Warum dieser Sport so viele unvergessliche Momente schafft und deshalb nicht gerecht werden darf. Ein Rückblick auf das Fußballjahr 2025.
JahresrückblickDer Fußball, der Zufall und die KI

Trainer-Veteran Friedhelm Funkel führte den 1. FC Köln im Mai zurück in die Bundesliga.
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Nein, das Jahr begann nicht gut für Fußball-Romantiker. Am 1. Januar 2025 nahm Jürgen Klopp seine Arbeit für die Red Bull GmbH auf. Der populäre Trainer, geschätzt für Bodenständigkeit, Empathie und Haltung, wechselte auf die dunkle Seite der Macht. Als „Head of Global Soccer“ steuert er die Fußballfirmen eines „Multi-Club-Owners“, der vor fünfzehn Jahren mit dreisten Tricks die Statuten umdribbelt und darauf seine fragwürdige Existenz als RB Leipzig aufgebaut hat.
Enttäuschte Liebe - daran muss sich gewöhnen, wer dem Fußball sein Herzblut gibt. Die Entwicklung zu einer globalisierten Showbranche rast voran. Damit kann und darf man sich arrangieren, doch viele tun sich schwer, das Diktat von Kommerz, Geld und Geschäft zu akzeptieren.
Sie haben die Nase voll von horrenden Eintrittspreisen, teuren Pay-TV-Verträgen, fernsehgetriebenen Terminen, dekadenten Gehältern und absurden Ablösesummen. Aber: Wenn der Ball rollt, sind fast alle dabei. Zuschauer, Einschaltquoten, Mitgliederzahlen, Merchandising-Umsätze – bis in die 3. Liga reicht das Wachstum des Profifußballs.
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Da hält man auch den Kulturschock einer WM-Auslosung aus, die zwei Egozentriker zusammenführte: Gianni Infantino unterwarf sich mit der Verleihung eines obskuren Preises dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der bei der WM die nächste Bühne bekommt. Millionen haben sich geärgert und geschämt, aber die meisten schauen zu, wenn im Sommer in den USA, Mexiko und Kanada gespielt wird. Die Kraft des Fußballs ist stark genug, um die Menschen in seinen Bann zu ziehen. Aber woher rührt diese Kraft? Auch dafür lieferte das Jahr 2025 wunderbare Belege.
Hamburger SV kehrt nach sieben Jahren in die Bundesliga zurück
Zum Beispiel beim stolzen Hamburger SV, der nach sieben Jahren in der Zweitklassigkeit die Rückkehr in die Bundesliga schaffte. Zu verdanken hat er das einem Hamburger Jungen, der früher bei jedem Heimspiel in der Fankurve stand: Vor gut einem Jahr kannten nur Insider den rotwangigen Co-Trainer, der schrittweise zum achten Chefcoach seit dem Abstieg befördert wurde - und nun die Hoffnungen einer ganzen Stadt erfüllte. Merlin Polzin hat das mit dem Club seines Herzens geschafft. Ein Fußball-Märchen.
In Köln war der 72-jährige Trainer Friedhelm Funkel auch bei der dritten Unterbrechung seines Ruhestands erfolgreich und machte den siebten FC-Aufstieg klar. Zwei Bundesliga-Gründungsmitglieder kehren also zurück, auch dank der Treue ihres Publikums. Ähnliches können nun Schalke 04 und Hertha BSC – beide 1963 Bundesligisten der ersten Stunde – schaffen, denn die Skandalnudeln wurden von einer Fanwelle durch Krisenjahre getragen.

Das Hermannsdenkmal mit dem Trikot von Sensations-Pokalfinalist Arminia Bielefeld.
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Alle, die den Fußball lieben, liebten 2025 Arminia Bielefeld. Gezeichnet von zwei Abstiegen musste sich der Fahrstuhlclub 2023/24 sogar gegen den Absturz in die Viertklassigkeit wehren, um einen Neuanfang hinzulegen, der mitriss. Arminia schaffte die Rückkehr in die 2. Bundesliga und zog nach Siegen gegen vier Bundesligisten als vierter Drittligist in der Geschichte des Wettbewerbs ins DFB-Pokal-Endspiel (2:4 gegen den VfB Stuttgart) ein.
Ultras demonstrieren vor der Innenministerkonferenz
Ganz oben thronen wieder die Bayern, die das Trauma der Leverkusener Super-Saison abgeschüttelt haben – mit einem Trainer, der wohl nur die dritte oder vierte Wahl war. Vincent Kompany führte das beste Team des Jahres mit Ruhe und Gelassenheit zur Meisterschaft und füllt den Vitrinenraum wohl weiter auf. Dabei setzt er unaufgeregt auf junge Hochbegabte: Lennart Karl, Tom Bischof, Jamal Musiala, Aleksandar Pavlovic, Jonas Urbig – wer sagt, der deutsche Fußball bringe keine Talente hervor?
Als „El Dorfico“ – im Kontrast zum „El Clasico“ – mussten sich der 1. FC Heidenheim und die SV Elversberg vor der Relegation verspotten lassen. Die beiden Kleinstadtvereine, deren Aufschwung das Ergebnis guter Arbeit ist, lieferten zwei grandiose Spiele, spannend und gutklassig. Und fair: Die Heidenheimer hatten das bessere Ende für sich, doch bevor ihr Kapitän Patrick Mainka jubelte, zollte er dem Gegner Anerkennung und Respekt. Die Elversberger waren Gewinner, obwohl sie verloren hatten – gelobt vom Gegner und gefeiert von ihren Fans mit einem Treueschwur.
Die Stimme der Kurve sind oft die Ultras. Fans, die ihr Leben nach ihrem Verein ausrichten. Ihre Gesänge, Choreos und Aktionen prägen die Kulisse in den Stadien. Sie nerven manchmal, sie provozieren gern und schießen oft übers Ziel hinaus. Wie es sich für eine Jugendkultur gehört. Leider auch mit Pyroexzessen, die Zuschauer gefährden, dazu dem Verein Geldstrafen einbringen, kann sich die Mehrheit der Stadionbesucher allerdings nicht identifizieren. Was sie sich aufbauen, reißen sie so manchmal selbst um.
Frauen-Nationalelf sorgt bei der EM in der Schweiz für Begeisterung
Wie sich die Ultras einsetzen für einen basisnahen Profifußball, der soziale Verantwortung übernimmt und den Fans Teilhabe ermöglicht, hat Respekt verdient. „Getrennt in den Farben, vereint in der Sache“ traten die Ultras in fast allen Stadien und bei einer gemeinsamen Demonstration den Plänen der Innenministerkonferenz sachlich und klar entgegen. Ihre Proteste gegen Montagspiele oder den Investoren-Einstieg bei der DFL waren erfolgreich. In vielen Vereinen arbeiten sie in den Gremien mit – ein Marsch durch die Fußball-Institutionen.

Gefeiert: Torhüterin Ann-Katrin Berger nach dem Einzug der DFB-Frauen ins EM-Halbfinale.
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Zu den Geschichten des Jahres gehört die der deutschen Fußballerinnen. Die Nationalmannschaft war oft erfolgreicher, doch nie erkämpfte sie sich eine Aufmerksamkeit wie bei der EM in der Schweiz. Das Team von Trainer Christian Wück musste Ausfälle verkraften, Rückschläge wegstecken und gegen Skepsis ankämpfen. Nach einem Sieg im Elfmeterschießen gegen Frankreich – Torhüterin Ann-Katrin Berger hielt zwei Elfmeter, verwandelte selbst einen und zeigte auch schon in der Verlängerung eine Glanzparade – war im EM-Halbfinale Schluss gegen Spanien, wie auch ein paar Monate später im Finale der Nations League, doch es war ein großer Schritt nach vorn.
Kein anderer Sport bietet so viel Stoff für Dramen, Heldengeschichten und Sensationen. Das setzt Emotionen frei, von denen auch die berührt werden, die keine Experten sind. Immer kann geschehen, was wir uns auch im richtigen Leben wünschen: Dass der Kleinere sich durchsetzt, den Reicheren sein Geld nicht glücklich macht und wir gemeinsam etwas erleben, mit dem niemand gerechnet hat.
Mithilfe von KI: Der moderne Fußball kommt dem Zufall auf die Spur
Warum das so ist, hat einer der erfahrensten deutschen Fußballjournalisten in dem Buch „Die Tabelle lügt immer“ zusammengetragen. Christoph Biermann zeigt auf, warum der Zufall im Fußball viel mächtiger und wirksamer ist als in jeder anderen Mannschaftssportart. Das liegt nicht nur daran, dass es ein Low-Scoring-Game ist; ein Spiel, in dem weniger Tore (oder Körbe oder Punkte) fallen als beim Handball, Basketball oder Volleyball. Nur im Fußball kann ein einziger Treffer das gesamte Spiel auf den Kopf stellen.
Der moderne Fußball hat nun das Handwerkszeug entwickelt, um dem Zufall auf die Spur zu kommen. Die digitale Datenanalyse erfasst alle Details; die Spieler sind gläsern geworden: Ballbesitz, Zweikampfverhalten, Laufleistung, High-speed runnings – alles wird erfasst und analysiert. Hinter den Trainern stehen Spezialisten-Teams, die aus der Datenflut Erkenntnisse ableiten. Ihr Ziel: Die Zufallshäufigkeit reduzieren und damit die Siegwahrscheinlichkeit erhöhen.
Der englische Drittligist Burton Albion ließ sich im Abstiegskampf von den Datenanalysten des Unternehmens „Twelve Football“ beraten. Mithilfe der Künstlichen Intelligenz identifizierten sie Schwachstellen, die vom Trainerteam konsequent angegangen wurden. Dass am Ende der Klassenerhalt gelang, lag zwar auch am Einbruch eines Konkurrenten. Doch nachweisbar war eine Verbesserung durch die datenbasierten Maßnahmen.
Das ist nicht das Ende der Entwicklung, sondern erst der Anfang. Irre Wendungen in einem Spiel, sensationelle Ergebnisse und verrückte Zufallstreffer werden seltener. Wenn man so will, wird der Fußball - gerechter. Das Resultat wird öfter den Leistungen entsprechen als bisher. Fußball wird vorhersehbarer.
Wollen wir das? Darf man dem Fußball seine letzten Geheimnisse nehmen? Ihn entzaubern? Einer von Biermanns Gesprächspartnern, ein erfahrener Stratege und Kaderplaner, gab dem Autor eine Warnung mit auf den Weg: „Sie dürfen den Fußball nicht entmystifizieren!“
Seinen Epilog versah Fußball-Liebhaber Biermann mit der Überschrift: „Rettet den Zufall!“
