Ex-CDU-Generalsekretär PolenzPolitik auf Twitter mit 76 Jahren

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Ruprecht Polenz.

Seit dem Abschied aus der aktiven Politik debattiert Ruprecht Polenz online.

Knapp 80 000 Follower hat Ruprecht Polenz auf Twitter. Der Ex-CDU-Generalsekretär übt zwar kein Parteiamt mehr aus, hat aber immer noch politischen Einfluss mit seiner digitalen Präsenz.

Es ist halb zehn. Ruprecht Polenz sitzt in seinem Stammcafé im münsterschen Geistviertel. Hier, unweit seines Wohnsitzes, genießt Polenz seinen wohl höchsten Bekanntheitsgrad. In den letzten Jahren hat sich dieser vor allem digital noch einmal ausgedehnt. „Ich habe mein Smartphone nicht dabei“, sagt Polenz. Wäre er ein ganz normaler 76-Jähriger, wäre das nicht gerade ungewöhnlich. Normalerweise tippt Polenz aber am liebsten 280 Zeichen in sein Handy – bei Twitter.

Es ist schwierig, komplexe Sachverhalte in wenigen Zeilen zu erklären.
Ruprecht Polenz, Ex-CDU-Generalsekretär

Dass dieses Medium so seine Defizite hat, verhehlt Polenz nicht. „Es ist schwierig, komplexe Sachverhalte in wenigen Zeilen zu erklären“, sagt er. Die Versuchung, polemisch zu werden, um die eigene Reichweite zu steigern, sei heutzutage groß. Die Aussage seines Parteivorsitzenden Friedrich Merz über „kleine Paschas“ hat ihm missfallen. Er ist kein Fan schwarz-weiß gemalter Bilder.

Es wäre nicht das erste Mal, dass der frühere Generalsekretär Ansichten vertritt, die von der Parteispitze abweichen. 2010 schrieb er das Buch „Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU“ und empfahl der Bundesregierung einen Kurswechsel im Umgang mit Ankara. 2012 forderte er die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland – lange bevor sie Realität wurde.

Nie Feindseligkeiten verspürt

Leicht hatte er es mit seinen Positionen selten. Nicht zuletzt wegen seiner Funktion als Ausschussvorsitzender und der Fraktionsdisziplin musste Polenz aber auch Kompromisse mittragen, die ihm nicht schmeckten. „So ist aus innerer Überzeugung jedoch mein Demokratieverständnis“, betont er.

Wie auch immer eine Abstimmung verlief: Polenz habe nie Feindseligkeiten verspürt. Dass es in der Politik keine Freundschaften gebe, sei Unsinn. „In den 60er-Jahren bin ich im Studentenparlament auch auf rigide Marxisten gestoßen und konnte trotzdem freundschaftlich mit ihnen verbunden sein.“

Und heute? Greift Polenz eben zum Smartphone, wenn er über etwas mit debattieren will. Die ganze Entwicklung der sozialen Netzwerke sieht er denkbar pragmatisch. „Es gibt diese Plattformen nun mal.“ Seine Aktivität bei Twitter halte ihn wach. Er gendert sogar, „allerdings nur gemäßigt“, sagt er.

Alles will Polenz dann aber doch nicht mitmachen. Seine neun Enkel dürften längst zur Generation TikTok zählen. „Darauf habe ich aber keine Lust.“

Über Beleidigungen oder allzu derbe Kritik scrolle ich einfach hinweg.
Ruprecht Polenz, Ex-CDU-Generalsekretär

Im textbasierten Twitter-Kosmos fühlt sich Polenz dagegen pudelwohl. Hier ergibt sich für den ehemaligen Abgeordneten eine ungekannte Selbstbestimmtheit. „Ich äußere dort meine persönliche Meinung“, sagt Polenz. Wohlwissend, dass sie nicht jedem gefällt. „Über Beleidigungen oder allzu derbe Kritik scrolle ich einfach hinweg.“ Fast zwanzig Jahre im Hohen Haus der deutschen Politik haben ihm ein dickes Fell verliehen.

Obwohl Polenz kein Parteiamt mehr ausübt, ist sein politischer Einfluss seit seiner digitalen Präsenz gewachsen. Merz hat mit 270 000 Nutzern zwar viel mehr Follower. Aber Polenz sieht seine Rolle ohnehin in einer anderen Nische: „Ich versuche, meiner Partei dabei zu helfen, wieder mehr Wechselwähler zu gewinnen.“

Zufrieden mit seiner Karriere

Trotzdem bereut Polenz rückblickend so manchen Fehler. Seine Degradierung aus der ersten Reihe der Christdemokraten – Guido Westerwelle bezeichnete diese einst als „Bauernopfer Merkels“ – fällt ihm dabei aber nicht ein. Stattdessen kommt ihm ein profanes Beispiel aus seiner Zeit im Münsteraner Stadtrat in den Sinn. „Ich habe mich damals gegen das Fahrradparkhaus am Bahnhof positioniert, weil ich dachte, niemand könne sein Rad unter Tausenden wiederfinden.“ Diese politisch doch eher pardonable Fehleinschätzung mag ein Grund sein, weshalb Polenz so zufrieden mit dem Verlauf seiner Karriere zu sein scheint.

Dass er so versöhnlich auf seinen Werdegang zurückblicken kann, mag auch an seinem gelungenen Abschied aus der aktiven Politik liegen. Im Jahr 2013 hörte er auf eigenen Wunsch auf. Polenz erklärt das mit einem Zitat von Hans-Dietrich Genscher: „Lieber 100 Tage zu früh als einen Tag zu spät.“ Seine zweite Karriere beim Kurznachrichtendienst Twitter hat dagegen gerade erst richtig begonnen.

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