Berliner Remmo-ClanWo die Großfamilie über allem steht

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Die Angeklagten im Prozess um den Juwelenraub im Grünen Gewölben sitzen vor Prozessbeginn im Verhandlungssaal auf ihren Plätzen.

Dresden: Die Angeklagten im Prozess um den Juwelenraub im Grünen Gewölbe

Die Mitglieder des Berliner Remmo-Clan wurden für den Raub im Grünen Gewölbe schuldig gesprochen. Sie kamen dabei mit recht milden Strafen davon.

Es bleibt in der Familie. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz in vielen arabisch-deutschen Clans. Manchmal machen Familienmitglieder aber auch Fehler. Beim spektakulären Einbruch in das Grüne Gewölbe, bei dem im November 2019 historischer Juwelenschmuck im Versicherungswert von fast 117 Millionen Euro entwendet wurde, waren die Täter, die das Museum auskundschafteten, nur unzureichend vermummt. So konnten sie in mühsamer Puzzlearbeit über Aufnahmen von Überwachungskameras identifiziert werden. Die vier Sim-Karten, die in Dresden benutzt wurden, stammten aus einem Laden im Berliner Bezirk Neukölln. DNA-Spuren im Fluchtauto und am Einstiegsfenster ließen sich problemlos polizeibekannten Mitgliedern der Großfamilie Remmo zuordnen.

Fünf Männer zu Haftstrafen verurteilt

Insgesamt fünf Männer, heute zwischen 24 und 29 Jahre alt, sind Am Dienstag von einer Jugendstrafkammer des Landgerichts Dresden wegen Diebstahls mit Waffen und schwerer Brandstiftung in Verbindung mit gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen von bis zu sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Der sechste Angeklagte wurde freigesprochen, weil er sich zum Tatzeitpunkt in einer Berliner Klinik aufhielt. Vorausgegangen war den Sprüchen ein Deal zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht: Die Anwälte stellten die Herausgabe des größten Teils der Beute in Aussicht, die Angeklagten verpflichteten sich zu „glaubhaften Geständnissen“.

So kamen für den Remmo-Nachwuchs, der laut Anklage mit „erheblicher krimineller Energie und Rücksichtslosigkeit“ vorgegangen war, relativ milde Haftstrafen zustande; ansonsten hätte das Strafmaß bis zu 15 Jahre betragen.

Parallelen zum Münz-Diebstahl

Die Ermittlungen zur Aufklärung des dreisten Kunstraubs wiesen schon frühzeitig Bezüge zur Familienkriminalität auf. Denn es gibt einige Parallelen zum Diebstahl einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum im Frühjahr 2017. Erst im Februar 2020 wurden drei Mitglieder des Remmo-Clans wegen des Raubs zu Haftstrafen verurteilt. Zumindest einer von ihnen war zwischen den Prozesstagen am Berliner Landgericht beim Dresdner Juwelen-Coup dabei gewesen. Die 3,75 Millionen Euro teure Münze ist nie wieder aufgetaucht. Verschwunden sind auch jene 9,1 Millionen Euro, die bei der Sprengung der Safes einer Berliner Sparkasse 2014 erbeutet wurden; ein Familienmitglied wurde dafür verurteilt.Fast immer sind es Heranwachsende oder junge Männer ohne Ausbildung, die für wenige Jahre ins Gefängnis gehen. Für die Familie ist es eine simple Aufwand-Nutzen-Rechnung, die so lange aufgeht, solange die Beute sich verwerten lässt.

Regelmäßige Razzien beim Remmo-Clan

Taten wie der Einbruch in das Grüne Gewölbe sind zugleich auch eine Machtdemonstration. Seit die Berliner Staatsanwaltschaft im Sommer 2018 genau 77 Immobilien der Remmos beschlagnahmte, nimmt der Kampf der Behörden gegen kriminelle Machenschaften wie Einbrüche, Drogenhandel und Schutzgelderpressung immerhin konkrete Formen an. In Berlin gibt es regelmäßige Razzien, und es besteht ein elektronisches Hinweisgebersystem zur Korruptionsbekämpfung. Denn kriminelle Clanmitgliederoder ihre libanesischen Strohmänner legen die Beute gern in Immobilien an. In Berlin kauften sie sogar eine komplette Kleingartenkolonie und ein Villa, um die sich der bekannte Zweig der Großfamilie derzeit mit dem Bezirksamt Neukölln streitet. Deshalb wurden Notare dafür sensibilisiert, der Geldwäsche verdächtige Käufer den Behörden zu melden.

Tatsächlich sind inzwischen viele Verantwortliche in der Stadt – in Politik, Polizei und Justiz – aufgewacht, und geben auch zu, folgenschwere Fehler gemacht zu haben. Über Jahrzehnte konnten kriminelle Mitglieder der Clans ihre Macht in der Hauptstadt ausbauen und sich recht ungestört in einer bequemen Parallelgesellschaft einrichten, die den Rechtsstaat und die Normen des Zusammenlebens ablehnt.

„Die Großfamilie ist alles, und der Rest ist nichts“

Heute erweisen sich diese gefestigten Familienstrukturen sowohl für die Aufklärungsarbeit der Ermittler als auch für die Integration als schwierigstes Hindernis. Die Geschichte der über 500-köpfigen Familie Remmo, von denen ein großer Teil der Mitglieder in Berlin lebt, steht dafür beispielhaft. Ursprünglich stammte die Familie nicht aus dem Libanon, sondern aus Südostanatolien (heutiges Grenzgebiet zwischen Türkei und Syrien), von wo sie Anfang des 20. Jahrhunderts vertrieben wurden. Viele Familienmitglieder strandeten in Beirut (ab 1920 gehörte der Libanon mit Völkerbundmandat zu Frankreich), wo sie nicht arbeiten durften und unter sich blieben. Als dann im unabhängigen Libanon der Bürgerkrieg in den Achtziger-Jahren begann, wiederholte sich die Situation. Schließlich folgte die Flucht nach Deutschland; auch hier durften sie lange keine legalen Jobs annehmen. Das ist keine Entschuldigung, aber ein begünstigender Faktor. So haben sie über Generationen verinnerlicht, „die Großfamilie ist alles, und der Rest ist nichts“, wie der Islamwissenschaftler Mathias Rohe einmal schrieb.

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik versucht deshalb, mit der Präventionsarbeit im Kindesalter zu beginnen und jungen Frauen sowie dem männlichen Nachwuchs konkrete Ausstiegsangebote zu machen – und zwar bevor die „innerbetriebliche Ausbildung“ (so ein Ermittler) in den kriminellen Teilen der Familien beginnt. Nicht alle Remmos, manchmal auch als Rammo und Remo aus dem Arabischen transkribiert, gehören zu einer Familie, und nicht alle sind kriminell. Aber über 100 Clanmitglieder gelten in Berlin als sozusagen justizerfahren.

Die fünf Remmos, die gerade in Dresden wegen des kaltschnäuzigen Raubs verurteilt wurden, hatten sich gleich mit dem ganzen Freistaat angelegt. Denn für Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) war der Juwelen-Coup „ein Anschlag auf die Identität der Sachsen“.

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