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„War nicht der harte Typ“Ex-Haie-Profi spricht über die Schattenseite der Karriere

Lesezeit 8 Minuten
Andreas Renz

Der ehemalige Haie-Profi Andreas Renz 

Andreas Renz (45) hat sich in Schwenningen und bei den Kölner Haien in der deutschen Eishockeyszene den Ruf eines „eisenharten Verteidigers“ erworben. Hinter der rauen Schale steckt, aber ein weicher Kern, wie Dirk Salzmann im Gespräch mit Renz erfährt.

Herr Renz, vor noch gar nicht allzu langer Zeit trugen Sie den Spitznamen „Eisenrenz“ und waren als knallharter Verteidiger im deutschen Profi-Eishockey gefürchtet. Heute ist Ihr Thema Selbstliebe und Selbstfindung. Wie kam es zur zweiten Karriere Lifecoach?

Das war ein langer Weg und hat damit zu tun, dass ich in meinem Leben und vor allem nach der Karriere schwere Zeiten durchgemacht habe.

Wie meinen Sie das?

Meine Karriere endete früher als gedacht. Ich kam von Köln zurück nach Schwenningen, und meine Mission war es in die DEL aufzusteigen. Ich dachte, ich hätte noch drei, vier gute Jahre in mir. Doch in der Vorbereitung bekam ich den Schläger eines Teamkollegen ins Auge. Ich verlor rechts 70 Prozent meiner Sehkraft. Es stand 50:50, ob ich ein Glasauge bekomme. Ich hätte aufhören können, aber der Club und ich waren der Meinung, dass ich trotz dieser schweren Verletzung noch einmal angreifen soll. Also spielte ich die Saison mit dem Wissen, dass jeder weitere Schlag auf das Auge zum Verlust der Sehkraft führen könnte. Die Angst davor stand ständig neben mir auf dem Eis.

Und dann?

Das Sehkraft verbesserte sich etwas, aber die Beeinträchtigung war größer, als ich es zugegeben habe. Es war das schwerste Jahr meiner Karriere. Ich konnte nicht mehr scharf sehen, das räumliche Sehen fehlte komplett, was Auswirkungen auf die Motorik hatte. Dass ich fortan mit Vollvisier gespielt habe, machte es auch nicht einfacher.

Warum?

Ich hatte den Ruf des „Eisenrenz“, da hatten viele Respekt vor dem harten Kerl, der aus der DEL kam. Als meine Gegner das Vollvisier sahen, verloren sie die Angst vor mir. Mein psychologischer Vorteil war dahin.

Was sich auf ihre sportliche Leistung auswirkte.

Natürlich. Ich war nicht mehr der Alte. Von Teilen der Presse und einigen Fans wurde ich für meine nachlassende Leistung schwer kritisiert – zum Teil pfiffen die Zuschauer im eigenen Stadion gegen mich und machten Stimmung. Und ja, das gehört zum Leben eines Profisportlers dazu und doch hat es mir in der Seele gebrannt. Schwenningen ist mein Club, meine Herzenssache, meine große Liebe. Wenn man es positiv nimmt, habe ich damals zumindest erfahren, wie es ist, wenn man mal nicht auf der Sonnenseite des Lebens ist.

Zur Person

Andreas Renz wurde am 12. Juni 1977 in Villingen-Schwenningen im Schwarzwald geboren. Er begann er seine Eishockey-Karriere bei den Wild Wings in der Nachwuchsabteilung, 1994 schaffte er es in den Profikader. Zwischen 2001 bis 2010 spielte er für die Kölner Haie und wurde mit dem KEC 2002 Deutscher Meister. Bei seiner Rückkehr nach Schwenningen in die 2. Bundesliga 2010/11 war er DEL-Rekordspieler mit 895 Spielen (21 Tore/81 Vorlagen). Er spielte bei zehn Weltmeisterschaften für die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft und war bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City und 2006 in Turin dabei. Heute arbeitet Renz als TV-Experte bei MagentaSport und vor allem als Lifecoach am Bodensee.

Erfahrungen, die sie in den Jahren darauf stetig begleiten sollten, oder?

Ich habe nach der Saison 2012 meine Karriere beendet. Ich habe mich noch an einer Trainerlaufbahn versucht, aber schnell gemerkt, dass es Zeit für mich wird andere Wege zu gehen. Die Kameradschaft war nicht mehr wie früher, außerdem hatte ich es nach 20 Jahren Profisport auch satt, weiter jedes Wochenende unterwegs zu sein, und das ganze Leben danach auszurichten. Kein Eishockey mehr, die Karriere vorbei.

Wie haben Sie das verkraftet?

Ich fiel in ein tiefes Loch. Dazu kam, dass ich privat auch einige Fehler gemacht habe. Bereits zu meiner Kölner Zeit ging ich eine Affäre ein, die in einer schmerzhafte Beziehungskrise mit meiner Frau und schlussendlich in der Trennung endete. Ich fand keinen Ausweg aus dieser Krise. Ich war unglücklich, lediglich beim Eishockey hatte ich noch Spaß. Ich war nicht der harte Typ, für den mich alle hielten. Unter meine Rüstung war ich verletzlich, konnte das aber über den Sport und die Anerkennung, die damit einherging, kaschieren. Als die Karriere vorbei war, brachen die ganzen Säulen meines Lebens zusammen. Ich zog mich von vielen Menschen zurück, ich hatte keine Ahnung mehr, wer und wofür ich hier bin.

Was haben Sie getan?

Ich habe mich auf den Weg gemacht, um mich selbst wieder zu finden. Auf allen denkbaren Wegen, mit allen Mitteln. Ich war auf dem Kilimandscharo, dann in einem Schweigekloster, ich war im Dschungel, bei Heilern und Schamanen. Ich habe unendlich viele Dinge ausprobiert und doch bin ich nicht in der Tiefe bei mir angekommen. Rückblickend verstehe ich, dass ich immer im Außen gesucht haben. Irgendwo, bei irgendwem und bei irgendwas – nur nicht in mir. Irgendwann habe ich die Suche im Außen aufgeben und wurde still. In der Stille, in der Meditation ging gefühlt ein Tor zu meiner inneren Welt auf. Zum ersten Mal konnte ich den ganzen Schmerz, die Leere und meine Ängste bewusst fühlen. Ich begann mit der Aufarbeitung von Verletzungen aus meiner Kindheit, mit meinen Verlustängsten und dem Gefühl nicht gut genug zu sein. Mit Ende 30 durfte ich lernen, dass ich okay bin, so wie ich bin. Dass ich ein wertvoller und liebenswerter Mensch bin, ohne etwas dafür zu leisten oder jemand sein zu müssen.

Ein Problem, das viele Menschen haben.

Ich glaube, dass 99,9 Prozent der Menschen mit einem belastenden Rucksack aus ihrer Kindheit durchs Leben gehen. Einem tiefen Gefühl nicht gut, liebenswert oder sicher genug zu sein. Ein Leben lang kämpfen sie gegen dieses Gefühl mit Leistung, Anpassung und suchen nach Anerkennung im Außen. Einen Kampf, den sie nicht gewinnen werden, und der oft in einem der drei K“s endet: Krise, Konflikt oder Krankheit. Irgendwann habe ich gespürt, dass ich Menschen auf ihrem Weg zu sich helfen möchte.

Sie haben Ihre Partnerin Veronika auf einer Lifecoaching-Fortbildung kennen gelernt.

Das stimmt. Wir trafen uns beide an einem Punkt im Leben, an dem jeder für sich alleine superglücklich war. Das ist das Geheimnis unserer Beziehung. Wir machen den Partner nicht für das eigene Glück verantwortlich. Dafür ist jeder für sich zuständig. Wir verwirklichten eine gemeinsame Vision und kauften uns einen Seminar-Bauernhof im Bayern. Als wir vor drei Jahren Nachwuchs bekamen, entschieden wir uns an den Bodensee zu ziehen und den Hof zu verkaufen. Heute begleiten wir Menschen auf ihrem Weg zu sich und in die Selbstliebe. Viele Menschen kommen mit Beziehungsthemen, sind unglücklich und fühlen sich in festgefahrenen Lebensumständen gefangen.

Wie funktioniert das?

Ich höre meinen Klienten am Anfang einfach zu. Meine Gabe ist es recht schnell den roten Lebensfaden und die Zusammenhänge der Kindheitserfahrungen mit der heutigen Lebenssituation zu erkennen. Für viele ist die Klarheit schon ein riesiger Schritt, denn sie verstehen sich selbst besser. Das Wichtigste ist jedoch das Fühlen der eigenen Schatten – also der unterdrückten Gefühle, wie zum Beispiel Angst, Ohnmacht, Minderwert, Schuld oder Trauer. Dagegen kann man Pillen nehmen, man kann vor ihnen davonlaufen, sich ablenken oder man wendet sich ihnen zu. In einem sicheren Rahmen führe ich meine Klienten in einer tiefen Meditation durch ihre Schatten. Und dann passiert meist etwas Magisches. Die Klienten lernen damit umzugehen – die Angst als Teil des eigenen Ich zu akzeptieren.

Burnouts und andere psychische Erkrankungen sind ein großes, gesellschaftliches Thema. Viele Menschen begegnen Therapien, wie Sie sie ansprechen, aber mit Skepsis.

Die Erfahrung habe ich so eigentlich noch nicht gemacht. Vielleicht liegt es daran, dass ich nur Dinge weitergebe, die mir persönlich auf dem Weg in ein erfüllendes und glückliches Leben geholfen haben. Ich bin den Weg gegangen und habe ihn nicht in Lehrbüchern gelesen. Grundsätzlich mache ich auch keinen Hokuspokus, sondern nutze anerkannte Therapien, uralte Rituale und Techniken. Aber ja, in Deutschland herrscht immer noch die Mentalität vor, dass wir Menschen gefälligst die Arschbacken zusammenkneifen sollen, Brust raus und durch. Leider. In den USA sind Lifecoaches dagegen längst Alltag – vor allem im Spitzensport und im High-Management-Bereich. Im Rückblick habe ich mich schon manches mal gefragt, wie meine Karriere verlaufen wäre, wenn ich selbst solche Hilfsangebote gehabt hätte.

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Wie meinen Sie das?

Ich saß vor jedem wichtigen Eishockeyspiel auf dem Topf, hatte Magenprobleme und konnte mit dem Erwartungsdruck kaum umgehen. Hat aber keiner gemerkt. Ich glaube, wenn ich einen guten Lifecoach gehabt hätte, hätte meine Karriere noch erfolgreicher werden können.

Und wie sehen sie die Entwicklung der Wild Wings?

Klar ist, dass es in der DEL mit München, Berlin und Mannheim drei Teams gibt, die in einer anderen Liga spielen. Aber es gibt auch die Beispiele von Bremerhaven oder Straubing, die einen noch kleineren Etat als Schwenningen haben, sportlich aber viel erfolgreicher sind. Wenn man also das Abschneiden der vergangenen Jahre nimmt, lag die sportliche Misere eben nicht am Schwarzwald, schlechter Luft oder zu wenig Geld – sondern an der sportlichen Umsetzung. Aber jede Saison ist ein Neuanfang. Ich bin für die kommende Saison guter Dinge.

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