Erneuerbare EnergienSo sollen Windräder Deutschland unabhängig machen

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Windräder sind in einem Windpark bei Sonnenaufgang zu sehen.

Windräder sind in einem Windpark bei Sonnenaufgang zu sehen.

Ein neues Gesetz in Deutschland zwingt alle Länder zum Bau weiterer Anlagen. In einigen herrscht jedoch großer Nachholbedarf. Wir klären alle wichtigen Fragen zum Thema.

Mehr, immer mehr Windräder: Die Bundesregierung will mit einem neuen Gesetz, das am 1. Februar in Kraft tritt, den Windkraft-Turbo zünden. Die Windenergie soll dabei helfen, Deutschland unabhängig von Kohle, Gas und Atom zu machen. Strom aus Wind als saubere Alternative – damit das gelingt, sollen alle Bundesländer ihren Beitrag leisten.

Alle wohlgemerkt, nicht nur solche wie Bayern oder Berlin, die krass im Hintertreffen liegen. Auch Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern sind durch das sogenannte Wind-an-Land-Gesetz zum Handeln aufgefordert. Dabei sind die drei Nordländer doch schon jetzt vergleichsweise gut in Sachen Windkraft unterwegs. Oder doch nicht? Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

Wie viele Windräder gibt es derzeit in Deutschland?

Deutschland nähert sich der Zahl von 30000 Windrädern an. Die Bundesnetzagentur zählte bis einschließlich November genau 29117 Anlagen. Die Gesamtleistung gibt sie mit knapp 58 Gigawatt aus. Geht es nach den Ausbauplänen der Bundesregierung, ist das weit weg von ausreichend: Bis 2040 sollen in Deutschland Windräder bis zu 160 Gigawatt liefern.

Weil Windräder aber in den zurückliegenden Jahren immer leistungsfähiger geworden sind, heißt das nicht zwangsläufig, dass sich auch die Zahl der Anlagen noch einmal verdoppeln oder verdreifachen muss. Neue Windräder liefern mehr Energie, alte Anlagen werden im Zuge des sogenannten Repowerings ausgetauscht. Klar ist trotzdem: Es geht um Tausende neue Windräder, die in wenigen Jahren gebaut werden müssen.

Wo stehen die bislang existierenden Windräder?

Die Anlagen verteilen sich sehr ungleich über Deutschland. Niedersachsen führt die Liste mit 6277 Anlagen mit großem Vorsprung an. Das heißt: Etwa jedes fünfte Windrad in Deutschland dreht sich in Niedersachsen. Es folgen in der Standortliste Brandenburg mit 4015 Anlagen und Nordrhein-Westfalen mit 3629, knapp dahinter das flächenmäßig deutlich kleinere Schleswig-Holstein mit 3361.

Im deutlich größeren Bayern indes stehen bislang nur 1272 Windräder, ein Anteil von 4,37 Prozent. Das hatte in der Vergangenheit immer wieder für Kritik an der Landesregierung in München gesorgt: Man blockiere den Windkraftausbau und leiste nicht seinen Beitrag zur Energiewende – ein Vorwurf, den Markus Söder (CSU) freilich stets zurückwies.

Die wenigsten Windräder drehen sich – wohl wenig überraschend – in den Stadtstaaten. Allerdings fällt bei der Verteilung auf: Bremen und Bremerhaven kommen mit einer Gesamtfläche von gut 419 Quadratkilometern auf 93 Windräder. Berlin ist fast doppelt so groß wie der Zwei-Städte-Staat. Doch in der Hauptstadt sind bislang nur ganze sechs Windkraftanlagen installiert, oder: 0,02 Prozent der Anlagen in Deutschland stehen in Berlin.

Wie kommt der Ausbau der Windkraft voran?

Den größten Anlagen-Zubau verzeichnete 2022 Schleswig-Holstein. Bis einschließlich November – das sind die neuesten verfügbaren Zahlen bei der Bundesnetzagentur – gingen hier 117 Windräder ans Netz. Es folgen NRW (89), Niedersachsen (86) und Brandenburg (84). Das heißt: Die Bundesländer, in denen die Windkraft ohnehin schon stark vertreten ist, treiben deren Ausbau auch weiter voran – und umgekehrt. Mecklenburg-Vorpommern kam nach den vorläufigen Zahlen nur auf zwölf Anlagen, Bayern auf elf, Berlin auf keine einzige.

Insgesamt hat der Zubau neuer Anlagen in den vergangenen Jahren nicht sonderlich an Fahrt aufgenommen. Für 2021 meldet die Bundesnetzagentur 28853 Windräder. Sollten im Dezember 2022 nicht noch außergewöhnlich viele Windräder ans Netz gegangen sein, läge der Zubau damit unter einem Prozent.

Allerdings: Stärker als die Zahl der Anlagen als solche nimmt die Leistung zu. Im Vergleich zu früheren Modellen sind moderne Windräder deutlich leistungsstärker. Im Zuge des sogenannten Repowerings werden Anlagen auf bestehenden Standorten entweder grundlegend erneuert oder gleich ganz ersetzt. Mit Blick auf die Leistungsbilanz heißt das: 2011 lieferten 20204 Anlagen 28,5 Gigawatt. Heute kommen 29117 Windräder auf eine Leistungsbilanz von 57,9 Gigawatt – eine Verdopplung binnen gut zehn Jahren.

Was muss noch passieren in Sachen Windkraft?

Der Weg bis zu 160 Gigawatt ist noch weit, der Zeitplan eng. Mit dem sogenannten Wind-an-Land-Gesetz soll sichergestellt werden, dass die Vorgaben auch eingehalten werden. Es tritt am 1. Februar offiziell in Kraft und regelt, dass bundesweit bis 2032 zwei Prozent der Fläche als Vorrangfläche für Windkraftprojekte ausgewiesen sein müssen. Stand derzeit nach Angaben der Bundesregierung: 0,8 Prozent.

Dabei sind die einzelnen Bundesländer unterschiedlich stark gefordert. Niedersachsen beispielsweise soll laut Gesetz 2,2 Prozent der Landesfläche ausweisen, Mecklenburg-Vorpommern 2,1 und Schleswig-Holstein 2 Prozent. Den drei Stadtstaaten sind 0,5 Prozent vorgegeben.

Wie weit sind die einzelnen Bundesländer?

Manche Länder sind noch sehr weit weg von den Zielen. Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise kommt – Stand jetzt – laut Wirtschaftsministerium auf 0,8 Prozent der Landesfläche. 2,1 Prozent sind das Ziel. Wie das gelingen soll? Das Ministerium arbeite an einem Erlass, heißt es von einer Sprecherin. Der soll sicherstellen, dass die in Mecklenburg-Vorpommern zuständigen sogenannten Planungsverbände das Wind-an-Land-Gesetz in der Fläche umsetzen.

Niedersachsen will vor allem die unteren Verwaltungsebenen, also die Kommunen in die Pflicht nehmen – die Landkreise und die kreisfreien Städte, die Region Hannover und den Zweckverband Braunschweig. Das Land kommt derzeit auf eine ausgewiesene Fläche von 1,1 Prozent, muss sie also verdoppeln.

Wie weit die einzelnen Kommunen dabei sind, kann das Energieministerium in Hannover auf Anfrage nicht beantworten. „Niedersachsen rechnet gerade die Übertragung der 2,2 Prozent auf die Planungsräume durch“, teilt eine Sprecherin mit. Demnächst sollen die Vorgaben veröffentlicht und dann in ein Landesgesetz gegossen werden.

Selbst das Windkraft-Vorzeigeland Schleswig-Holstein muss nachbessern. Nach eigener Rechnung kommt die Landesregierung in Kiel jetzt schon auf eine ausgewiesene Fläche von etwas mehr als zwei Prozent. Ziel erreicht? Nein. Der Bund rechnet anders als das nördlichste Bundesland.

Für die Regierung in Kiel zählten in die zwei Prozent Fläche bislang auch die Rotorblätter hinein. Für die Bundesziele zählen diese Flächen indes nicht mit. Bedeutet: „Schleswig-Holstein überprüft zurzeit die bestehende Windplanung und wird eine Planung vorbereiten, die die Erfüllung der vom Bund gesetzten Flächenziele sicherstellt.“ Auch Kiel wird die Vorgaben durchreichen auf die kommunale Ebene.

Was droht, wenn die Ziele verfehlt werden?

Sollte ein Bundesland die Vorgaben aus dem Wind-an-Land-Gesetz nicht umsetzen, dann verfallen landeseigene Vorgaben zum Ausbau der Windkraft. In Bayern beispielsweise könnten das Abstandsregeln zur Wohnbebauung sein, die im bundesweiten Vergleich sehr streng sind. Ohne entsprechende Vorgaben greifen nur noch grundlegende Regeln. Die Kommunen vor Ort verlieren Einfluss darauf, wo was gebaut werden kann und darf. Das setzt Länder, Landkreise und Regionen unter Druck.


Verband: Windkraft-Ausbau in Nordrhein-Westfalen kommt kaum voran

Der Ausbau der Windenergie bleibt in NRW weit hinter den Zielen der schwarz-grünen Landesregierung zurück, kritisierte der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) am Dienstag.

Im vergangenen Jahr seien 98 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 421 Megawatt in NRW neu in Betrieb gegangen. Der Zuwachs betrage aber nur 392 Megawatt, weil ältere Anlagen abgebaut worden seien. „Das liegt deutlich unter der 1000-Megawatt-Marke, die notwendig ist, wenn die Landesregierung ihre Ziele beim Klimaschutz erreichen will“, sagte LEE-Geschäftsführer Christian Mildenberger.

Problem Nummer eins ist nach Einschätzung des Verbandes die Bürokratie. „Wir erleben noch nichts von der angekündigten Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windkraft“, erklärte LEE-Vorstandsmitglied Steffen Lackmann. In der Regel vergingen immer noch volle sieben Jahre bis zur Fertigstellung einer Anlage. Der Bau des neuen Terminals für Flüssiggas (LNG) in Wilhelmshaven habe dagegen nur 194 Tage gedauert – von der Planung bis zur Fertigstellung.

Der LEE fordert angesichts dessen von der Landesregierung neben schnelleren Genehmigungen einen Zeitplan für die Abschaffung des 1000 Meter-Mindestabstands beim Repowering von Windrädern, mehr Flächen für Windenergie und einen Artenschutz-Leitfaden. (mk)

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