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Bayer 04 LeverkusenWerkself verliert auf der Flucht den Kopf

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Leverkusens Claudio Echeverri ärgert sich über seinen Fehlpass, der Gegner  Paris über den Treffer zum 2:1 jubeln lässt.

Leverkusens Claudio Echeverri ärgert sich über seinen Fehlpass, der Gegner  Paris über den Treffer zum 2:1 jubeln lässt.

Bayer Leverkusen hat beim 2:7 in der Champions League gegen Paris St. Germain eine historische Heimniederlage kassiert.

Wer den Schaden hat, kann ruhig auch mal mit Selbstironie reagieren. Dachte sich jedenfalls der Stadion-DJ und verabschiedete das Team von Bayer 04 Leverkusen nach dem 2:7-Heimdebakel in der Champions League gegen Paris St. Germain mit Peter Wackels Song „Aber scheiß drauf (Malle ist nur einmal im Jahr)“ aus der BayArena. Frei nach dem Motto „Paris ist nur einmal in der Ligaphase“— und danach wird wieder alles normal.

Ein Ballermann-Song wird allerdings nicht ausreichen, um die zweithöchste Champions League-Niederlage in der Geschichte des Werkclubs nach dem 1:7 beim FC Barcelona im Achtelfinale des Wettbewerbs 2011/12 zu verarbeiten. Die Demütigung durch den Titelverteidiger aus Paris hatte nämlich historische Ausmaße. Noch nie seit der Gründung vor 121 Jahren musste Bayer 04 in einem Pflichtheimspiel sieben Gegentore schlucken. Ein 0:5 im November 2013 gegen Manchester United in der Gruppenphase der Champions League war bislang das Schlimmste, was den Leverkusenern widerfahren war.

Hjulmands Umstellung auf Viererkette als falsches Signal

„Wir fühlen viel Schmerz gerade. Das sind große Zahlen. Wir sind verletzt. Wir müssen das abschütteln und nach vorne schauen“, drückte Kaspar Hjulmand seine Befindlichkeiten aus. Für den immer noch neuen Trainer des deutschen Vizemeisters war es im achten Pflichtspiel die erste Niederlage. Eine krachende, die er so schnell nicht vergessen dürfte und die ihm deutlich vor Augen führte, dass die junge, im Sommer neu zusammengestellte Bayer-Mannschaft weiter viel zu lernen hat: „Wir sind noch im Aufbau“, räumte der Däne nicht zum ersten Mal in seiner Amtszeit ein.

Hjulmand trug seinen Anteil an der Heimschmach. Der Trainer hatte nach dem unnötigen Platzverweis für den erneut indisponierten Kapitän Robert Andrich (31.) auf Viererkette umgestellt und damit das falsche Signal gesendet. Als die Leverkusener trotz eines verschossenen Handelfmeters von Alejandro Grimaldo (25.) und Unterzahl gegen das laut Hjulmand „aktuell beste Team der Welt“ durch Aleix Garcias verwandelten Strafstoß zum 1:1 und Illya Zabarnyis gleichzeitiger Roter Karte (38.) auch zum personellen Ausgleich kamen, gingen die Gäule mit den unerfahrenen Hausherren durch. Die Vorstellung, dem Titelverteidiger im Attackemodus bei Zehn gegen Zehn ein Bein stellen zu können, endete im Desaster.

Wenn man das Spiel bis zum 1:1 sieht, haben wir es ganz gut gemacht.
Simon Rolfes, Sportchef Bayer Leverkusen

Das Team von Luis Enrique bekam noch mehr Räume für sein von dem unglaublichen Vitinha inszeniertes Spiel und nutzte die schlimmen Ballverluste der jungen Claudio Echeverri (19) und Ernest Poku (21) zu einem Doppelschlag durch Desiré Doué (41.) und Khivcha Kvaratskhelia (44.). Als Doué noch vor dem Halbzeitpfiff gegen den nicht verteidigenden Loic Badé auf 4:1 erhöhte (45.+3), war die Partie innerhalb von nur sieben Minuten entschieden. Neben Abwehrchef Badé war vor allem Arthur als rechtes Glied der Viererkette überfordert.

„Wenn man das Spiel bis zum 1:1 sieht, haben wir es ganz gut gemacht. Mit dem Ausgleich und der Gleichzahl waren wir aber auf der Flucht und haben völlig den Kopf und die Struktur verloren“, erklärte Bayer-Sportchef Simon Rolfes. Paris mit Taktgeber Vitinha und dem nicht zu bremsenden Linksverteidiger Nuno Mendes an der Spitze dominierte das Geschehen nach Belieben und hätte am Ende sogar zweistellig gewinnen können. Mit etwas angezogener Handbremse trafen nach der Pause aber nur noch Mendes (50.), Ousmane Dembelé (66.) und Vitinha (90.) für die Gäste.

Leverkusen fehlen neun Stammkräfte

Bayer hatte der reifen Spielanlage und dem uhrwerkgleichen Rhythmus der Franzosen mit 94 Prozent Passquote bei 777 gespielten Bällen auf seiner Flucht nach vorne nur Chaos und Leichtsinn entgegenzusetzen. Dass Kaspar Hjulmand nach dem 2:5 wieder auf Dreierkette umstellte, kam zu spät. Der Coach hätte zudem zwingend Arthur auswechseln müssen.

Und das, obwohl ihm gleich neun Stammspieler nicht zur Verfügung standen. Ein Umstand, der in der Bewertung der historischen Heimpleite nicht außer Acht gelassen werden darf, denn mit Patrik Schick, Exequiel Palacios, Lucas Vazquez, Jonas Hofmann oder Malik Tillman fehlten mehrere international erfahrene Spieler.

Wir müssen in den nächsten Spielen anders auftreten und werden das auch machen.
Simon Rolfes, Sportchef Bayer Leverkusen

Der Neuaufbau in Leverkusen unter Hjulmand und Rolfes hat am Dienstag einen heftigen Rückschlag erlitten und wird weiter Zeit in Anspruch nehmen. Womöglich sogar so viel Zeit, dass es in dieser Saison nichts mit der nächsten Runde in der Champions League wird. Nach den beiden enttäuschenden Remis in Kopenhagen und gegen Eindhoven hätte eine Überraschung gegen Paris gutgetan, um etwas optimistischer in die nächsten Aufgaben bei Benfica Lissabon, Manchester City und gegen Newcastle zu gehen.

„Es wird nicht einfach. Wir müssen in den nächsten Spielen anders auftreten, und das werden wir auch machen“, versprach Simon Rolfes. „Die Tabelle ist, wie sie ist“, nahm Bayers Doppeltorschütze Aleix Garcia die Situation an. Auch Trainer Kaspar Hjulmand hat die Hoffnung auf einen Platz unter den ersten 24 längst nicht aufgegeben: „Wir sollten nicht abheben, wenn wir mal ein Spiel gewinnen, und nicht zu sehr am Boden sein, wenn so etwas passiert wie gegen Paris“, erklärte der 53-Jährige. Er muss wie sein Team aus diesem 2:7 lernen, damit der Stadion-DJ nicht noch einmal auf die Idee kommt einen Wackel-Song aufzulegen.