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Copilot riss 149 Menschen mit in den Tod„Selbstmord ist nicht das richtige Wort“

Lesezeit 6 Minuten

Rettungskräfte an der Abtsurzstelle.

Bonn – Er war ihr Vorzeigeschüler, ihr Vereinskollege, der es von allen wirklich ganz hoch hinaus geschafft hatte: Im Fliegerverein LSC Westerwald hatte Andreas L. schon als Jugendlicher angeheuert. Das Fliegen war sein größter Traum. Und er erreichte diesen Traum: Aus dem Anfänger im Segelflugunterricht war 2013 ein Airbus-Pilot geworden, einer, der Tausende Passagiere zwischen Europas Glitzermetropolen hin- und herjettete, einer, der viel Verantwortung trug. Noch am Morgen herrscht bei L.s Vereinskameraden große Ergriffenheit. "Er hat seinen Traum teuer mit dem Leben bezahlt", schreiben sie im Gedenken an den sympathischen 27-Jährigen auf ihrer Webseite.

Dann bricht der Vormittag an, die Nachrichten überschlagen sich. Am Abend geht die Seite vom Netz. Man hat, so viel ist nun klar, um jemanden getrauert, den man in Wirklichkeit nicht kannte. Andreas L. ist nicht mehr der Vorzeigepilot aus Montabaur. Er hat, wenn man den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft folgt, seine Maschine absichtlich gegen eine Felswand gerammt und 149 Menschen mit in den Tod gerissen.

Am Freitagmorgen berichten Medien von einer angeblichen psychischen Erkrankung. Ermittler hätten bei der Durchsuchung der Düsseldorfer Wohnung des Copiloten, der das Flugzeug gegen eine Felswand in den französischen Alpen gesteuert haben soll, Hinweise auf eine psychische Erkrankung entdeckt, meldete Spiegel Online.

Nach einem Bericht von „Bild“ befand sich der 27-Jährige vor sechs Jahren insgesamt eineinhalb Jahre in psychiatrischer Behandlung. Er sei in seinen Flugschulkursen mehrfach wegen Depressionen zurückgestuft worden. Bei Abschluss seiner Ausbildung 2009 wurde dem Bericht zufolge eine „abgeklungene schwere depressive Episode“ diagnostiziert. Auch vor dem Flugzeugabsturz habe er sich in „besonderer, regelhafter medizinischer Betreuung befunden“, zitiert „Bild“ unter Berufung auf nicht näher beschriebene interne Unterlagen. Auch ein Vermerk in der Akte des Copiloten beim Luftfahrtbundesamt habe auf massive psychische Probleme hingedeutet. In der Akte befindet sich nach „Bild“-Informationen die Codierung SIC, die auf eine regelmäßige medizinische Kontrolle verweist.

Hohe Standards der Lufthansa

Wer am Donnerstagnachmittag im Hotel am Köln/Bonner Flughafen dem Lufthansa-Vorsitzenden Carsten Spohr gegenübersitzt, bekommt eine Ahnung von der Welt, in der L. sich bewegt hat, ohne je negativ aufgefallen zu sein. Den Kosmos Luftfahrt und all die Prinzipien, die in ihm gelten, verkörpert Spohr mit Haut und Haaren: Leicht gebräunt, makellos, ergriffen von dem Vorfall, natürlich, aber nicht so, dass er bei seinen präzisen Ausführungen die Kontrolle über seine immer mal wieder ausbrechende Stimme verlieren würde. Die hohen Ansprüche der Lufthansa, ihre perfekte Umsetzung, dabei die Loyalität gegenüber Kollegen - mit jeder Faser drückt Spohr aus, welche Standards - professionelle, aber auch persönliche - man für Piloten setzt. Ein Erster Offizier, der absichtlich eine voll besetzte Maschine zerschellen lässt? Für ihn bislang im schlimmsten Albtraum nicht vorstellbar: "Die technischen und fliegerischen Fähigkeiten, aber auch die psychologische Eignung gehören zum Selbstverständnis der Lufthansa, zu unserer DNA", sagt er. Ihre Auswahlverfahren für die Piloten seien weltweit anerkannt, "wir sind stolz darauf".

Auch Andreas L. hat dieses Verfahren durchlaufen. 2008 begann er seine Lufthansa-Ausbildung, schloss sie erfolgreich ab, arbeitet dann elf Monate als Flugbegleiter, bis er im September 2013 eine Stelle als Erster Offizier im Airbus bekam. Einziger Holperstein: Er unterbrach seine Ausbildung kurzfristig, musste dann wie üblich seine Eignung in Tests erneut unter Beweis stellen.

Hinweise auf eine psychische Labilität?

Liefert diese Unterbrechung Hinweise auf eine psychische Labilität? Spohr: "Wenn es medizinische Ursachen gegeben haben könnte, unterliegen diese bis über den Tod hinaus der Schweigepflicht." L. jedenfalls hat auch beim zweiten Eignungstest alle Checks bestanden: "Er war flugtauglich ohne Einschränkungen, Auflagen oder Auffälligkeiten."

Auf einem Facebook-Foto sieht jeder, was auch Spohr in L. gesehen hat: Lächelnd sitzt er vor dem Sehnsuchtsziel Golden Gate Bridge in San Francisco, hohe Stirn, die Arme lässig um die angewinkelten Knie geschlungen, Jeans, Streifenschal, Allerweltsjacke. Einer, der weit gekommen ist, ohne abgehoben zu wirken, ein Mitarbeiter, wie Spohr ihn sich wünschen würde. "Lufthansa-Piloten sind und bleiben die besten der Welt", betont er, "wir haben es hier mit einem unglaublichen und tragischen Einzelfall zu tun."

Freundlich, jovial begann L. den Todesflug von Barcelona nach Düsseldorf. Das zeigen die Gesprächsauswertungen aus dem Cockpit. Die Lockerheit mag ihn viel Selbstbeherrschung gekostet haben. Denn während die Passagiere ihr Handgepäck verstauten, hatte L. auf dem Copiloten-Sitz vielleicht längst seinen Plan gefasst. Kaum hat der Airbus seine Reiseflughöhe erreicht, verlässt sein Kollege kurz den Sitz. Als der Kapitän wiederkommt, sperrt L. ihn offenbar aus. Der Stimmrekorder verzeichnet sein ruhiges Atmen bis zum Schluss. L. sagt kein Wort, nicht einmal, als sein Kapitän gegen die Panzertür hämmert oder tritt. Erst kurz vor dem Aufprall ist das Schreien der Passagiere im Hintergrund zu hören. Auch er wird es gehört haben.

„Netter, lustiger und höflichen Mensch“

Ermittler haben L.s Wohnung in Düsseldorf ebenso durchsucht wie sein Elternhaus in Montabaur, wo seine Mutter als Organistin arbeitet. Hinweise auf eine terroristische Verbindung gibt es bislang keine. Somit bleiben viele Fragen: Warum wollte der Pilot sich umbringen? Warum wählte er diesen Weg? Und warum hat niemand gemerkt, dass der 28-Jährige womöglich unter großen psychischen Belastungen litt?

Vergangenes Jahr war L. noch einmal zu Besuch bei seinem alten Segelflugverein. "Da habe ich ihn als sehr netten, lustigen und höflichen Menschen kennengelernt", sagte der Vereinsvorsitzende Klaus Radke. Währenddessen schlagen die Fassungslosigkeit und die Trauer der letzten Tage bei vielen in Entsetzen um. "Wenn jemand 149 Menschen mit in den Tod nimmt, dann ist Selbstmord für mich hier nicht das richtige Wort", sagt Spohr mit maximaler Beherrschtheit - und fügt leise an: "Aber ich bin kein Jurist." Der Zweisitzer, in dem L. in Montabaur das Fliegen lernte, steht noch immer geparkt am Hangar.

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So funktioniert die Entriegelung per Code

Nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 sind in Flugzeugen die Cockpittüren besonders gesichert worden, um unerlaubtes Eindringen zu verhindern. Die Attentäter des 11. September hatten die Piloten von vier Jets überwältigt und es bei drei Maschinen auch geschafft, sie in ihre Ziele - das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington - zu lenken.

Die heute verwendeten Türen halten selbst Schüsse ins Cockpit ab und können nur von innen geöffnet werden. Jede Fluggesellschaft hat dabei ihre speziellen Regelungen. Eine Videoanlage sorgt nach Airbus-Angaben zudem dafür, dass die Besatzung sehen kann, wer Einlass begehrt. Öffnet die Cockpitbesatzung nicht (beispielsweise, weil sie bewusstlos geworden ist), können sich Besatzungsmitglieder durch einen Code Zugang verschaffen.

Im Lufthansa-Konzern ist dieses Code nach Darstellung von Konzernchef Carsten Spohr allen Angehörigen des fliegenden Personals bekannt. Der Kapitän von Flug 4Y 9525 hat diese Metheode de Not-Türöffnung auch anzuwenden versucht, doch hat sein Copilot offenbar von einer weiteren Eigenschaft des Türsicherungssystems Gebrauch gemacht: Vom Cockpit aus kann der Zugang auch bei Eingabe des korrekten Codes befristet blockiert werden. Eine Maßnahme, die verhindern soll, dass Gewalttäter Crew-Mitglieder zwingen können, die Tür zu öffnen. Nun hat ausgerechnet diese Sicherheitsmaßnahme verhindert, dass der Flugkapitän eingreifen konnte.

Die Fluggesellschaft Norwegian verbietet ihren Piloten als Konsequenz aus dem Fall des Germanwings-Airbus, sich allein im Cockpit aufzuhalten. "Ab sofort müssen immer zwei Leute im Cockpit sein", sagte eine Sprecherin der norwegischen Fluglinie. "Das bedeutet, dass, wenn einer der Piloten das Cockpit verlässt, etwa um auf Toilette zu gehen, eines der Crewmitglieder ins Cockpit gehen muss."

Nach Angaben von Lufthansa-Chef Spohr halten es auch US-Fluglinien so. Darüber wollen US-Linien wie United aber keine Auskunft geben - aus Sicherheitsgründen. (dpa)