„Erinnert an Sieg von Jan Ullrich“Heimsieg für Nils Politt bei Rund um Köln

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Nils Politt Rund um Köln (1)

Nils Politt bei seiner Siegeseinfahrt im Rheinauhafen.

Köln – Oben auf der Severinsbrücke, 1000 Meter vor dem Ziel, rauscht ein Krampf in den rechten Oberschenkel des Ausreißers vom Team Bora-hansgrohe. Er denkt: „Ist nicht wahr. Nicht jetzt.“ Und hört aus dem Funk, dass sein sportlicher Leiter Torsten Schmidt ins Mikro schreit: „Fahr! Krampf egal. Fahr!“ Es scheint die richtige Motivationshilfe in diffizilen Momenten gewesen zu sein.

Denn plötzlich, gleich hinter der Kurve, die auf die Zielgerade auf der Rheinuferstraße führt, ist das Muskelzucken wieder verschwunden. Nils Politt also hält durch, rauscht allein dem finalen Strich in Höhe des Rheinauhafens entgegen. Und gewinnt die 104. Auflage von Rund um Köln, sein Heimrennen, das er schon als Baby im Kinderwagen am Streckenrand irgendwie mitbekommen hat.

Der Mann mit der „1“ gewinnt

Politt ist mittlerweile 28 Jahre alt und ein in Köln geborener und in Hürth wohnender Rheinländer, der in eine radsportbegeisterte Familie hineingeboren wurde. Am Sonntag nun legte er endgültig seine Meisterprüfung ab. Schließlich war Politt der Mann, auf den alle Konkurrenten schauten, nicht nur, weil er die Startnummer „1“ trug.

Sondern weil er, Sieger der Deutschland-Rundfahrt 2021 und einer Etappe der Tour de France 2021 in Nîmes, längst Teil der Weltklasse ist und in Köln als einer der großen Favoriten an den Start gegangen ist. „Da ist es natürlich schwer, wegzukommen“, sagte Politt noch am Start, als er im Plausch mit seinem in Köln lebenden Freund Nikias Arndt, Team DSM, über das sprach, was auf dem folgenden gut 200 Kilometer langen Ausflug vom Rheinauhafen durch das Bergische Land so passieren könnte.

Den Gegner müde gefahren

Es fügte sich schließlich, dass Politt sich 55 Kilometer vor dem Ziel aus dem Feld löste, an seiner Seite waren nur noch sein niederländischer Teamkollege Danny van Poppel und – Nikias Arndt. Das Trio harmonierte bis zur finalen Pflasterstein-Auffahrt hoch zum Bensberger Schloss gut 23 Kilometer vor dem Ziel, wo eine rund 20 Mann starke Verfolgergruppe fast aufschließen konnte.

Die Ausreißer machten sich klar: „Wenn einer von uns hier gewinnen will, müssen wir harmonieren, und zwar jetzt“, sagte Arndt später. „Wir haben etwas gebraucht, um uns wieder zu fangen. Und dann nahm der Vorsprung kontinuierlich zu“, berichtete Politt später.

Politt und van Poppel zeigten im Finale, wie man zu zweit einen Begleiter müde fährt: Attacke links. Aufschließen lassen. Attacke rechts. Aufschließen lassen. Und immer so weiter. Bis Politt fünf Kilometer vor dem Ziel der entscheidende Vorstoß gelang. Schnell wuchs eine Lücke, es war klar, dass Politt nun nur noch ein Defekt stoppen könnte – oder ein Krampf. Es ging gut – „und das macht mich sehr glücklich. Mein Heimrennen zu gewinnen, das ist ein Traum“, sagte Politt, der bei der Siegerehrung von seinen Fans und seiner Familie begeistert gefeiert wurde. Seine Frau Annike sowie die Kinder Lilly (fast drei) und Luke (acht Monate) waren auch dabei und erhielten das erste Küsschen vom Sieger.

Tabat zu Tränen gerührt

Artur Tabat, der langjährige Organisator des Rennens (1973 bis 2018), sagte mit Tränen in den Augen: „Das erinnert mich an den Sieg von Jan Ullrich 2003.“ Auch damals herrschte große Begeisterung im Zielbereich. Die neuen Veranstalter von der Marathon GmbH hoben das Rennen derweil am Sonntag auf eine neue Stufe: Ein Gewinn war, dass sie das TV-Signal für das Rennen kauften und dem WDR zur Verfügung stellten.

Hinzu kam, dass sie im Rheinauhafen eine riesige Videoleinwand aufstellten, auf der sich das Rennen bestens verfolgen ließ. Rund um Köln musste zuvor wegen der Pandemie 2020 und 2021 abgesagt werden. Dass alles gut ging – und dann auch noch der Lokalmatador gewann, empfand Neu-Organisator Markus Frisch als „prächtige Vorlage für die Zukunft“.

Torsten Schmitt wiederum war vor dem Rennen bemüht, die richtigen Worte für die Einstellung seines Teams zu finden. Mit am Start war ja auch der Ire Sam Bennett, zweifacher Sieger von Rund um Köln und ein hochdekorierter Sprinter. „Offensichtlich habe ich den Ton getroffen“, sagt Schmidt. Bennett stellte fest: „Es ist Nils’ Heimrennen. Da soll er ruhig was versuchen.“ Auftrag erfüllt.

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