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Internat für indigene KinderMehr als 750 Gräber in Kanada entdeckt

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Kanada Gräber

Trauernde an einem Ehrenmal in Kamloops

Montréal – Der Fund hunderter weiterer anonymer Gräber in der Nähe eines früheren katholischen Internats für Kinder von Ureinwohnern erschüttert Kanada. Bislang seien in der Ortschaft Marieval im Westen Kanadas 751 anonyme Gräber entdeckt worden, sagte der Chef der indigenen Gemeinschaft Cowessess, Cadmus Delorme, am Donnerstag. Kanada müsse „Lehren aus der Vergangenheit ziehen“, erklärte Regierungschef Justin Trudeau.

Am Mittwoch hatte die Föderation souveräner indigener Nationen (FSIN) bereits mitgeteilt, an dem Ort in der Provinz Saskatchewan seien „hunderte“ Gräber entdeckt worden. Es handele sich um ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eine Aggression gegen die First Nations“, sagte Bobby Cameron von der FSIN in Saskatchewan bei der Pressekonferenz am Donnerstag. Cameron forderte die Regierung und die Kirche zur Zusammenarbeit auf. „Wir werden mehr Leichen finden und wir werden nicht aufhören, bis wir alle Kinder gefunden haben.“

Zuvor bereits 215 Gräber gefunden

Premierminister Trudeau drückte in der Erklärung seine Trauer aus und sagte, Kanada müsse „auf dem gemeinsamen Weg der Versöhnung vorankommen“. Ende Mai waren bereits auf dem Gelände des früheren katholischen Internats nahe der Kleinstadt Kamloops in der Provinz British Columbia die sterblichen Überreste von 215 indigenen Kindern entdeckt worden. Dies sorgte landesweit für Erschütterung, UN-Menschenrechtsexperten forderten eine umfassende Aufklärung der Hintergründe. Forderungen an den Vatikan, sich zu entschuldigen und alle Dokumente zu den Vorgängen herauszugeben, blieben zunächst unbeantwortet.

In Kanada waren ab 1874 rund 150.000 Kinder von Ureinwohnern und gemischten Paaren von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt und in kirchliche Heime gesteckt worden, um sie so zur Anpassung an die weiße Mehrheitsgesellschaft zu zwingen. Viele von ihnen wurden in den Heimen misshandelt oder sexuell missbraucht. Nach bisherigen Angaben starben mindestens 3200 dieser Kinder, die meisten an Tuberkulose.

„Kultureller Genozid“

Nach der Entdeckung der Kinderleichen in Kamloops wurden in ganz Kanada mit Unterstützung der Behörden Ausgrabungen in der Nähe ehemaliger Schulen für Kinder von Ureinwohnern vorgenommen, darunter auch in dem Dorf Marieval. Dort gab es von 1899 bis 1997 ein katholisches Internat für indigene Kinder. Es wurde zwei Jahre später abgerissen und durch eine Tagesschule ersetzt.

Viele indigene Gemeinschaften machen die Heime, die ganze Generationen geprägt haben, heute für soziale Probleme wie Alkoholismus, häusliche Gewalt und erhöhte Selbstmordraten unter den Indigenen verantwortlich. Ottawa entschuldigte sich im Jahr 2008 offiziell bei den Überlebenden der Internate. Sie seien Opfer eines „kulturellen Genozids“, stellte eine Untersuchungskommission im Jahr 2015 fest. (AFP)

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