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Debatte um MeinungsfreiheitGefängnis nach Hassbeitrag im Netz – ist das okay?

Lesezeit 4 Minuten
Auf dem Bildschirm eines Smartphones sieht man die Hashtags (#) Hass und Hetze in einem Post auf Twitter (heute X).  Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein großes Problem im Internet: Hassrede

Die Verurteilung von Lucy Connolly befeuert in Großbritannien die Debatte um Meinungsfreiheit. Sie rief zur Gewalt auf und erhielt 31 Monate Haft.

Der Schock war groß, die Hetze noch größer: Nach dem Messerangriff Ende Juli 2024 in der englischen Küstenstadt Southport, bei dem drei Mädchen getötet wurden, kochten in den sozialen Medien die Emotionen hoch. Es sei ein islamistischer Terroranschlag gewesen, hieß es, begangen von einem Geflüchteten. Die Realität war eine andere: Der mutmaßliche Täter war ein 17-jähriger Brite, geboren in England, mit ruandischer Herkunft. Von Terror gingen die Ermittler nicht aus. Dennoch griffen rechtsgerichtete Gruppen Asylunterkünfte an, es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Labour-Premierminister Keir Starmer drohte schon kurz nach den ersten Unruhen drastische Konsequenzen an: „Seien Sie sich sicher“, sagte er. Wer an der Gewalt beteiligt gewesen sei – ob direkt oder durch Aufwiegelung im Internet –, „werde die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen“. Tatsächlich wurden nach den Ausschreitungen neben den Randalierern auch Personen, die gezielt Falschinformationen und Hass im Netz verbreitet hatten, strafrechtlich verfolgt.

Die Gerichte verhängten teils empfindliche Strafen. Weitere Ausschreitungen blieben aus – auch deshalb. Doch wie konsequent und hart darf ein Staat in solchen Fällen vorgehen? Diese Frage wird derzeit im Vereinigten Königreich intensiv diskutiert.

31 Monate Haft für Lucy Connolly

Angeheizt wird die Debatte durch ein besonders umstrittenes Urteil. Lucy Connolly, die 41-jährige Ehefrau eines früheren konservativen Lokalpolitikers, rief am Tag des Messerangriffs in den Sozialen Medien dazu auf, Hotels mit Asylsuchenden „abzufackeln“, und forderte sofortige Massenabschiebungen. Der Tweet wurde innerhalb von wenigen Stunden etwa 310.000 aufgerufen, dann jedoch von ihr gelöscht.

Connolly entschuldigte sich, dennoch folgte eine harte Strafe. Im Oktober 2024 verurteilte ein Gericht sie zu 31 Monaten Haft wegen Anstiftung zu rassistischem Hass. Im Mai scheiterte ihre Berufung. Seit rund acht Monaten sitzt sie nun in der Frauenhaftanstalt HMP Drake Hall in Staffordshire.

Der Fall gilt juristisch als abgeschlossen, gesellschaftlich ist er es nicht. Vor allem aus rechtskonservativen Kreisen kommt Kritik. Die Tory-Vorsitzende Kemi Badenoch bezeichnete die Strafe für die Mutter einer zwölfjährigen Tochter, die ihren Sohn vor einigen Jahren aufgrund ärztlicher Fehldiagnosen verloren hatte, als „unverhältnismäßig hart“.

Und auch jenseits des Atlantiks sorgte der Fall für Aufsehen. Das US-Außenministerium erklärte, man beobachte den Fall. Vizepräsident JD Vance warnte vor einem europäischen Trend zur Unterdrückung abweichender Meinungen.

Aufruf zur Gewalt überschreitet Grenzen der Meinungsfreiheit

Im Fall Connolly herrscht unter Experten jedoch überwiegend Einigkeit: Ein öffentlicher Aufruf zur Gewalt überschreitet eindeutig die Grenzen der Meinungsfreiheit. „Ob die Strafe in ihrer Höhe berechtigt ist, kann man diskutieren – aber die Verurteilung war angemessen“, sagt Eric Heinze, Rechtswissenschaftler an der Queen Mary University of London, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wer öffentlich zu Gewalt aufruft – in diesem Fall sogar sinngemäß zum Mord –, überschreitet eine rote Linie.“

Die eigentliche Herausforderung für die Meinungsfreiheit zeige sich bei weniger eindeutigen Fällen, betont er. Denn einige Gesetze in Großbritannien greifen bereits, bevor eine klare Grenze wie ein Aufruf zur Gewalt überschritten ist. „Ein und derselbe Post kann bei der einen Person zu einer Verhaftung führen – bei der anderen nicht.“ Was zulässige und was strafbare Äußerungen sind, sei unklar. „Und solange diese Linie nicht gezogen ist, besteht die Gefahr, dass Menschen vorsorglich schweigen.“

Experten sprechen dabei auch von dem sogenannten „chilling effect“. Dann würden bestimmte kontroverse Themen – etwa Migration, der Nahostkonflikt oder Fragen rund um Geschlechtsidentität – zunehmend gemieden. Doch „wenn geschwiegen wird, wo eigentlich Debatten nötig wären, dann gefährdet das die demokratische Kultur selbst“, so Heinze.

Zugleich reagieren die Gesetze in Großbritannien aber natürlich auch auf eine besorgniserregende Entwicklung: den massiven Anstieg von Anfeindungen und gezielter Einschüchterung im Netz. „Die digitale Öffentlichkeit verleiht Einzelnen heute eine Macht, die früher unvorstellbar war – und jede Demokratie steht vor der Herausforderung, damit umzugehen.“

Das Problem laut Heinze: Ein ausgewogener Umgang mit der Spannung zwischen freier Rede und Schutz scheint kaum möglich. „Entweder greift der Staat zu stark in die Meinungsfreiheit ein – oder er schützt nicht ausreichend vor Hass und Hetze.“ Regierungen hätten bislang keine überzeugenden Antworten auf dieses Dilemma gefunden. Und: „Vielleicht gibt es sie auch gar nicht.“