Expertin Elsbeth Wallnöfer spricht im Interview über Kleider für alle, Discounter und den Unterschied zur traditionellen Tracht.
Trachten-Expertin„Dirndl für 50 Euro im Discounter – super!“

Malerische Kulisse: Zwei Models präsentieren auf dem Starnberger See neueste Dirndl-Mode.
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Es ist Mitte September und das heißt: Zeit für Oktoberfest! Noch vor wenigen Jahrzehnten, so heißt es, sei es für Münchener völlig unüblich gewesen, in Tracht und Dirndl aufs Oktoberfest zu gehen. Doch seit einigen Jahren erlebt das Dirndl eine Wiedergeburt. Philipp Ebert spricht mit Dirndl-Expertin Elsbeth Wallnöfer über die Geschichte des deutschesten aller Kleider und erfährt, weshalb Dirndl vom Discounter eine gute Sache sind.
Frau Wallnöfer, Sie sind als Kulturhistorikerin eine Dirndl-Expertin. Tragen Sie eigentlich selbst auch manchmal Dirndl?
Ja, vor allem im Gebirge, weil ich die neue Funktions-Wanderkleidung mit viel Kunststoff nicht mag.
Am Berg tragen Sie ein modisches Stück wie ein Dirndl?
Die ursprünglichen Dirndl sind ja aus Baumwollstoff gefertigt. Das Dirndl kommt in den 1880er Jahren auf als Kleidung der Städter für den Ausflug aufs Land. Die Idee: Eine Anpassung an die Arbeitskleidung der einfachen Landbevölkerung. Der Begriff „Dirndl” kommt ja auch von der Dirne, also der jungen Frau, der Magd. Entsprechend einfach ist auch seine grundsätzliche Struktur: Bluse, Rock und Schürze – gerade die Schürze war ja eine Insignie der häuslichen und bäuerlichen Arbeit. Deshalb passt das Kleidungsstück nach wie vor auf Hänge und Weiden – auch wenn es heute auch Dirndl gibt, die richtig sexy sind.
Moment, heute schwingt beim Dirndl unter anderem bodenständige Heimatverbundenheit mit – aber es ist nicht älter als 150 Jahre?
Ja, es wurde entwickelt als Kleidungsstück für diejenigen, die in der Industriemoderne genug Freizeit und Geld hatten, um sich schöne Kleidung zu kaufen und Ausflüge aus der Stadt aufs Land machen zu können. Es sah einfach aus, war anfangs aber nicht günstig.
Was unterscheidet eigentlich ein Dirndl von einer traditionellen Tracht?
Das lässt sich so einfach nicht beantworten, weil auch die sogenannte traditionelle Tracht eine Erfindung ist. Es gibt nirgendwo eine Tracht, die so einheitlich wäre, wie es Trachtenvereine suggerieren. Denn: Wer käme denn auf die Idee, ein ganzes Volk einheitlich einzukleiden? Und warum sollten sich Frauen in der vormodernen Zeit uniformieren, von wem würden sie sich damit abgrenzen? Von den Menschen in anderen Völkern, die eine auf ihrer Scholle beheimatete Bäuerin ja kaum jemals sehen würde? Nein, deshalb ist die Idee einer einheitlichen Tracht eines Volksstamms eine moderne Projektion auf die Vergangenheit. Was es allerdings in der feudalen Zeit gab, waren Kleiderordnungen durch die jeweiligen Fürstenhöfe. Da wurde reguliert, welcher soziale Stand sich mit welchen Materialien einkleiden durfte. Einfache Leute durften dabei vielfach nur jene Materialien nutzen, die auch vor Ort produziert wurden, also meist Leder, Wolle und Leinen. Klar war: Der „Pöbel” sollte nicht aussehen wie die vornehmen Leute, soziale Unterschiede sollten zementiert werden.
Und welchen Zweck verfolgen dann die Trachtenvereine?
Heimat- und Trachtenvereine gründen sich jedenfalls sehr häufig in Folge von Krisen und Kriegen – und auch jetzt gerade wieder. Aus wissenschaftlicher Sicht sage ich, die Funktion ist, die Bevölkerung identitätspolitisch aufzurichten und zusammenzuhalten. Im deutschsprachigen Raum ist die Erzählung einer kulturellen Identität auch mit der Einigungsbewegung im 19. Jahrhundert verbunden.
Heute trägt Hinz und Kunz Lederhosen und Dirndl, selbst in Norddeutschland gibt es Festzelte im bayerischen Look. Wird ganz Deutschland bajuwarisiert?
Ich bin jedenfalls dafür, Dirndl und Tracht nicht denen zu überlassen, die sie zur völkischen Ausgrenzung nutzen wollen, wie etwa der ehemalige AfD-Politiker André Poggenburg. Deshalb finde ich es auch ziemlich unglücklich, wenn Friedrich Merz, wie schon geschehen, im Trachtenjanker in Bayern auftaucht. Das mag ja als freundliche Geste gemeint sein, aber es passt in eine Linie, in der vor allem identitäre Politiker wieder mit Tracht und Dirndl Politik machen wollen. Lieber als klischeehafte Schuhplattler wäre mir, wenn Markus Söder zur Begrüßung ausländischer Gäste eine Gruppe schwuler Schuhplattler einladen würde. Dann wäre das Crossover aus Tradition und Gegenwart geschafft.
Und was empfehlen Sie?
Dirndl wegen der politischen Vereinnahmung meiden oder umso mehr tragen?Ich bin für die Demokratisierung des Dirndl. Deshalb: Dirndl für 50 Euro im Discounter finde ich super! Wenn sich Deutschland bayerisch einkleidet, dann meinetwegen. Aber behalten Sie bitte im Blick, dass das nur wegen des Höchstmaßes an Freiheit geht, die unsere westlichen Gesellschaften derzeit haben. Deshalb meine ich: Zieht das Dirndl an, habts a Gaudi, bleibts Demokraten!