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Der Traum lebtDeutsche Forscher und Start-ups treiben Kernfusion voran

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Gewaltige Dimensionen hat der Versuchsreaktor ITER, der in Südfrankreich errichtet wird.

Gewaltige Dimensionen hat der Versuchsreaktor ITER, der in Südfrankreich errichtet wird.

Die Kernfusion verspricht eine nahezu unbegrenzte, saubere Energieversorgung. Doch der Weg dahin scheint immer noch lang. Start-ups und private Investoren versprechen neue Dynamik, während das gigantische Projekt ITER endlich vorankommt.

Energie, die jeden erdenklichen Bedarf decken kann, ohne nennenswerten Verbrauch fossiler Rohstoffe, praktisch ohne radioaktive Belastung, jederzeit konstant und für alle Zeit verfügbar und ohne jede Gefahr für Mensch und Natur. Der Traum von der Kernfusion lebt seit fast 100 Jahren, und endlich ist das glückliche Ende in Sicht – sagen jedenfalls manche Forscher wie der Darmstädter Physiker Dr. Markus Roth, der schon seit Jugendtagen von der Idee fasziniert ist, Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoff-Atomen zu gewinnen.

Langfristig werde Kernfusion die Energieform sein, die „die Menschheit ins nächste Jahrhundert bringen wird“, meint Roth. Er hat nicht nur eine Professur für Laser- und Plasmaphysik an der TU Darmstadt inne, sondern ist auch Gründer des Start-ups Focused Energy, das mit einem internationalen Team an der Realisierung des Traums arbeitet.

Hürden bei der Kernfusion: Enorme Temperaturen und Druck notwendig

Kernfusion meint die Verschmelzung von Atomkernen bei enorm hohen Temperaturen und unter gewaltigem Druck, wie sie auf Sternen ein ständiger Prozess ist. Im Prinzip funktioniert das auch auf der Erde (siehe Infobox), nur gibt es nach wie vor mehrere hohe Hürden, bevor an eine kommerzielle Nutzung zu denken ist. Die wichtigste davon: Mehr Energie aus der Reaktion zu gewinnen, als nötig ist, um sie auszulösen. So kompliziert das ganze Thema für Laien ist, so leicht lässt sich die Dimension der Herausforderung vorstellen, wenn man sich die Voraussetzungen anschaut. Die wichtigste: Für eine Kernfusion auf der Erde müssen Temperaturen von 150 Millionen Grad erzeugt werden. Das ist zehn Mal so viel wie im Kern der Sonne.

Fortschritte und Herausforderungen: Weltrekorde und Energieeffizienz

Geforscht wird an der Realisierung des Traums seit Jahrzehnten weltweit. In Deutschland existieren zwei große Versuchsanlagen, eine schon seit dem Jahr 1960 in Garching bei München und eine jüngere in Greifswald. Die Anlage in Mecklenburg-Vorpommern hat erst kürzlich einen Weltrekord verkündet, bei dem die maximale Energieleistung über 43 Sekunden erhalten geblieben sei. Ist das nun ein gewisser Fortschritt, ein Durchbruch, gar der entscheidende Schritt?

Tatsache ist, dass Weltrekorde regelmäßig verkündet werden. Am Ende immer mit dem Nachsatz, dass aber noch große Probleme zu lösen seien. Und dass dafür sehr viel Geld notwendig ist. Trotzdem schien eine entscheidende Wendemarke erreicht, als vor drei Jahren in den USA ein Nettogewinn an Energie gelang. Die Bezeichnung „Nettogewinn“ trifft allerdings nur dann zu, wenn man wirklich nur das Plasma anschaut: Da ging weniger Energie hinein als herauskam. Allerdings werde für den Betrieb der Anlage insgesamt „drastisch mehr Energie benötigt, so dass es insgesamt absolut ein Minusgeschäft war“, erklärt Prof. Dr. Josefine Proll, die am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald forscht. Dennoch sei dies ein beachtlicher wissenschaftlicher Erfolg gewesen, der dazu geführt habe, „dass Fusionsforschung allgemein stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist“ (s. Interview).

Internationale Zusammenarbeit am ITER-Projekt

Aber die Umsetzung in eine kommerziell nutzbare Technologie bleibt eine Herausforderung. Wie komplex sie ist, lässt sich an dem internationalen Forschungsprojekt ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) ablesen, an dem ein beinahe weltumspannendes Konsortium aus China, Indien, den USA, Russland, der EU und anderen Ländern beteiligt ist. Der Bau im südfranzösischen Dorf Saint Paul les Durance begann 2007, just im Jahr 2025 sollte der Versuchsreaktor in Betrieb gehen. Die Kosten waren mit knapp sechs Milliarden Euro kalkuliert. Aktuell ist nun ein Betriebsstart für 2034 angepeilt, und die Kostenschätzungen haben die Marke von 20 Milliarden Euro überschritten. Das grundlegende Ziel, 500 Megawatt Fusionsleistung für länger als fünf Minuten zu erzeugen, könnte nach heutigem Stand etwa 2039 erreicht werden. Aber selbst wenn ab Mitte der 30er Jahre ITER tatsächlich in Betrieb ist, ist klar: Hier geht es um die reine Fusionsleistung, Strom wird nicht erzeugt. Das wissenschaftliche Konsortium Eurofusion arbeitet parallel am Prototyp eines europäischen Fusionskraftwerks, das dann tatsächlich Strom produzieren soll. Angepeilter Betriebsbeginn ist um das Jahr 2050. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) stellt nüchtern fest: „Wann ein erstes kommerzielles Kraftwerk zur Stromerzeugung realisiert werden könnte, lässt sich nicht prognostizieren.“

Investitionen und Start-ups: Deutsche Unternehmen im Fokus

Trotzdem hat das Thema Kernfusion in den vergangenen Jahren neuen Schwung bekommen. Zunehmend wagen sich private Investoren auf dieses unsichere Feld, auch und gerade in Deutschland. Jüngstes Beispiel: Das Münchener Start-up Proxima Fusion, eine Ausgründung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, erhielt nach eigenen Angaben im Juni dieses Jahres von Risikokapitalgebern vor allem in den USA 130 Millionen Euro. Chef und Co-Gründer Francesco Sciortino sieht das Unternehmen damit auf dem Weg, „das erste europäische Fusionskraftwerk innerhalb des nächsten Jahrzehnts in Betrieb zu nehmen“. Ähnlich optimistisch ist das Team von Marvel Fusion, das in bisher zwei Finanzierungsrunden fast 100 Millionen Euro von Geldgebern wie dem Tech-Spezialisten Earlybird Venture Capital eingesammelt hat. „Im Bereich der Fusionstechnologien erleben wir derzeit weltweit eine echte Aufbruchstimmung“, sagte Hendrik Brandis, Co-Gründer von Earlybird, zu dem 2022 gestarteten Engagement. Er sieht in dem auf Lasertechnik basierenden Konzept von Marvel einen „äußerst vielversprechenden Ansatz“ und meint: „Das Unternehmen hat das Potenzial, die globale Energieerzeugung grundlegend zu verändern.“ Neben Focused Energy, Proxima und Marvel gibt es mit Gauss Fusion ein viertes junges Unternehmen in Deutschland, das auf die kommerzielle Nutzung von Kernfusion abzielt. Gauss Fusion setzt vor allem auf internationale wissenschaftliche Kooperation.

Zeitliche Prognosen: Experten erwarten noch Jahrzehnte der Entwicklung

Während die Start-ups und Investoren natürlich eine baldige rosige Fusions-Zukunft malen, fällt die zeitliche Prognose andernorts deutlich nüchterner aus, etwa bei der Physikerin Josefine Proll: „Als Wissenschaftler sind wir konservativ und rechnen eher mit etwa zwei Jahrzehnten, wenn wir jetzt Vollgas geben.“