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ForschungWarum Ameisen nie im Stau stehen – und was wir daraus lernen können

5 min
Am Bordstein einer Strasse krabbeln Ameisen.

Am Bordstein einer Strasse krabbeln Ameisen.

Japanische Forscher haben herausgefunden, warum Staus aus dem Nichts entstehen. Gleichzeitig zeigen Experimente mit Ameisen: Die Tiere kennen das Problem nicht. Neue Technologien könnten helfen – doch der Preis dafür wäre hoch.

Weihnachten ist auf den Straßen wieder besonders viel los und es wird sicher auch jede Menge Staus geben, die der Weihnachtsstimmung nicht gerade zuträglich sind. Aber lassen sich Staus überhaupt vermeiden? Ausgerechnet Ameisen scheinen eine Lösung für dieses Problem gefunden zu haben, denn der Blick auf eine Ameisenstraße zeigt: Ameisen stehen nicht Stau.

Könnten wir den Tieren ihre Tricks nicht einfach abschauen und auf unsere Autobahnen und Landstraßen übertragen? In der Vergangenheit winkten viele Forscher da leider ab. Mit neuartigen Technologien rückt dieses Ziel nun aber doch noch in erreichbare Nähe.

Warum wir Menschen überhaupt im Stau stehen, weiß die Verkehrsforschung schon lange. Baustellen und Unfälle stehen ganz vorne auf der Liste der Hindernisse, die den Verkehrsfluss einschränken und einen Stau verursachen können. Besonders ärgerlich ist der sogenannte Stau aus dem Nichts heraus. Jeder kennt das: Plötzlich stockt der Verkehr ohne jeglichen ersichtlichen Anlass, ohne Baustelle, ohne Fahrbahnverengung und ohne Unfall. Es kommt zu Stop-and-Go-Wellen und schließlich zum Stau.

Exakter Sicherheitsabstand ist nicht einhaltbar

Aus genauso unerklärlichen Gründen löst sich dieser dann später auch wieder auf. Wie ein solcher mysteriöser Stau aus dem Nichts entstehen kann, hat ein japanisches Wissenschaftlerteam erforscht und dabei entdeckt, was wir Menschen falsch machen.

Die Physiker und Mathematiker um Yuki Sugiyama von der Universität in Nagoya schickten in mehreren Durchgängen ihres Experiments unterschiedlich viele Fahrzeuge auf einen 230 Meter langen Rundkurs. Die Versuchsteilnehmer bekamen dabei klare Vorgaben mit auf den Weg.

Die Fahrer wurden instruiert, dem vorherfahrenden Fahrzeug in der gleichen Geschwindigkeit (30 km/h) zu folgen und dabei den Sicherheitsabstand einzuhalten, der beim Start für alle Fahrzeuge gleich war. Was sich so einfach anhört, war den Probanden keineswegs problemlos möglich.

Auf den Videoauswertungen zeigte sich später, dass der Verkehr nur zu Beginn zügig floss. Nicht allen Fahrern gelang es dann aber, ihre Position wirklich exakt einzuhalten und die Vorgaben zu erfüllen. Schon nach wenigen Minuten änderte sich der Sicherheitsabstand einiger Fahrzeuge geringfügig. Manche Fahrer mussten deshalb langsamer werden, um ihren korrekten Sicherheitsabstand zum vorherfahrenden Fahrzeug einhalten zu können, andere schneller.

Auf diese Art und Weise bildeten sich schon nach kurzer Zeit Fahrzeuggruppen, an deren hinterem Ende die Fahrer bremsten, um nicht zu dicht auf das vorherfahrende Fahrzeug aufzufahren. Die vorderen Fahrzeuge versuchten hingegen, die verlorene Geschwindigkeit wieder aufzuholen und beschleunigten stärker, sodass Stop-and-Go-Wellen entstanden, die sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h entgegen der Fahrtrichtung ausbreiteten.

So entstand ein Stau praktisch aus dem Nichts, ganz ohne konkreten Anlass wie Baustellen oder Unfälle. „Wir konnten zeigen“, resümiert Sugiyama dann auch die Ergebnisse der Studie, „dass ein Verkehrsstau auch ohne einen Flaschenhals entsteht“.

Forscherteam will von Ameisen lernen

Aber können es die Ameisen besser? Das untersuchte ein internationales Forschungsteam um Laure-Anne Poissonnier an der Universität Toulouse III in Frankreich. In ihren Experimenten verbanden die Wissenschaftler ein Ameisennest über eine künstliche Brücke mit einer Futterquelle, sodass die Tiere nur über diese kleine Brücke an ihr Futter gelangen konnten.

Eine Ameise in Nahaufnahme

Von den Besten lernen? Eine Ameise in Nahaufnahme

Dann ließen sie unterschiedlich große Populationen Argentinischer Ameisen (400 bis 25.600 Tiere) über diese Brücke zu ihrem Futter und wieder zurück zum Nest laufen, während sie die Breite der Brücke veränderten, und zwar von 5 Millimetern auf 10 mm und dann auf 20 mm.

Die Ergebnisse der insgesamt 170 Experimente sind interessant. Es zeigte sich nämlich, dass der Verkehrsfluss auf der Brücke selbst dann nicht ins Stocken geriet, wenn 80 Prozent der Brückenoberfläche mit Ameisen bedeckt war. Den Wissenschaftlern zufolge waren die Ameisen damit in Sachen Stauvermeidung doppelt so effektiv wie wir Menschen.

Hinter das Erfolgsgeheimnis der Ameisen kamen die Forscher mit ihren Versuchsreihen auch. Es zeigte sich, dass alle Ameisen mit ein- und derselben Geschwindigkeit liefen, Trödler und Drängler gab es nicht. „Die Ameisen passen ihr Verhalten den veränderten Bedingungen an“, fasst Poissonnier die Forschungsergebnisse zusammen.

Mit neuer Technologie Unfälle vermeiden?

Andere Wissenschaftler kamen in ihren Studien mit Ameisen übrigens zu ähnlichen Ergebnissen. Wenn es auf einer Ameisenstraße richtig voll wird, überholt keiner den anderen, keiner trödelt, keiner drängelt, vielmehr passen die Tiere ihre Geschwindigkeit sehr gut einander an. Vielen Verkehrsforschern nach besteht allerdings genau hierin auch der große Unterschied zu uns Menschen: Bei uns wolle jeder schneller sein als der andere und als Erster im Ziel ankommen.

Egoismus sei bei uns Trumpf, ganz im Gegensatz zu den Ameisen, die sich viel mehr als ein großes Team begreifen würden. Somit ließe sich aber leider auch das Erfolgsgeheimnis der Ameisen nicht so einfach auf unsere Autobahnen und Landstraßen übertragen. Davon gingen viele Forscher zumindest lange Zeit aus.

Mit neuen Technologien scheint dieses Ziel nun aber doch noch in erreichbare Nähe zu rücken. Wenn die Fahrzeuge nämlich untereinander kommunizieren und sich gegenseitig warnen und abstimmen würden, dann ließe sich wohl in der Tat so mancher Stau vermeiden.

Das kann man aber auch kritisch sehen: Autos ließen sich nämlich theoretisch auch per Funksignal fernsteuern, damit diese Sicherheitsabstände einhalten oder nicht gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßen. Nicht nur der Fahrspaß könnte dabei auf der Strecke bleiben – auch der Datenschutz.