch durch aktives Mitwirken und Mitgestalten vieler Bewohner am und um das Severinsviertel, das der Kölner liebevoll Vringsveedel nennt. Das habe unter anderem das Engagement und die Diskussionen rund um diverse Straßenfeste in der Südstadt in den vergangenen Monaten gezeigt. 

Doch Niehoff erinnert sich auch an weniger gute Zeiten. In den Jahren als die Nord-Süd-Stadtbahn gebaut wurde, und die Severinstraße zu weiten Teilen gesperrt war, seien viele Unternehmer bankrott gegangen. „Es gab Dreck, es war laut, es gab kaum Verkehr. Hier war tote Hose“, sagt er. Doch mit Abschluss der Arbeiten sei das Veedel attraktiver geworden. Und das Lebensgefühl heute? „Toll“, findet der Gastronom: „Man muss nicht weit laufen und ist schon an idyllischen Fleckchen. Am Römerpark, Friedenspark oder dem Rhein.“ Am liebsten sitzt Niehoff bei gutem Wetter auf dem Kirchplatz vor St. Severin.

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Dann schnappt er sich seinen Campingstuhl und genießt das Flair zusammen mit den Menschen, die in den verschiedenen Bars und Restaurants draußen sitzen, essen und trinken. Sein Veedel verlassen müsse er eigentlich selten. “Hier gibt es ja doch eigentlich alles.“ 

Nicht ganz so Veedels-verbunden sind die Studierenden Julian Seibert und Kathi Hambsch. Das Paar lebt im Mauritiusviertel mit Blick auf den Neumarkt. Ganz am anderen Ende der Altstadt-Süd also. Es sind nur 20 Minuten Fußweg, doch herrscht hier ein total anderes Lebensgefühl. Hier ist es laut, hier hört man beinahe rund um die Uhr Polizeisirenen, hier pulsiert das Herz der Stadt. Einer der Gründe, warum Seibert vor zweieinhalb Jahren aus dem Rhein-Kreis-Neuss in die Großstadt kam. „Ich komme vom Dorf, da sieht man niemanden auf der Straße“, sagt er. Von Anfang an habe er da leben wollen, wo Menschen sind. Mit einem Mitbewohner und viel Glück fand er damals schnell die Wohnung, in der er heute mit seiner Freundin lebt.

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Dieter Niehoff ist Gastronom im Severinsviertel.

Anders als für Gastronom Niehoff gibt es für die Neu-Kölner wenig Veedels-Gefühl. Im Mauritiusviertel wohnen sie vor allem gerne, „weil alles so gut angebunden ist“, erklärt Hambsch. Beide müssen regelmäßig zur Uni, auch die Arbeit sei gut zu erreichen. „Wir haben fünf Supermärkte in Laufnähe. Und wenn man noch ein T-Shirt braucht, geht man eben einmal über den Neumarkt.“ Dieses „Jeder kennt jeden“ aus dem Severinsviertel bekommen sie nicht so mit. „Wir kennen maximal die Leute hier im Haus“, sagt Hambsch. Doch immerhin ein Mal im Jahr käme dann doch zumindest Nachbarschaftsgefühl auf: Beim Veedelsfest, der Deepejasser Kirmes. Dass tatsächlich viele Menschen aus der Umgebung zusammen kommen, um gemeinsam zu trinken und Spaß zu haben, habe das Paar überrascht – im positiven Sinne. Dass sei dann auch so mit das einzige Event, das sie dazu bringt, einen Abend mal im eigenen Viertel auszugehen. 

Das pulsierende Leben des Neumarkts und seiner Umgebung beeindruckt Hambsch und Seibert auch heute noch. Doch es gebe auch einige Punkte, die sie daran stören: Nachts läuft das Partyvolk von Schaafen- und Zülpicher Straße an ihrem Haus vorbei. Betrunkene grölen und schmeißen Flaschen auf die Straßen oder urinieren in ihren Hauseingang. Schon öfter seien sie morgens aus der Wohnung gegangen, nur um im Hausflur schlafende Menschen anzutreffen. In Zukunft wollen sie deswegen vielleicht in eine ruhigere Ecke Kölns ziehen, vielleicht in ein anderes der Altstadt-Süd-Veedel. Doch ein großes Problem des Stadtbezirks: Die hohen Mietpreise. Neustadt- und Altstadt-Süd halten den Rekord von 12,18 Euro pro Quadratmeter.

Mietpreise in der Altstadt-Süd sind zu hoch

Die Mietpreise findet Dieter Niehoff auch in seiner Umgebung zu hoch. „Das hat sich auch vor allem im vergangenen Jahrzehnt so entwickelt“, erklärt er. Für einkommensschwache Familien sei es fast gar nicht mehr möglich, hier unter zu kommen. Trotzdem: Wegziehen aus dem Vringsveedel und der Altstadt-Süd wird er so schnell nicht. Zu wohl fühlt er sich hier. Gerade junge Menschen und Studierende wie Hambsch und Seibert würden die Umgebung beleben und gemeinsam mit Ur-Kölnern die besondere Mischung ausmachen. Und das verbindet die zahlreichen Viertel in der Altstadt-Süd am Ende mehr, als dass es sie unterscheidet.

Die Geschichte der Altstadt-Süd

Am Rheinauhafen in der Altstadt-Süd kann man beinahe vergessen, dass dieser Stadtteil eigentlich gemeinsam mit der nördlichen Altstadt der historische Kern und das „Hätz vun Kölle“ ist. Ein Spaziergang den Ring entlang ruft das ins Gedächtnis: Bayenturm, Severinstorburg, Ulrepforte, Hahnentor –wo heute am Nachmittag der hektische Feierabendverkehr entlangdüst, stand bis ins 19. Jahrhundert noch die alte römische Stadtmauer. Gebaut wurde diese im Mittelalter. Zu dieser Zeit, etwa im 11. Jahrhundert, wurde auch der Neumarkt unter dem Namen Novus Mercatus“ gegründet. Wie der mehrheitliche Rest der Altstadt-Süd ist kaum etwas vom historischen Köln übrig geblieben. Das meiste wurde in der Nachkriegszeit neu aufgebaut. Bedeutend in der jüngeren Geschichte der Altstadt-Süd ist wohl der Einsturz des Kölner Stadtarchivs im März 2009. Ein neues Stadtarchiv soll 2020 fertig werden.

Baustellen in der Altstadt-Süd

Das eingestürzte Stadtarchiv ist nicht nur Teil der Veedelsgeschichte sondern auch heute noch eine klaffende Wunde an der Severinstraße und damit wohl die auffälligste Veedelsbaustelle. Anfang des Jahres begann nach neun Jahren der Prozess. Die Beweissicherung, die an der Einsturzstelle in 30 Meter Tiefe passiert, ist immer noch nicht abgeschlossen. Ansonsten bewegen die Menschen in der Altstadt-Süd Dinge, die sie im Alltag wesentlich direkter zu spüren bekommen. Zu wenig Mülleimer, zu viel Dreck. Ein altbekanntes Problem in der Kölner Innenstadt: Parkplätze. Am Nachmittag verbringt man gerne mal bis zu 20 Minuten damit, einen geeignet Ort zu finden, wo man sein Gefährt stehen lassen kann. Im schlechtesten Fall zahlt man sogar noch Parkgebühr. Ein großes Problem seien auch Menschen, die sich bei großen Veranstaltungen oder an Karneval daneben benehmen, wildpinkeln und ihre Mitmenschen belästigen. Der Lärm ist nachts auch nicht zu unterschätzen, das liegt wohl in der Natur einer Innenstadt. Die Studierenden Hambsch und Seibert sehen auch darin eines der größten Probleme ihres Veedels. Ändern wird man daran in naher Zukunft nichts, die Kneipen in der Altstadt, an der Severinstraße oder an der Zülpicher Straße werden wohl kaum umziehen. Doch viele Altstadt-Südler, die vor Ort leben, hoffen, dass im kommenden Jahr zum Fastelovend respektvoller mit ihrem Stadtteil umgegangen wird.

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