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Experiment in SüddeutschlandSo gedeiht die Bio-Ernte unter dem Solarmodul

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Lüchow: Mit einem Kran wird eine Agrar-Photovoltaik-Anlage montiert (Aufnahme mit einer Drohne).

Lüchow: Mit einem Kran wird eine Agrar-Photovoltaik-Anlage montiert (Aufnahme mit einer Drohne).

In Baden-Württemberg kombiniert ein Landwirt erfolgreich Stromproduktion mit Getreideanbau. Die erste Ernte unter Solarmodulen überzeugt – doch Schädlinge und aufwendige Bewirtschaftung zeigen auch die Grenzen des Konzepts auf.

Severin Batzill steht auf seinem Acker bei Schlier (Baden-Württemberg), eingerahmt von meterhohen Solarmodulen. An der Stelle des spärlich-grünen Bewuchses unter seinen Füßen stand vor Wochen noch reifes Getreide, das der Landwirt längst geerntet hat. Das Ergebnis des Druschs war mit Spannung erwartet worden, lieferte es doch Anhaltspunkte über die Praxistauglichkeit eines Konzepts, dem großes Potenzial zugeschrieben wird, die Energieversorgung in Deutschland grüner zu machen: Agri-PV.

Dahinter verbirgt sich Technologie, die Landwirtschaft und Stromerzeugung kombiniert. Dafür werden Photovoltaik (PV)-Module über dem Boden aufgeständert, sodass darunter der Anbau landwirtschaftlicher Produkte möglich ist. Mehrere Kleinanlagen gibt es in Baden-Württemberg schon. In Schlier ist die erste Großanlage am Netz: An drei Standorten sind auf einer Fläche von 14 Hektar Solarmodule mit einer Leistung von zehn Megawatt installiert. 14 Millionen Kilowattstunden Strom sollen damit pro Jahr erzeugt werden.

Schädlinge unter den PV-Modulen

Während die Stromausbeute relativ gut prognostizierbar ist, stand hinter dem landwirtschaftlichen Ertrag bislang ein dickes Fragezeichen. Würde sich der Anbau von Feldfrüchten lohnen? Wie viel aufwendiger sind Aussaat, Pflege und Ernte? Und welche unvorhergesehenen Auswirkungen hat das Nebeneinander von landwirtschaftlicher Produktion und Energieerzeugung?

Inzwischen ist der Landwirt schlauer: Rund sieben Tonnen Triticale, eine Kreuzung aus Weizen und Roggen, hat Batzill pro Hektar geerntet. Für einen nach Bio-Kriterien wirtschaftenden Betrieb „ein sehr guter Ertrag“, sagt der Landwirt, und sogar höher als das, was er außerhalb der PV-Anlage geerntet hat. Batzill führt das auf die Trockenheit im Frühsommer zurück. Die Beschattung und der Windschutz durch die Module hätten dafür gesorgt, dass der Boden länger feucht blieb. Außerhalb sei das Getreide vertrocknet.

Erosion als erwartetes Problem

Ganz ohne Überraschungen ging es aber nicht. Ein Phänomen hatte der Landwirt erwartet und daraufhin die Sortenwahl Triticale getroffen, während seine Mitgesellschafter auf Weizen setzten: Erosion. „Deshalb wollte ich eine Getreidesorte anbauen, deren Aussaatzeitpunkt früher ist. Im nassen Herbst und Winter schützen die ausgebildeten Wurzeln den Boden vor Erosion durch Tropfwasser", sagt der Landwirt. Je höher die PV-Module montiert sind, desto gravierender ist das Problem.

Überraschungen brachten die Grünstreifen unter den Modulen hervor. „Die sind Rückzugsraum für Schädlinge aller Art“, berichtet der Landwirt. Vor allem Schnecken sind ein Problem, weil die Streifen vor Sonnenlicht geschützt lange feucht sind. Ideale Bedingungen für Vermehrung. Heerscharen der Weichtiere machen sich täglich auf den Weg in den Acker und richten Schaden an. Hinzu kommen Wühlmäusen, die durch das Abfressen von Wurzeln und das Anlegen von Gangsystemen erhebliche Schäden verursachen.

Ernte dauert 30 Prozent länger

Gleiches gilt für Bewirtschaftung und Ernte, die „30 Prozent zeitintensiver ausgefallen ist.“ Konzeptioniert haben die Energiebauern ihre PV-Modulreihen zwar in einem Abstand, der die Ernte durch Mähdrescher erlauben würde. Schlussendlich hat man aber mit Sechs-Meter-Maschinen gedroschen, um „mehr Spielraum zum Rangieren zu haben.“ Denn eine Kollision mit den Modulen und dem Nachführsystem sollte vermieden werden. Die Konsequenz: Der Unternehmer musste pro Feldabschnitt eineinhalbmal statt einmal entlangfahren.

Auch wenn Langfristerfahrungen noch fehlen: Severin Batzill ist vom Konzept Agri-PV überzeugt. Das Potenzial sei gewaltig. Forscher des Fraunhofer-Instituts schätzen, dass gut geeignete landwirtschaftliche Flächen ein Potenzial von bis zu 500 Gigawatt Solarleistung bieten, was die deutschen PV-Ausbauziele für 2040 übertreffen würde.

Ausbau kommt nur schleppend voran

Doch der Ausbau kommt nur schleppend voran. Daten der Bundesnetzagentur (BNetzA) zeigen, dass PV-Anlagen in Deutschland zurzeit erst mit einer Leistung von 400 Megawatt in Betrieb sind. Gründe dafür sind hohe Investitionskosten, fehlende standardisierte Genehmigungsverfahren, Unsicherheit bei der Förderung und Probleme beim Netzanschluss. Immerhin: Seit 2022 werden PV-Anlagen in Ausschreibungen der BNetzA berücksichtigt. Die Förderung gilt bislang nur für bestimmte Systemarten.

Fachleute fordern nun, die Rahmenbedingungen klarer zu gestalten. Auch der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßt die Möglichkeit der „doppelten Ernte angesichts des Drucks auf die Agrarflächen“. Lösungen wie Agri-PV, „die in bestehende Strukturen integriert werden können, keine zusätzlichen Flächen verbrauchen und so den Zubau der erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren sicherstellen“, seien dringend nötig, heißt es in einem DBV-Positionspapier.

Neue Strukturen erfordern Umdenken

Für die Landwirtschaft bietet das Konzept Chancen, aber auch Herausforderungen. Landwirte können zusätzliche Einnahmen erwirtschaften, ihre Flächen klimaresilienter machen und Akteure der Energiewende werden. Doch sie müssen auch lernen, mit neuen Strukturen umzugehen. Traktoren, Erntemaschinen und Bewässerungssysteme müssen mit den Modulreihen kompatibel sein. Auch ackerbaulich erfordert das Konzept andere Herangehensweisen. Das Beispiel aus Schlier zeigt indes, dass es funktioniert.