Kölner Serie „Spurensuche“Johannes Brahms und seine besonderen Erlebnisse in Köln

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Das Grab des Komponisten Johannes Brahms am Wiener Zentralfriedhof.

Das Grab des Komponisten Johannes Brahms am Wiener Zentralfriedhof.

Historiker Anselm Weyer hat sich dieses Mal mit Johannes Brahms beschäftigt, der Beethovens Neunte zum ersten Mal in Köln hörte.

Ein Konzertbesuch in Köln war prägend für den jungen Johannes Brahms. Musik war damals nicht allgegenwärtig und so zugänglich wie heute. Brahms war stolze 21 Jahre alt, als er im Frühjahr 1854 extra von Düsseldorf nach Köln fuhr, um Beethovens Neunte Symphonie, die er bis dahin nur als Partitur kannte, erstmals mit eigenen Ohren zu hören. Ferdinand Hiller dirigierte sie am Dienstag, dem 28. März, im großen Casinosaal am Augustinerplatz 7. Dieses Erlebnis hat Brahms sowohl angespornt als auch entmutigt. „Ich werde nie eine Symphonie komponieren!“, versicherte Brahms noch zu Beginn der 1870er Jahre seinem Freund Hermann Levi in Karlsruhe in Erinnerung an diesen Konzertbesuch in Köln. „Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.“

Johannes Brahms war häufiger Gast am Rhein

In Köln fand Brahms viele Freunde und Förderer. Besonders reger Kontakt ergab sich mit der Familie Schnitzler, die eine wichtige Rolle in der Kölnischen Konzert-Gesellschaft innehatte. „Meine erste Erinnerung an Brahms datiert aus dem Jahre 1874, als er bei dem Kölner Musikfest im Gürzenich sein Schicksalslied dirigierte“, schreibt Victor Schnitzler in seinen Erinnerungen.

Eine Partitur von Johannes Brahms

Der Komponist und sein Werk: Eine Partitur wurde 1997 bei Sothebys versteigert Thomas Banneyer

„Er trug damals noch keinen Bart, und ich sehe ihn noch deutlich vor mir, wie er den begeisterten Blumenregen des Chors mit frohem Lächeln über sich ergehen ließ.“ Zuneigung, aber auch respektvolle Rivalität verband ihn zudem mit Ferdinand Hiller, dem Stadtkapellmeister, der das das Musikleben der Domstadt mehr als drei Jahrzehnte entscheidend prägte. So war es nur folgerichtig, dass Brahms häufiger Gast am Rhein war – sowohl als Komponist als auch als Dirigent und Klavierspieler.

Ein Teil des Kölner Publikums blieb ablehnend

Seinen Durchbruch feierte er, so berichtet Victor Schnitzler, im Jahr 1879, „als er sein Deutsches Requiem und seine Zweite Sinfonie im Gürzenich dirigierte. Die Begeisterung des Publikums war groß, das Scherzo der Sinfonie musste wiederholt werden. Von da an erst begann der Komponist Brahms sich in Köln durchzusetzen, langsam, wenn auch immer noch ein Teil des Publikums sich ablehnend verhielt, und mein Vater bei jeder Anwesenheit Brahms' in Köln mit anonymen Schmähschriften drangsaliert wurde, der 'Cliquenwirtschaft, die er als Vorsitzender der Konzert-Gesellschaft mit seinem Freund Brahms treibe, müsse ein Ende gesetzt werden.“

ARCHIV - Der deutsche Komponist Johannes Brahms (Foto um 1889) starb am 3. April 1897 in Wien im Alter von 63 Jahren.

Der deutsche Komponist Johannes Brahms starb am 3. April 1897 in Wien im Alter von 63 Jahren.

Eine engere Freundschaft zur Familie ließ sich tatsächlich nicht verheimlichen, da Brahms sogar in ihrem Haus in der Dompropst-Ketzer-Straße, wo heute das Hotel Excelsior steht, später am Kaiser-Wilhelm-Ring 19 nächtigte. „Brahms war der anspruchsloseste Logiergast, den man sich denken kann“, berichtet Schnitzler. „Schon vor sechs Uhr morgens war er aus den Federn, schlich sich leise, um keinen zu stören, aus dem Hause und machte einen größeren Spaziergang. Am liebsten ging er über beide Brücken und freute sich des schönen Rheinpanoramas. Wenn er unterwegs frischen, fröhlichen Kindern begegnete, unterhielt er sich gern mit ihnen und erzählte später, welch lustige Antworten er von den Kölner Rabauen erhalten habe.“ Er soll zudem Kölner zur Weißglut getrieben haben, indem er sich vor den Dom stellte und dann Passanten fragte, wo diese weltberühmte Kathedrale denn zu finden sei. Er schaute dann ungläubig, wenn man ihm immer ärgerlicher versicherte, er befände sich vor dem Bauwerk, ergötzte sich an ihrer Wut und sagte dann im Ton mitleidiger Enttäuschung: „So? Wirklich? Das ist der berühmte Kölner Dom? Den habe ich mir aber viel größer gedacht.“

Etliche seiner Kammermusikwerke erlebten in Köln ihre erste Aufführung, etwa sein Doppelkonzert für Violine und Cello. „Nach der Uraufführung seines Doppelkonzerts stand im Künstlerzimmer des Gürzenich alle Welt wie verzückte Kaninchen um ihn“, berichtet Schnitzler. „Brahms wusste wohl nicht, wie er sich in dem engen Raum vor diesen wohlgemeinten Phrasen retten sollte, da erlöste ihn meine Cousine Margret Roß, indem sie ihn gönnerhaft auf die Schulter klopfte und sagte: ,Recht talentvoll, Herr Brahms, aus Ihnen kann noch was werden’ – fassungsloses Erschrecken der Umstehenden, große Heiterkeit bei Brahms über diesen befreienden Scherz.“

Städtischer Musikdirektor wollte er nicht sein

Zudem stärkte Brahms Ferdinand Hiller, einen Antipoden Richard Wagners, den Rücken. Als beim Tonkünstlerfest 1887 Wagners Kaisermarsch in Köln zur Aufführung kam, schwänzte er dies ebenso, wie er zuvor schon erst mit Verzögerung angereist war, weil er die Musik von Franz Liszt nicht schätzte. Er wolle, schrieb er an die Veranstalter, am ersten Tag des Festes erst spät abends per Schiff anreisen und „das musikalische Fest damit beginnen, die ,heilige Elisabeth' nicht zu hören“. Als ihm dann berichtet wurde, auch die meisten Sängerinnen und Sänger des Chors seien erleichtert, dieses Stück hinter sich zu wissen, erwiderte Brahms, das zeuge doch von dem guten musikalischen Geschmack der Kölner.

Um eines jedoch bemühte sich Köln vergeblich. Als sich nicht mehr leugnen ließ, dass Ferdinand Hiller krankheitsbedingt sein Amt nicht länger würde ausüben können, wandte sich Schnitzler im April 1884 an den inzwischen hochberühmten Johannes Brahms. Ob er sich vorstellen könne, die Stelle des Städtischen Musikdirektors zu übernehmen? „Ich danke Ihnen und allen, die es angeht, von Herzen für die große Auszeichnung, als welche ich Ihren verehrten Antrag empfinde“, antwortete Brahms, um dann jedoch doch abzusagen. „Ich bin zu lange ohne eine derartige Stellung gewesen, habe mich wohl nur zu sehr an eine ganz andere Lebensführung gewöhnt, als dass ich nicht einesteils gleichgültiger geworden sein sollte gegen vieles, für das ich an solchem Platze das lebhafteste Interesse haben müsste, andernteils ungeübt und ungewandt in Sachen geworden wäre, die mit Routine und Leichtigkeit behandelt sein wollen.“

Anselm Weyer hat als Literaturwissenschaftler in Köln promoviert. Er bietet seit zehn Jahren Stadtführungen für die AntoniterCity-Tours an.

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