„Verrichtungsboxen“Zürich öffnet ersten Sex-Drive-in

Ein Paar betrachtet die „Verrichtungsboxen“.
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Zürich – „Ich bin kein Kunde, schon gar kein Freier.“ Nur zum Schauen sei er gekommen, beteuert der freundliche alte Herr mit der Sonnenbrille und dem Panamahut. „Ich wollte nur mal sehen, wie so eine Sexfestung von innen aussieht“. Das wollten am Samstag viele beim ersten - und wohl letzten - „Tag der offenen Tür“ auf dem ersten amtlichen Strichplatz der Schweiz. Am Montag hat die von blickdichten Bretterwänden umgebene Einrichtung im Viertel Altstetten hinter dem Zürcher Hauptbahnhof den Betrieb aufgenommen.
Kein Auto, kein Sex. Das macht die Piktogrammtafel am Eingang in leicht verständlicher Symbolik klar. Wer auf dem Bike oder dem Motorrad kommen will, wird enttäuscht.
Durchgestrichen. Ein dickes Kreuz auch über einem Auto, in dem neben dem Fahrer eine weitere Person sitzt. „Nur ein Freier pro Wagen“, sagt ein Wachmann. „Keine Gaffer, und nix zu dritt oder so.“
So gut wie alles ist im Zürcher Prostitutionspark mit Schweizer Gründlichkeit geregelt. Durchdacht bis ins Detail ist auch die Konstruktion der an Carports erinnernden Sexboxen - amtlich „Verrichtungsboxen“ genannt. „Wieso ist da auf der rechten Seite ein Trottoir (Bürgersteig)?“, fragt am Zuschauertag eine Mittfünfzigerin aus der Nachbarschaft. „Und links? Da ist ja kein Platz mehr neben dem Auto.“
Ursula Kocher, Leiterin der Frauenhilfsorganisation Flora Dora, klärt auf: „Auf diese Weise ist der Freier gezwungen, sein Auto so nahe an der linken Wand zu parken, dass sich seine Tür nur einen Spalt breit öffnen lässt. Die Frau auf der rechten Seite kann jedoch problemlos aussteigen.“ So käme sie schnell an den Alarmknopf heran, der unübersehbar ist und dem Freier wie ein Warnschild signalisiert: Mach hier bloß keinen Ärger.
„Dann geht ein Lichtsignal und ein Flutlicht in der Box an“, sagte Kocher der Zeitung „20 Minuten“. „Wir können sofort intervenieren, schnell ist auch die Polizei da.“ Zudem biete ein Flora-Dora-Pavillon eine Dusche und WCs; eine Ärztin kommt wöchentlich zur Beratung. Insgesamt ähnelt die Funktionsweise der Anlage dem Rundkurs-Prinzip von „Drive In“-Restaurants: Der Kunde bleibt im Auto, kurbelt die Scheibe herunter, äußert Wünsche und bekommt einen Preis zu hören. Statt danach eine Tüte mit Buletten in Empfang zu nehmen, fährt er in die „Verrichtungsbox“.
Von 19.00 Uhr bis 05.00 Uhr sollen bis zu 40 Prostituierte gleichzeitig auf dem 220-Meter-Rundkurs in der Mitte des Strichplatzes für sich werben können. Ohne die Frauen gleicht das Areal einer mit Poster-Werbung für die Kondom-Benutzung beklebten Garagenanlage: „Gib Gummi, wenn du auf Touren kommst“, steht in großen schwarzen Lettern auf einem der gelben Plakate.
Als Hauptgrund für die Einrichtung des Strichplatzes geben die Verantwortlichen an, dass die Zustände am Sihlquai - bislang der größte Schweizer Straßenstrich - „einfach nicht mehr haltbar“ gewesen seien. Unweit der schönen Altstadt am Ufer des Flusses Sihl gelegen, gab es auf Zürichs sündiger Meile oft Zoff. Nicht zuletzt, weil Prostituierte von Gaffern belästigt wurden; immer wieder mal auch von Horden betrunkener Jugendlicher.
Seit Tagen hängen dort Schilder: „Am Montag, 26. August, 5.00 Uhr, ist der Sihlquai für die Straßenprostitution geschlossen.“ Darunter weisen orangene Regenschirme und Pfeile den Weg zum neuen Strichplatz. Zürichs Stadtväter hoffen, dass die mit Steuergeldern errichtete Anlage - in der Alpenrepublik ist sie seit Wochen ein beliebtes Debattenthema - von Sexarbeiterinnen und Freiern angenommen wird. „Es gibt keine Erfolgsgarantie, wir probieren hier etwas aus“, sagt Sozialstadtrat Martin Walser.
Im der Sozialverwaltung glaubt man, dass finanzielle Vorteile den Strichpark für Sexgewerblerinnen attraktiv machen. Der sei potenziell deutlich profitabler, rechnete Michael Herzig, Vizedirektor der BürgersteigSozialverwaltung, vor: Frauen, die an irgendeinem Straßenstrich in Freier-Autos steigen, würden oft weit entfernt abgesetzt werden. „In der Zeit, die sie für die Rückkehr aufwenden müssen, können sie keine Freier bedienen und verdienen somit auch nichts“, gab die Zeitung „Der Landbote“ Herzigs zweifelhaftes Argument pro Strichplatz wieder. (dpa)