„Der Krieg wird Wohlstand kosten“Inflation wird laut „Wirtschaftsweisem“ zur Regel

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Symbolbild

  • Der Krieg in der Ukraine sorgt in Deutschland für eine Rekordinflation, die vor allem Geringverdiener, Arbeitslose, Rentner und Pendler trifft. Die Bundesregierung steuert an vielen Stellen gegen.
  • Doch hilft sie denen, die es am nötigsten haben?
  • Darüber sprach Stefan Schulte mit dem Ökonomen Jens Südekum.

Herr Südekum, duschen Sie noch warm?

Ja, aber bei mir wird das Wasser mit Strom erhitzt, nicht mit Gas.

Nach drei Monaten Krieg bekommen die Menschen durch die hohe Inflation hierzulande immer stärker die Folgen zu spüren. Droht die Akzeptanz für die Unterstützung der Ukraine dadurch zu kippen?

Das kann ich so nicht erkennen, die Bereitschaft der Ukraine zu helfen, ist in der Bevölkerung nach wie vor groß. Wenn sich der Krieg in die Länge zieht, schwindet aber die Aufmerksamkeit. Meine Sorge ist, dass etwa bei einem Waffenstillstand, in dem die Russen in den eroberten Gebieten verharren, zu schnell die Diskussion aufkommt, ob wir die Sanktionen lockern und womöglich wieder auf russische Energie setzen sollten. Davor kann ich nur warnen. Solange in Moskau Putinismus herrscht, sollten wir keine Geschäfte mehr mit Russland machen.

Zur Person

Prof. Jens Südekum, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, ist Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Verschärft der Krieg das Wohlstandsgefälle in Deutschland?

Ja, die hohe Inflation geht bei Geringverdienern bereits an die Substanz. Viele Pendler in weniger gut bezahlten Jobs können sich die hohen Spritkosten kaum noch leisten. Der Krieg wird aber insgesamt Wohlstand in Deutschland kosten, auch in der Mittelschicht. Energie wird erstmal teuer bleiben, wenn wir das billige russische Pipeline-Gas vorerst durch teures Flüssiggas ersetzen. Langfristig gibt es Entspannung durch die Erneuerbaren Energien. Aber wenn uns Putin das Gas abdreht, bringt das viele Arbeitsplätze in Gefahr.

Befürchten Sie einen russischen Lieferstopp?

Das halte ich nicht für unwahrscheinlich. Wenn Putin noch einmal Chaos in Europa stiften will, dann muss er es bald tun – bevor wir unabhängig von seinem Gas und Öl sind. Dreht er den Hahn ab, wird die Inflation noch einmal richtig anziehen, dann sind neun, zehn oder noch mehr Prozent möglich.

Wie sehr sollte der Staat die Folgen des Krieges für die Bevölkerung auffangen?

Der Staat kann nicht alle Folgen der aktuellen Krisen auffangen. Neben dem Krieg gibt es ja auch noch die Pandemie, vor allem Chinas Null-Covid-Politik, die weltweite Lieferketten reißen lässt und den Angebotsschock durch nicht mehr verfügbare Güter verschärft. Aber der Staat sollte tun, was er kann und gezielt denen helfen, die an ihr Existenzminimum geraten.

Ab Mittwoch ist Sprit günstiger – auch für Porschefahrer. Ist das sinnvoll?

Nein, der Tankrabatt ist eine Katastrophe, das mit Abstand schlechteste Instrument im Entlastungspaket der Regierung. Er entlastet jene, die es nicht nötig haben, am stärksten, denn die SUV verbrauchen am meisten Benzin. Er setzt das Preissignal zum Spritsparen außer Kraft, obwohl das doch das Gebot der Stunde sein müsste. Warum das ausgerechnet die FDP als selbst ernannte Bewahrerin der Marktwirtschaft durchgesetzt hat, ist mir ein Rätsel. Und drittens droht ein Teil der Steuersenkung nicht beim Verbraucher zu landen, sondern bei den Ölkonzernen und damit auch Rosneft. Damit helfen wir letztlich auch noch Putin.

Zugleich setzt sich Deutschland für ein EU-weites Ölembargo gegen Russland ein, das ab Oktober greifen könnte. Droht durch das Auslaufen des Tankrabatts und zu erwartenden Preissteigerungen dann ein Preisschock, der alles bisherige in den Schatten stellt?

Das glaube ich nicht, weil wir schon einen Großteil des russischen Öls aus anderen Quellen ersetzt haben. Doch allein das Auslaufen der Steuersenkung wird im September einen erneuten Inflationsschub auslösen.

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Die Energiepauschale von 300 Euro pro Kopf geht an alle Steuerzahler. Geringverdiener zahlen aber keine Steuern, nur wenn sie sehr wenig verdienen und Wohngeldempfänger sind, erhalten sie einen Heizkostenzuschuss.

Ja, das ist ein Notbehelfsinstrument. Viel besser wäre eine Pro-Kopf-Pauschale für alle gewesen, bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze. Aber das ist angeblich in Deutschland aus verwaltungstechnischen Gründen nach wie vor unmöglich. Wir brauchen diese Möglichkeit dringend, und wenn in Deutschland jedes Kind eine Steuernummer kriegt, sollte das doch eigentlich zu schaffen sein.

Rentner gehen bisher vollkommen leer aus. Hat die Regierung sie vergessen?

Nein, aber beim Kompromiss zwischen möglichst schnellem und möglichst gerechtem Handeln sind auch sie rausgefallen. Ich fände es richtig, gezielt Rentnerinnen und Rentner zu unterstützen, die geringe Altersbezüge haben, aber noch über der Grundsicherung liegen. Wie bei den Erwerbstätigen ist auch bei ihnen die untere Mittelschicht am stärksten betroffen. Insgesamt sind die Rentner aber besser durch die Pandemie gekommen als die Erwerbstätigen, in diesem Jahr steigen die Renten so stark wie seit 40 Jahren nicht mehr, während die Lohnerhöhungen im Durchschnitt unter zwei Prozent liegen.

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