Europa LeagueXabi Alonsos korrigiert Bayer 04 erneut perfekt

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Xabi Alonso und sein Trainerstab feiern in London den Einzug ins Halbfinale der Europa League.

Xabi Alonso und sein Trainerstab feiern in London den Einzug ins Halbfinale der Europa League.

Bayer 04 Leverkusen hat seine fabelhafte Saison mit dem Einzug ins Halbfinale der Europa League fortgesetzt und ist nun seit 44 Spielen ungeschlagen.

Als Xabi Alonso Freitagmorgen am Londoner Flughafen Stantsted den Skytrain zum Abflug-Gate 16 betrat, gab der Cheftrainer von Bayer 04 Leverkusen en passant einen Einblick in sein Wesen. Während er sich mit einem Mitarbeiter unterhielt, bemerkte Alonso eine Frau mit Kinderwagen, die zusteigen wollte. Der Spanier drückte seinen Kollegen sanft zur Seite und ging selber einen Schritt zurück, um Platz zu machen. Dabei kam er einer älteren Dame etwas zu nahe, und entschuldigte sich dafür höflich.

Die Aufmerksamkeit, Umsicht und Handlungsbereitschaft, die der Spanier in diesem Moment offenbarte, zeigten, warum er Bayer 04 gleich in seiner ersten kompletten Bundesliga-Saison als Trainer zum Triple führen kann. So ein Mann kann nur ein guter Trainer sein. Und tatsächlich hat sich der 42-Jährige im Eiltempo zu einem Meister seines Fachs entwickelt, Leverkusen zur ersten deutschen Meisterschaft der Vereinsgeschichte und ins DFB-Pokalfinale nach Berlin geführt. Und nun also auch noch ins Halbfinale der Europa League.

Das schwer erkämpfte und eine Halbzeit lang auf sehr wackligen Beinen stehende 1:1 (0:1) am Donnerstag im Viertelfinal-Rückspiel bei West Ham United hatte nämlich seinen Ursprung wie so oft in dieser fabelhaften Saison des Werksclubs wenig mit einer glücklichen Wendung zu tun. Obwohl Jeremie Frimpongs Ausgleich durch einen abgefälschten Schuss und erst in der 89. Minute fiel.

44 ungeschlagene Spiele bedeuten europäischen Rekord

Das 44. ungeschlagene Pflichtspiel der Leverkusener in Serie und der damit erreichte europäische Rekord entsprangen vielmehr kontinuierlicher Arbeit und Alonsos Fähigkeit, innerhalb eines Spiels perfekt sein eigenes Korrektiv sein zu können. Der Baske zog aus Bayers schwächster erster Halbzeit der Saison die richtigen Schlüsse und gab seinem Team durch ein paar Handgriffe Stabilität und Mentalität. Seine Fähigkeit, Lösungen zu finden und umzusetzen, dürfte die größte seiner Stärken sein.

„Wir waren bereit, hart zu sein, hatten in der ersten Halbzeit aber große Probleme mit West Hams hohem Druck. Das Beste zur Pause war das Ergebnis“, kommentierte der Bayer-Coach. „Ich war nicht nervös, aber besorgt, weil sich meine Mannschaft auf dem Platz nicht wohlgefühlt hat. Ich habe überlegt, was ich in der Halbzeit machen kann. Wir brauchten eine Reaktion.“

Jeremie Frimpong jubelt nach seinem Tor zum 1:1-Ausgleich für Bayer Leverkusen.

Jeremie Frimpong jubelt nach seinem Tor zum 1:1-Ausgleich für Bayer Leverkusen.

Die Klarheit, mit der Alonso an diesem Europapokalabend vor 62.347 Zuschauern im London Stadium coachte, hatte sich erstmals in der 29. Minute gezeigt. Er erlöste seinen indisponierten Innenverteidiger Odilon Kossounou und brachte Edmond Tapsoba. Der in dieser Saison so tadellose Ivorer war bis dahin der größte Unsicherheitsfaktor und trug mit einem Fehlpass und einem Stellungsfehler die Hauptlast am 0:1 durch Michail Antonio (13.). „Manchmal muss man handeln, auch wenn es nicht leicht war, so früh zu wechseln. Es war nicht sein Tag“, erklärte Alonso einfühlsam.

Nachdem sich die verunsicherten Rheinländer langsam stabilisiert hatten, legte ihr Trainer nach und brachte zur zweiten Hälfte Frimpong und Victor Boniface. Alonso schob zudem Linksverteidiger Alejandro Grimaldo höher. Die Maßnahmen fruchteten. Sturmtank Boniface gab als Anspielpartner und Anker dem Bayer-Spiel den nötigen Halt, um sich vom Druck der Engländer befreien zu können. Grimaldo hielt West Hams umtriebigen Rechtsverteidiger Vladimir Coufal vom   eigenen Tor fern.

Wir sind nicht nur weitergekommen, sondern haben auch wieder nicht verloren.
Simon Rolfes, Geschäftsführer Sport

„Es gab positive und negative Diskussionen in der Halbzeit. Dementsprechend war die Reaktion in der zweiten Hälfte“, erklärte Mittelfeldmotor Granit Xhaka die wegweisenden Ansagen seines Trainers. „Wir hatten mehr Energie und eine bessere Struktur, um aufzubauen“, erklärte Alonso, während Simon Rolfes die Einwechselspieler lobte: „Sie hatten großen Einfluss auf das Spiel. Das ist eine unserer großen Stärken in dieser Saison.“ Leverkusens Sportchef hob zudem den Spirit und die Widerstandsfähigkeit des Alonso-Teams hervor, die die Serie von 44 ungeschlagenen Spielen überhaupt erst möglich machen: „Das ist eine herausragende Leistung der Truppe, denn wir sind nicht nur weiter gekommen, sondern haben auch wieder nicht verloren.“

Inklusive des Europa League-Endspiels am 22. Mai in Dublin gegen Olympique Marseille oder Atalanta Bergamo sind noch neun Pflichtspiele in dieser Saison möglich. Bayer 04 könnte der erste Club sein, der ungeschlagen Deutscher Meister wird und das Triple holt. „Wir sind mit der Saison noch nicht fertig, nur weil wir jetzt einen Titel gewonnen haben. Da steckt so viel mehr drin“, beschrieb Abwehrchef Jonathan Tah die Siegermentalität.

Im Halbfinale wartet wieder AS Rom

Die am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) am Ende von drei anstrengenden Englischen Wochen wieder gefragt ist und mit dem Auswärtsspiel bei Borussia Dortmund die nächste anspruchsvolle Aufgabe bereithält. „Wir haben noch fünf Bundesligaspiele und wollen sie gut spielen, obwohl die Meisterschaft entschieden ist. Wir können noch historischer werden“, merkte Alonso an.

Und im Rhythmus bleiben, denn am 2. und 9. Mai steht das Halbfinal-Duell in der Europa League mit AS Rom an. Der Club, der Bayer 04 vergangene Saison mit seiner zermürbenden Defensivtaktik in beiden Spielen ein Tor (0:1 und 0:0) und damit den Weg ins Finale verwehrte. „Es ist keine Revanche, sondern die zweite Chance es besser zu machen und Rom zu schlagen“, blieb Xabi auch bei diesem Thema im Gentleman-Modus.


Voraussichtliche Aufstellungen: Borussia  Dortmund: Kobel; Ryerson, Hummels, N. Schlotterbeck, Maatsen; Can; Sabitzer, Brandt; Bynoe-Gittens, Sancho; Füllkrug. —Bayer 04 Leverkusen: Hradecky; Kossounou, Tah, Tapsoba; Frimpong, Andrich, Xhaka, Grimaldo; Hofmann, Boniface, Wirtz.

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