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Interview

Garry Fischmann über „Schattenmond“
„Realität ist radikaler als jedes Drehbuch“

4 min
Hauptkommissarin Nadirah (Sabrina Amali) bittet den jungen Rabbiner Samuel (Garry Fischmann) um Unterstützung in einem komplexen und undurchsichtigen Fall. Der Krimi läuft am 03.12.2025 im Ersten.

Hauptkommissarin Nadirah (Sabrina Amali) bittet den jungen Rabbiner Samuel (Garry Fischmann) um Unterstützung in einem komplexen und undurchsichtigen Fall. Der Krimi läuft am 03.12.2025 im Ersten.

Schauspieler Garry Fischmann spricht im Interview über seinen neuen Film „Schattenmord“ und jüdisches Leben in Deutschland.

Schauspieler Garry Fischmann startete seine Karriere schon als Teenager in „Schloss Einstein“. Jetzt ist er im Film „Schattenmord – Unter Feinden“ (an diesem Mittwoch, 20.15 Uhr im Ersten) zu sehen, wo er als deutscher Rabbi den Mord an einem jüdischen Staatsanwalt aufzuklären versucht. Die Dreharbeiten fanden unter dem Eindruck der Terroranschläge des 7. Oktober 2023 statt. Darüber, aber auch ganz allgemein über jüdisches Leben in Deutschland und mehr spricht Fischmann im Interview mit Frank Jürgens.

Herr Fischmann, in Ihrem neuen Film „Schattenmord“ spielen Sie den jungen Rabbi Samuel Rivkin. Da hört man Sie auch hebräisch reden. Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Ich sage immer: Meine Bar Mizwa mit 14 war die beste Vorbereitung. Aber natürlich habe ich mich für den Film noch einmal ganz anders mit der Rolle beschäftigt.

Aber es gab jetzt kein weiteres Coaching für die Rolle als Rabbiner?

Doch. Ich spiele ja einen liberalen Rabbiner und habe mir dafür bei dem Berliner Rabbiner Boris Ronis Rat geholt. Wir haben lange gesprochen, und ich habe dabei vieles erfahren, das ich vorher noch gar nicht wusste – zum Beispiel, dass Seelsorge auch konfessionslos geleistet werden kann.

Im Film „Schattenmord – Unter Feinden“ geht es um die Ermordung eines jüdischen Staatsanwalts, einem väterlichen Freund ihrer Filmfigur Samuel. Die Ermittlungen führen zunächst völlig in die Irre, in Richtung der sogenannten Clan-Kriminalität. Woran liegt das?

Im Film ist das zunächst einmal der naheliegendste Verdacht. Gleichzeitig zeigt die Geschichte auch, dass Antisemitismus viele Gesichter hat – es gibt sowohl alten, „hausgemachten“ Judenhass als auch den, der im Zuge von Konflikten im Nahen Osten hierhergetragen wird, und zwar schon lange vor dem 7. Oktober.

Im Film ist Judenhass ja das zentrale Thema. Da findet Judenhass noch relativ versteckt statt. Hat die Realität hier die Fiktion überholt?

Antisemitische Übergriffe haben seit dem 7. Oktober in Deutschland massiv zugenommen. Wir sehen hetzerische Proteste an Hochschulen, Angriffe auf Menschen, die einfach jüdisch sind oder Hebräisch sprechen, und Fälle wie den des israelischen Studenten Shapira in Berlin, der nach „Death to Jews“-Rufen zusammengeschlagen wurde. In der Kulturszene werden israelische Künstler ausgeladen, israelische, oft systemkritische Filme boykottiert, während die Ideologie der Hamas plötzlich als „revolutionäre Bewegung“ verklärt wird. „Zionist“ ist zum Schimpfwort geworden und sich offen als Jude zu zeigen ist zur Erregung öffentlichen Ärgernisses geworden. Da merkt man: Die Realität ist gerade radikaler als jedes Drehbuch.

Welche Rolle hat der 7. Oktober denn bei den Dreharbeiten gespielt? Wurde da noch etwas am Drehbuch geändert? Und wie haben Sie das überhaupt persönlich verkraftet?

Für mich war es erst mal eine Erleichterung, überhaupt wieder arbeiten zu können – statt den ganzen Tag diese Bilder und Videos zu sehen. Am Set habe ich gemerkt, wie gut es tut, die eigene Ohnmacht in etwas Produktives zu verwandeln. Dieses jüdisch-arabische Ermittlerduo ist ja fast eine kleine Utopie: zwei Leute, die sich trotz allem verbünden, statt sich zu bekämpfen. Diese Energie, etwas Zukunftsweisendes und Progressives zu erzählen, hat mir in dieser Zeit sehr geholfen. Es gab ja auch die weltweiten Gewaltaufrufe gegen Juden und jüdische Einrichtungen nach dem 7. Oktober. Da sind dann auch viele aus meinem Familien- und Freundeskreis nicht zur Arbeit gegangen.

Was geht da in Ihnen vor in solchen Situationen?

Er war schon absurd. Ich spielte einerseits eine repräsentative jüdische Person, die sich mutig gegen Antisemitismus einsetzt, aber bestellte mir als Realperson das Taxi zum Dreh als „Müller“ von der gegenüberliegenden Straßenseite, um nicht aufzufallen. Da denkt man doch, man sei im falschen Film.

Wie erklären Sie sich den in Teilen der Linken mittlerweile offen zur Schau getragenen Antisemitismus?

Vor dem 7. Oktober hätte ich ohne Zögern gesagt: Ich bin links. Und genau deshalb fühlt es sich inzwischen ein bisschen an, als wäre ich aus meiner eigenen politischen WG rausgeflogen. Plötzlich wird radikaler Antizionismus als Antirassismus verkauft – nur dass da oft sehr klassischer Antisemitismus drinsteckt, halt im neuen Design. Nach außen heißt es: „Alle Perspektiven willkommen“, aber jüdische Stimmen sind dann manchmal nur so lange gefragt, wie sie ins Drehbuch passen. Das ist am linken Rand nicht weniger problematisch als am rechten.

Was muss sich hier denn ändern, damit jüdisches Leben in Deutschland normal und frei von Angst ablaufen kann?

Mein Gefühl ist: Das Wichtigste muss erstmal in den Schulen passieren, nicht in Talkshows. Ich habe selbst in Berliner Schulen Antisemitismus abbekommen – meistens aus arabisch-muslimischem Umfeld – und oft haben Lehrerinnen und Lehrer weggeschaut oder waren schlicht überfordert. Da braucht es klare Haltung, Schutzkonzepte und mehr Wissen darüber, was Antisemitismus heute ist. Parallel dazu brauchen wir andere Bilder in Medien und Kultur, wie dieses jüdisch-arabische Ermittlerduo im Film. Und im Rahmen des Rechtsstaats konsequentere Strafen bei antisemitischen Taten. Man hat zu lange weggeschaut – jetzt fällt uns das alles auf die Füße.

Wie lässt sich dem begegnen?

Wir müssen davon wegkommen, dass das Thema Judentum so ein Tabuthema ist. Judentum ist nicht nur Holocaust oder Nahostkonflikt. Judentum hat so viel mehr zu bieten, so viel mehr Kultur, Spaß und Humor und Sinnlichkeit, und das wünsche ich mir hier mehr. Ein tolles Beispiel ist da der israelisch-amerikanische Stand-up-Comedystar Modi Rosenfeld, den ich vor ein paar Tagen bei den jüdischen Kulturtagen in Berlin gesehen habe. Das ist einfach ein Hammer, weil es da um jüdische Leidenschaft geht, um Humor auch innerhalb der Community, das ist sehr sinnlich – so etwas sollte es auch in Deutschland viel mehr geben und das würden dann auch Leute von außerhalb mitbekommen.