Neue EU-VerordnungLanden nun immer mehr Insekten auf unseren Tellern?

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Heuschrecken, Zophobas (Larven vom Riesen-Schwarzkäfer) und Mehlwürmer (v.l.) liegen auf einem Tisch.

Heuschrecken, Zophobas (Larven vom Riesen-Schwarzkäfer) und Mehlwürmer (v.l.) liegen auf einem Tisch.

Zwei weitere Insektenarten hat die EU-Kommission per Gesetz nun zur Zubereitung von Lebensmitteln zugelassen. Bislang ist der deutsche Markt für Insektenprodukte nicht besonders groß.

Wenn die Larve des Getreideschimmelkäfers morgen früh aufwacht, wird ihr Leben wohl nicht mehr dasselbe sein. Dann steht sie, wie schon Hausgrille seit gestern, offiziell auf dem Speiseplan der Bürgerinnen und Bürger in Europa. Mit dem neuen EU-Gesetz sind es nun vier Insektenarten, die hier zu Lebensmitteln verarbeitet werden dürfen. Ähnliche Regeln gibt es bereits für Wanderheuschrecken und Larven des Mehlkäfers (Tenebrio molitor, gelber Mehlwurm). „Derzeit gibt es acht weitere Anträge auf die Zulassung von Insekten als Lebensmittel“, heißt es von der Europäischen Kommission. Noch gelten Insekten in der EU als neuartige Lebensmittel. Manch einer wird der Hausgrille also weiterhin eher mit Abstand begegnen. Andere sind neugierig und haben Fragen.

Welche Lebensmittel könnten etwa aus den Larven des Getreideschimmelkäfers hergestellt werden? In der Durchführungsverordnung der Europäischen Union gibt es eine Liste mit möglichen Lebensmittelkategorien, in denen jeweils eine Höchstmenge des Tiers verarbeitet werden darf.   In Brot und Brötchen dürfen höchstens 20 Gramm Grillenpulver auf 100 Gramm des Produktes verwendet werden. Bei Nudeln sind es zehn Gramm, bei Suppen 15 Gramm, bei Getreideriegeln 25 Gramm. Die Grille kann unter anderem auch in Frühstückscerealien, Backmischungen, Porridge oder bei „Gerichten auf Pizzabasis“ verwendet werden, so die Verordnung. Der Hausgrille geht es unter anderem in Keksen und Crackern, Soßen und Suppen, Fleisch- und Milchersatz, Kartoffelerzeugnissen oder Schokolade an den Kragen. Die Produkte dürfen dann nicht als vegan oder vegetarisch ausgezeichnet werden.

Ausgewachsene Hausgrillen (auch Heimchen genannt) krabbeln in der Fabrik Cricket Lab des Tschechen Husek auf ihren Boxen.

Ausgewachsene Hausgrillen (auch Heimchen genannt) krabbeln in der Fabrik Cricket Lab des Tschechen Husek auf ihren Boxen.

Tierschützer kritisieren Zucht von Insekten zur Fleischproduktion

Überhaupt ist es bislang auch nicht möglich, „versehentlich“ Insektenprodukte zu essen. Nach Angaben der EU-Kommission müssen Hersteller für jedes Insekt, das sie auf den Markt bringen wollen, eine Zulassung beantragen. Wenn Insekten dann in Lebensmitteln verwendet würden, muss das gekennzeichnet sein. „Die Lebensmittelsicherheit hat für die Kommission oberste Priorität“, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur. Was die Insekten betreffe, so könne die Behörde bestätigen, dass diese sicher seien.

Lebensmittelchemiker Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg sagt: „Uns ist nicht bekannt, dass es irgendwie untergemischt wird.“ Die EU-Kommission stellt auf Twitter klar: „Jede und jeder kann selbst entscheiden, ob er oder sie Lebensmittel aus oder mit Insekten kauft oder nicht.“ Der Verordnung zufolge muss etwa in der Zutatenliste stehen: „Acheta domesticus (Hausgrille, Heimchen), gefroren“ oder „Pulver aus Larven von Alphitobius diaperinus (Getreideschimmelkäfer)“. Valet fordert hingegen eine deutliche Kennzeichnung auf der Verpackung „und zwar gut verständlich für alle, zum Beispiel ‚Kekse mit Insekten‘ oder ‚Nudeln mit Insekten‘“.

Mehl aus getrockneten Hausgrillen

Mehl aus getrockneten Hausgrillen

Insekten sind bislang ein Nischenmarkt

Ob die bald standardmäßig überall zu kriegen sind? Valet hat da Zweifel. Bisher sei das Angebot an Lebensmitteln mit Insekten „wirklich ein ganz, ganz kleiner Nischenmarkt“. Hierzulande sind aktuell nur wenige Produkte mit geringen Mengen an Insekten erhältlich – etwa Riegel oder Nudeln. Dass Insektenpulver in Kekse oder Mehl gemischt werde, liege „wirklich noch in weiter Ferne“, sagt Valet.

Wenn es aber soweit ist, sollten Allergiker wachsam sein. Denn wie bei vielen anderen Lebensmitteln könnte auch Insektenpulver in seltenen Fällen Reaktionen auslösen – etwa bei den Menschen, die gegen Krebstiere, Weichtiere und Hausstaubmilben allergisch sind, heißt es in der EU-Verordnung. Entsprechende Angaben müssen in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste verzeichnet sein. Das Chitin im Außenskelett von Insekten etwa kann allergische Reaktionen auslösen. Der kaum verdauliche Ballaststoff kommt auch in Schalentieren und Pilzen vor. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kommt nach Auswertung diverser Studien zu dem Schluss: Hausgrillen-Pulver in den vorgeschlagenen Mengen ist sicher.

Für Verbraucher muss der Inhalt ersichtlich sein

Welche wirtschaftlichen Neuerungen das neue EU-Gesetz mit sich bringt, ist bislang noch nicht absehbar, sagt Verbraucherschützer Valet. „Produkte mit Insektenmehl werden zum Teil deutlich teurer verkauft“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Wenn es aber künftig irgendwann für Unternehmen günstiger sei, dann müsse darauf geachtet werden, dass Verbraucher nicht irregeführt werden.

Außerhalb Europas sind Insekten als Lebensmittel nicht ungewöhnlich. Und das aus gutem Grund: Wie die Welternährungsorganisation (FAO) in verschiedenen Studien festgestellt hat, sind Insekten eine sehr nahrhafte und gesunde Nahrungsquelle mit einem hohen Gehalt an Fett, Eiweiß, Vitaminen, Ballaststoffen und Mineralien. Dem Bundesverband der Verbraucherzentrale zufolge ist ihr Proteingehalt ähnlich hoch wie bei Fleisch von Rind, Schwein oder Pute, variiert aber je nach Art des Insekts.

Insekten haben eine bessere Ökobilanz

Auch für die Umwelt können Insekten einen Beitrag leisten: Der Umweltorganisation WWF zufolge ist die Ökobilanz deutlich besser als die von Rind, Schwein und Huhn. „Im Vergleich zu Fleisch wird bei der Erzeugung von Insekten wesentlich weniger landwirtschaftliche Fläche benötigt“, heißt es vom WWF. Im Vergleich zum Huhn seien es etwa um 50 Prozent weniger. Nach FAO-Angaben benötigen Grillen nur etwa ein Zwölftel des Futters verglichen mit Rindern, um die gleiche Menge an Eiweiß zu produzieren.

Bei der Insektenzucht werden auch weniger Treibhausgase freigesetzt. Die deutschen Verbraucherzentralen rechnen zudem vor, dass der essbare Anteil an Insekten mit 80 Prozent deutlich höher liegt als zum Beispiel beim Rind (40 Prozent).

Tierschützer kritisieren Insekten-Zucht

Aus der freien Wildbahn kommen die Hausgrillen und Getreideschimmelkäferlarven aber nicht auf den Teller. Speiseinsekten, die im deutschen Lebensmittelhandel angeboten werden, stammen nach Angaben der Verbraucherzentralen ausschließlich aus kontrollierter Aufzucht. „Es existieren bisher keine Haltungsvorschriften für Insekten in Deutschland“, schreiben die Verbraucherschützer. Klärungsbedarf gebe es etwa bei Platz, Einsatz von Arzneimitteln oder einer möglichst schonenden Tötung.

Biologin Bettina Eick von der Tierschutzorganisation Peta kritisiert die Zucht von Insekten – sie sei immer mit Tierleid verbunden. In der Zucht werden Insekten in Massen dicht an dicht gedrängt und übereinandergestapelt gehalten, sagt Eick. „Getötet werden sie dann, indem sie schockgefroren oder bei lebendigem Leib verbrüht werden.“ Auch Insekten seien in der Lage, Schmerzen zu empfinden. „Es ist genauso wenig akzeptabel, ihnen zu schaden wie jedem anderen empfindungsfähigen Lebewesen.“ (mit dpa)


Diese Produkte mit Insekten gibt es

Rund 2000 Insektenarten sind essbar, schreibt die Verbraucherzentrale Deutschland auf ihrer Website. Dazu gehören etwa Raupen, Käfer, Bienen, Wespen, Ameisen, Heuschrecken und Grillen. Vor allem für Sportler könnten Mehlwürmer als Snack besonders geeignet sein: Gefriergetrocknet haben sie einen Proteinanteil von 50,9 Prozent. Rindfleisch hat 22,3 Prozent, Schweine- und Hühnerfleisch 22,8 Prozent, teilt die Verbraucherzentrale mit.

Ein Grund, warum es bereits einige Proteinriegel und -pulver auf Mehlwurm-Basis für Sportler auf dem Markt gibt. Ein Anbieter für solche Riegel war das Unternehmen Swarm Protein, das sich auf diese Art Proteinriegel spezialisiert hatte. In mehr als 1300 Supermärkten wie Rewe und Edeka lagen die Riegel aus, schreibt das Unternehmen in einem Beitrag auf der Website foodinsects.de.

Doch die Lockdowns während der Corona-Pandemie haben dafür gesorgt, dass sich der Fokus im Handel verschoben hat. „Die Marktleiter waren nur noch an Mehl, Brot oder Toilettenpapier und nicht länger an Insektenriegeln interessiert“, heißt es in dem Beitrag. Deswegen habe sich das Unternehmen zum Ende des Jahres 2020 in „Swarm Dog“unbenannt, um in Zukunft auf Hundefutter auf Insektenbasis umzusteigen. Offenbar ohne Erfolg, ein Onlineshop von „Swarm Dog“ ist nicht mehr auffindbar.

Mittlerweile ist das Angebot von Produkten auf Insektenbasis groß: Vom „Crunchy Grillen Snack“, der gewürzte Insekten in einer Tüte enthält, über Pasta auf Insektenbasis und Schokolade mit integrierten Mehlwürmern hin zum Burgerpatty aus Insektenfleisch. In einem Webshop gibt es auch sogenanntes „Wurm-Wasser“ zu kaufen. Dahinter verbirgt sich Fläschchen mit 20 Millilitern Wodka, in dem einige Mehlwürmer schwimmen. (ebu)

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